1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 Ich öffnete den Seitenwagen. Selbst hier stand Wasser. Meine Sachen im Seesack waren alle feucht. Mit einem halbtrockenen Handtuch rubbelte ich mich ab. Nicht um trocken zu werden, nein, um die Haut zu massieren, die wie aufgedunsen war. Als ich an mir hinunterschaute, fühlte ich mich wie ein Eunuch. Mein wichtigstes Teil war so geschrumpft, wie nach einem Bad in eisigem Wasser! Die Sonne schien. Plötzlich wachten meine Sinne wieder auf. Ich fühlte eine wohlige Wärme auf meiner Haut, ein paar Vögel zwitscherten und es roch nach feuchter Erde und Wachstum. Leise knisternd kühlte der Motor ab. Ich legte den Bundeswehr-Poncho auf die Wiese, darauf meinen leicht feuchten Schlafsack und ließ mich erschöpft darauf sinken. Nackt. Alles in mir bewegte sich noch von der Fahrt.
Langsam saugte die Sonne die Nässe aus meiner Haut. Diese straffte sich nach und nach wieder. Die Wärme drang immer tiefer in meinen jetzt schmerzenden Körper ein und füllte ihn mit neuer Kraft, wie eine Batterie am Ladegerät. Als es mir zu warm wurde, spannte ich ein Seil zwischen die Bäume und hängte meine ganze nasse Wäsche daran auf. Dann die weniger nasse. Das Seil war zu kurz. Also noch das Abschleppseil dazu und den Rest der Kleider darauf. Die Stiefel stülpte ich über die Spiegel, den Schlafsack legte ich auf ein paar Äste in die Bäume. Mit ein paar löcherigen Socken saugte ich das Wasser aus dem Seitenwagen. Jetzt spürte ich, wie hungrig und durstig ich war. Ich schmiss den Kocher an und kochte erst mal einen großen Pott Tee. Dann setzte ich die gleiche Menge Suppe auf. Währenddessen hatte ich schon mit meinem Finnenmesser eine Dose Kupplungsscheiben, Vollkornbrot aus Bundeswehrbeständen, geöffnet und eine Dose mit Cornedbeef, meine Notreserve. Dann aß ich beidhändig, so hungrig war ich, in einer Hand das Brot, in der anderen das Beef. Tat das gut! Als ich genug gegessen und getrunken hatte, legte ich mich erst mal hin. Diesmal aber in den Schatten. Und ich zog mir die Badehose an. Nicht, dass ein umherirrender Pan mich für Daphnis hielt und im Schlaf vernaschte! Schließlich befand ich mich ja in Mazedonien…
Um mich herum tanzten mit durchsichtigen Schleiern bekleidetet Nymphen. Die Anführerin der Bande ist blond. Sie macht mir aufmunternde Gebärden. Kenne ich schon, denke ich. Am Ende nur Schnaps! Ihre Schleier streifen mich wie ein Windhauch. „Komm, Prinz der Landstraße, fang uns! Diejenige, die du fängst, ist dein!“ Ich will die Anführerin, wenn schon! Ich will aufspringen, ihr nachrennen, doch die hat mich wohl verzaubert. Ich fühle mich wie gelähmt. „Bis in eineinhalb Jahren!“ ruft sie und entschwindet. Um mich herum bewegen sich die Äste, die Blätter rauschen. Ich wechsle langsam von meinem Traum in die Wirklichkeit. Es ist stockduster. Mich fröstelt. So langsam bringe ich das Geschehen wieder auf die Reihe. Ende gut - alles gut, könnte man sagen. Meine Augen suchten das Dunkel zu durchdringen. Irgendwo müssten diese Nymphen doch noch sein! Ich kroch in den Schlafsack und bemerkte jetzt erst den prächtigen Sternenhimmel über mir. Und ich bin da irgendwo mitten drin!, dachte ich. Eine Sternschnuppe zog ihre lange Bahn quer durch den Himmel. Ich hatte einen Wunsch frei. „Eine Nymphe!“, rief ich und schlief ein.
Am nächsten Morgen war alles Routine. Um 10 Uhr war die taufeuchte Wäsche wieder trocken. Ich verstaute alles und sah nach den Nymphen, um mich für den schönen Platz zu bedanken. Aber sie trieben ihre Späße wohl gerade anderswo. Ich fand, dass der Kickstarter zu viel Spiel hatte. Also drückte ich ihn ungefähr ¼ langsam durch, bis ich auf Widerstand stieß, dann zurück und anschließend volle Pulle durchgetreten. Und bald zeigte sich das Ergebnis!
