Das Wandbild wechselte und ein handgeschriebenes Schreiben erschien.
„ Bitte entschuldigen Sie, dass wir unsere kleine Testsprengung hier vorgenommen haben. Es schien uns ein angemessener Ort zu sein, niemandem Schaden zuzufügen. Wir werden uns in Kürze wieder bei Ihnen melden.“
„Unsere Ermittlungsergebnisse, auch die folgenden, finden Sie in den Ermittlungsunterlagen, die wir Ihnen zur Verfügung stellen. Am 16. des Monats, um 1.30 Uhr morgens detonierte ein Sprengsatz, der eine Eisenbahnbrücke an der Bahnstrecke Köln – Siegen zerstörte.“
Er zeigte mit seinem Stock auf eine Stelle, unweit von dem gesprengten Bunker.
„Auch hier fanden wir eine Panzergranate mit einer Nachricht.“
„ So wie diese Brücke haben wir drei weitere Objekte präpariert. Wir werden nicht zögern, diese zu sprengen, wenn Sie unsere Anweisungen ignorieren. Wir verlangen 20 Millionen Reichsmark in geschliffenen Diamanten. Zeit, Ort und Übergabe werden wir rechtzeitig bekannt geben. Zum Zeichen Ihrer Bereitschaft bitten wir, im Kölner Stadtanzeiger am 18. d.M. folgende Anzeige zu schalten: Lieber Basti, wir wünschen dir zum Jubiläum alles Gute und weiterhin gute Geschäfte. Dein Stammtisch.“
„Wir haben daraufhin in Absprache mit höchster Stelle folgende Anzeige aufgegeben: Lieber Basti, der Chef lässt ausrichten, dass er die Zeche nicht zahlen wird. Dein Stammtisch.
Am 19., um 2.20 Uhr explodierte ein Sprengsatz in einer geheimen Raketenabschussbasis in einem Waldstück im Hunsrück, genannt Fuchsbau. Die Abschussbasis mit 4 Langstreckenraketen wurde völlig zerstört.“
Ich erinnerte mich. In den Vierzigern diente der „Fuchsbau“ als Abschussbasis für die V2. In den Fünfzigern wurde die unterirdische Anlage ausgebaut und mit Nuklearraketen bestückt.
„Um 2.50 Uhr explodierte ein Sprengsatz in einem Salzstock bei Heilbronn, wo das Daimler-Institut im Auftrag des Reichs ein geheimes, unterirdisches Forschungslabor unterhält. Mehrere Explosionen zerstörten den Salzstock dermaßen, dass dieser auf der Länge von 3 Kilometern zusammenbrach. Es war unmöglich an Ort und Stelle zu ermitteln, weil das Stollensystem nicht mehr begehbar ist. Um 4.00 Uhr morgens meldete die Feuerwehr Germania eine Explosion in einem Kühlhaus der Zentralküche Nord hier in Germania. Das Kühlhaus wurde komplett zerstört. Um 6.10 Uhr fand ein Gefreiter des 5. Transportbataillons in Hermeskeil, das ist von der Raketenbasis Fuchsbau etwa 10 Kilometer entfernt am Wachhaus eine Panzergranate mit folgendem Zettel:
„ Schade, dass Sie Bastis Jubiläum nicht interessiert hat. Mal ehrlich: Wäre es nicht billiger geworden, die kleine Jubiläumsfeier zu zahlen? Die Feuerwerke auf dem Fuchsbau, in Heilbronn und in Germania haben wir wie versprochen gezündet und damit bewiesen, dass wir keine Spaßvögel sind. Also noch einmal: Bis zum Monatsende erhalten Sie neue Anweisungen. Bis dahin werden wir uns einige neue, lohnenswerte Ziele aussuchen. Wir melden uns. In der Zwischenzeit möchten wir die Glückwünsche für unseren lieben Basti bis zum 30. Juni in der Frankfurter Rundschau lesen. Und glauben Sie uns: Wir haben unsere Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft!“
Alle drei Anlagen sind durch undurchdringliche Sicherheitszonen geschützt. Es ist unmöglich, hier auch nur ein Gramm Sprengstoff einzuschmuggeln. Alle bisherigen Ermittlungsdetails befinden sich in ihrem zukünftigen Stuttgarter Büro. Inzwischen hat der Führer erklärt, nicht nur zum Schein auf die Forderungen der Terroristen eingehen zu wollen.“
Ich stellte mir den cholerischen Anfall des Führers vor, als er von den Vorfällen unterrichtet wurde. In dieser Beziehung unterschied sich Miller nicht im Geringsten von seinem Übervater und Vor-Vorgänger Adolf Hitler.
„Der Führer“, fuhr Carlstatt fort, „vermutet hinter dem Ganzen eine Verschwörung der Bolschewiken. Wir wiederum gehen davon aus, dass es sich bei den Erpressern schlicht um kriminelle Subjekte handelt. Ihre Aufgabe wird es sein, dies herauszufinden und die Verbrecher dingfest zu machen. Bitte gehen Sie dabei mit äußerstem Fingerspitzengefühl vor. Der Verlust von 20 Millionen Reichsmark ist dabei gegebenenfalls noch zu verschmerzen. Ein zweiter Fuchsbau dagegen nicht. Vor allem ist es eine Ihrer wichtigsten Aufgaben, die Presse von der Geschichte fernzuhalten. Das war’s fürs erste, meine Damen und Herren. Heil dem Führer.“
Carlstatt nahm seine Jacke unter den Arm und verschwand. Aldinger erhob sich.