Und weiter ging‘s in Richtung sonniger Süden! Hier und da war die Straße von Schlamm oder Kies überdeckt, die Gräben verstopft. Skopje liegt ganz nahe. Vor ein paar Jahren war diese Stadt von einem mörderischen Erdbeben größtenteils zerstört worden. Sie ist wieder aufgebaut, höher und größer als vorher. Auf einem Hügel erhebt sie sich stolz. Ihre Fassaden glänzen im Sonnenlicht. Alexander der Große kam aus dieser Ecke, und Mutter Theresa, die Heilige von Kalkutta. Auf einem der Hügel erhebt sich drohend eine Festung mit eckigen Türmen. Minarette und Kirchtürme überragen die alte Stadt. Zum Glück schlingt sich eine breite Umgehungsstraße um die Ortschaft. Sie steigt leicht bergauf. Ich folge ihr und habe einen weiten Blick auf die Umgebung. Unter mir in der Ebene durchschneidet der Fluss Vardar saftige Wiesen und grüne Felder. Weiter oben die Flanken der Hügel sind eher trocken und nur von Wanderherden genutzt. Durch den Regen von Gestern hat sich das Land verwandelt. Ein grüner Schleier liegt über allem und es riecht nach Wachstum. Oben angekommen, geht mein Blick noch weiter nach Süden. Da hinten liegt Griechenland, ob ich es heute noch bis dahin schaffe? Jedenfalls wäre es besser, etwas vor oder hinter der Grenze zu übernachten. Nicht an der Grenze selber. Grenzen sind grau. Die Leute in den Grenzdörfern sind ebenso grau wie ihre Häuser. Und jeder ist nur auf Business aus und andere krumme Sachen!
Vor mir breitet sich wie ein offenes Bilderbuch Mazedonien aus. Hier befand sich damals eine der höchsten Kulturen, deren Denkweise die Basis zu unserer Demokratie war. Von hier aus erstreckte sich das größte Reich der Welt. Alleine diese Gegend wäre eine Reise wert. Aber mein Ziel ist Asien. Ich will erst mal etwas Entfernung zwischen mich und meine Heimat bringen. Wie eine Rakete, die zuerst einmal die Erdanziehung überwinden muss, damit sie dann von selbst weiterfliegen kann…
In solchen Gedanken schwelge ich. Da, plötzlich ein Ruck, das Hinterrad blockiert, kommt wieder frei, der Motor gibt ein mahlendes Geräusch von sich, das sich in ein lautes Schlagen verwandelt. Schnell ziehe ich die Kupplung, tu den Gang raus, und lasse das Gespann möglichst weit von der Straße weg auf die Böschung rollen, wo es von selber zum Stehen kommt. Ich ziehe schnell den Zündschlüssel ab. Doch der Motor steht eh schon. Hinter mir schwebt eine Ölwolke in der Luft und verbreitet einen nichts Gutes verheißenden Geruch. In mir kommt leichte Panik auf. Das schaut nach größerem Schaden aus. Ende der Reise? Nie! Und wenn ich zu Fuß weitergehen muss! Reparieren? Das entscheide ich morgen. Ich stopfe mit zitternden Händen eine Pfeife und zünde sie an. Da sitze ich nun auf meinem leblosen Mammut und blase Rauch und Trübsal. Ich lasse meinen Blick in die Runde schweifen. Zum Glück hat mein Mammut auf einem Hügelrücken den Geist aufgegeben. So gut hatte ich es schon dressiert. Etwas unterhalb erkenne ich ein paar Wohnwagen, Zelte und Autos und in der Nähe ein Natursteinhaus. Das muss ein Campingplatz sein! Ich schiebe leicht an, springe auf und lass rollen. Bald darauf biege ich ab in den Zufahrtsweg und komme nach ein paar Minuten auf dem Platz zum Stehen. UFF!
Ehe ich absteigen kann, bin ich schon von einer Schar Kinder umringt. Diese werden für die nächsten Monate das erste Empfangskomitee sein, wo auch immer ich ankomme. Dann kommen auch die ersten Erwachsenen aus dem Schatten. Alle sind von dunkler Hautfarbe, an den Fingern glitzern dicke Ringe, manche stellen ihre Goldzähne zur Schau. Das Schicksal hat mich in ein Zigeunerlager geführt! Eigentlich logisch, denn ich gehöre gewissermaßen auch zum „Fahrenden Volk“. Fragen schwirren durch die Luft. „Ich nix verstehen! Deutsch!“, sage ich. Mit einer Handbewegung ruft der Chef einen wohl 18-jährigen Burschen heran. Dieser kann etwas Deutsch. Januz oder so ähnlich heißt er, „Hans auf Deutsch, nenne mich Hans!“ sagt er. Ich erkläre ihm meine Lage. Ob ich hier ein paar Tage bleiben kann, die Zeit, die Panne zu reparieren? Natürlich gegen Bezahlung… Er dreht sich zu den anderen um und erklärt stolz und mit viel Gebärden mein Problem. Die Kinder umringen jetzt ihn und lauschen seinem Bericht. Folgt eine kurze Beratung der Männer. Die Frauen stehen im Hintergrund. Oft reden sie hinter vorgehaltener Hand. Vielleicht, dass ich ihre Worte nicht vom Mund ablesen kann, oder nicht ihre schlechten Zähne sehe. Aber die sind unter Gold versteckt.
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