„Damit ist die Sitzung beendet. Wenn Sie noch Fragen haben, wenden Sie sich an Ihren Stabsleiter, Standartenführer Klar.“
Der Kerl machte wohl Witze. Ich selbst hatte während Carlstatts Referat seitenweise Fragen auf meinen Notizblock gekritzelt. Aldinger klang allerdings recht endgültig und ich beschloss, mir meinen Fragenkatalog für später aufzuheben.
„Sie werden jetzt von Ihrem Fahrdienst ins Hotel gefahren, wo Sie ein gemeinsames Mittagessen einnehmen. Heil dem Führer.“
Er grüßte zackig und verließ den Raum. Zwei SS-Sturmmänner betraten den Raum und geleiteten uns durch das Gängelabyrinth nach draußen.
Mein Fahrer wartete bereits. Die anderen wurden auf bereitstehende Limousinen verteilt. Ich hatte meinen Kopf geleert, so wie ich es schon viele Male getan hatte, wenn er überzulaufen drohte. Jetzt musste ich erst einmal sortieren, Prioritäten setzen, Lösungsansätze erarbeiten, Mist über Bord werfen…. „Reichskriegsministerium“ – so musste der Palast eines römischen Kaisers ausgesehen haben. Der friedliche Eindruck, den das Gebäude mit seinen vorgelagerten Gärten und Säulengängen machte, täuschte erschreckend darüber hinweg, was hinter diesen Mauern passierte. „Amt für Völkerkunde und Rassenhygiene“. Welch nette Umschreibungen doch immer gefunden werden, für Diskriminierung, Kriminalisierung, Völkermord, Sklaverei. Ein sprachloser Groll schob sich durch meine Eingeweide. Wir kamen zum Hitlerdenkmal. Der Verkehr wurde kreisförmig um den Platz geführt. Diesem österreichischen Gefreiten war die größte Bronze gewidmet, die ich je gesehen hatte. Dem Künstler war es glänzend gelungen, den wilden, paranoiden, zu allem entschlossenen Blick einzufangen. Hitler schien von seinem Sockel herab das ganze Viertel zu kontrollieren. Und allen, die sich darin bewegten, das Lächeln zu rauben.
Wieland war ein aufmerksamer Begleiter. Er überließ mich schweigend meinen Impressionen und Gedankengängen, wohlwissend zu stören, sollte er sich zu Wort melden. Am Baldachin erkannte ich, dass wir beim Hotel vorgefahren waren. Die anderen waren soeben dabei auszusteigen. Ein Dutzend uniformierte Pagen entledigte sie ihres Gepäcks. Mein Fahrer übergab meine Reisetasche und zeigte mir den Fahrerparkplatz, wo ich ihn bei Bedarf finden konnte. An der Rezeption erhielten wir unsere Zimmerschlüssel. Ich bat die künftigen Kollegen darum, in 30 Minuten hier in der Halle zu erscheinen. Das Zimmer war sehr geräumig, hatte ein ordentliches, bequemes Bett, einen Schreibtisch und ein sauberes, helles Bad. Das große Fenster gab den Blick frei auf eine schön angelegte Gartenanlage mit Pavillons, Sitzbänken und Spazierwegen. Ich machte mich frisch und begab mich nach unten, wo ich 10 Minuten zu früh eintraf. Deshalb suchte ich den Garten auf und genoss für einen kurzen Moment die wärmende Mittagssonne. Es war beschaulich still hier. Das Plätschern eines Brunnens, das Zwitschern der Vögel, das Gurren von Tauben, nicht all zu fern. Ich nahm mir vor, wenn möglich einen Teil des Nachmittags hier zu verbringen.
Im Hotel – Restaurant war alles bereits für uns eingedeckt. Am Buffet standen eine Auswahl von Suppen, gedünstetem Gemüse, Getreidefrikadellen, Kartoffelschnee und bunten Salaten zur Verfügung. Seit dem Erscheinen der Biografie Adolf Hitlers im Jahr 1968 war bekannt geworden, dass der Führer sich fleischlos ernährte. Daraufhin sank der Konsum von Fleisch und Wurstwaren rapide. Der Berufsstand der Fleischer schrumpfte auf ein Zehntel, in der Landwirtschaft vollzog sich ein Wandel. Auch die groß angelegte Werbekampagne „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“ konnte hieran nicht viel ändern. Die Milchwirtschaft kam in Nachschubschwierigkeiten, die damit verbundenen Fleischüberschüsse wurden exportiert oder endeten als Hundefutter. Inzwischen hatte sich der Markt reguliert. Milch war teuer, Rindfleisch billig, Schweinefleisch eine Rarität, Eier teuer, Hühnchen billig. Im Laufe der Jahrzehnte hatte sich jedoch herausgestellt, dass sich der Deutsche auf diese Weise gesünder ernährt als die europäischen Nachbarn, was der Propaganda, pardon: der Öffentlichkeitsarbeit der Gesundheitsstrategen im Reich sehr entgegen kam.
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