Sie schluckte und verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken, während die Mätresse sie anstarrte wie ein Klingenbär auf der Pirsch.
„Ja, Ja. Alora? Hat Hollu Recht?“, rollte Lucas Stimme wie eine Sturmflut über sie hinweg.
„MyLady, ich kann das…“
„Erklären? Da bin ich gespannt. Seit zwei Monden hast du den Auftrag die Unterkunft der edlen Herren und Damen aus Cent zu planen und herzurichten. Und wie weit bist du gekommen?“
„Ich… ich...“
„Vergiss es Kind. Hollu hast du etwas für mich?“ Luca drehte sich in Richtung des zweiten Mädchens.
Diese setzte ein Grinsen auf das Alora am liebsten mit einem Morgenstern zerschmettert hätte. Das hässliche Lächeln betonte Hollus nicht vorhandene Schönheit nochmals um ein Vielfaches. Sie hätte über alles hinwegsehen können: Sei es Hollus dicker Hals oder die kleinen Rattenaugen, aber sie ekelte sich vor allem vor den winzigen Zähnen, die kaum zu sehen waren in einem Berg aus rotem Zahnfleisch.
„Natürlich, MyLady! Wir könnten…“
„Gut! Dann geh und richte alles her. Alora, du kommst mit mir, sofort“, stoppte Luca Hollu, um sie danach zu ignorieren.
„Selbstverständlich, MyLady.“
Die Mätresse erhob sich würdevoll, keine Sekunde konnte man ihr ansehen, dass sie bereits fünfzig Winter gesehen hatte. Ihr Haar saß perfekt und ihr langes Kleid war wie jeden Tag über jeden Zweifel erhaben.
„Hollu. Was stehst du hier noch rum? Ran an die Arbeit!“
Hollu verneigte sich hektisch und eilte durch die Tür, während Lady Luca zum großen Spiegel ging der gegenüber der mächtigen mit bunten Glas verzierten Fensters stand. Der gigantische Spiegel nahm fast eine gesamte Wand des großen Gemachs der Mätresse ein und ruhte in einem reich verzierten Rahmen aus glänzend polierter Bronze. Luca begutachtete sich nochmals genau im Spiegel, kontrollierte die Haare, ihre Schminke und ihr Kleid. Alles saß absolut perfekt.
„Alora, Kind. Warum sabotierst du dich immer wieder selbst?“, fragte sie, ohne den Blick vom Spiegel zu lösen. „Du musst endlich deinen Kopf zusammenhalten und die Dinge, die dir aufgetragen werden, erledigen. Und nicht zwei Monde lang liegen lassen.“
„Es tut mir leid MyLady… Ich.“
„Spare es dir. Und komm mit.“
Mit gesenkten Kopf folgte Alora der Mätresse aus den Gemächern wieder in die Gänge der Feste.
„Pass auf Mädchen“, begann Luca im Gang zu reden, „die Cents werden heute kurz vor Sonnenuntergang erwartet. Die Königin, wie auch ich, haben gehofft, dass der Schnee sie verlangsam würde, aber scheinbar bewirkte dieser das genaue Gegenteil und beschleunigte den Tross sogar.“
„Der Schnee ließ sie schneller werden?“, fragte Alora verwundert.
Luca nickte. „Es scheint so. Vielleicht wollen sie schneller ins Warme, ich weiß es nicht Kind. Auf jeden Fall sind sie einen ganzen Halbmond zu früh hier.“
Sie gingen die Treppen hinab und überquerten die zweite Brücke des Turms. Kurz zögerte Alora, bevor sie die Brücke betraten. Aber sie wusste, dass Luca für solche Kleinigkeiten wie Höhenangst kein Verständnis hatte und folgte ihr deshalb so schnell wie möglich. Jeder Gardist, dem sie auf ihrem Weg begegneten, machte ihnen, oder vielmehr Luca, schnell Platz. Die Männer wussten, dass Lady Luca auch ohne Grund einen diebischen Spaß daran hatte, Gardisten rumzukommandieren und ihnen sinnlose Befehle zu geben. Luca hatte Alora einmal erklärt, dass sie so sichergehen wollte, dass auch die Gardisten, allesamt Veteranen und große Krieger der Armee, den Respekt vor ihr nicht verloren.
„Dieses Treffen von König Refle und Imperator Komir, welches du so sorgfältig vergessen zu haben scheinst, ist das erste Treffen zwischen Worgu und Cent seit sechzig Wintern“, erklärte die Mätresse, als sie die Brücke überquert hatten und den Schwertturm des Königshauses erreicht hatten.
„Also seit dem großen Krieg?“, konnte Alora sich nicht verkneifen zu fragen.
Luca lächelte und nickte. „Exakt. Wie du auch weißt, ist Cent eines der mächtigsten Reiche der bekannten Welt. Das behaupten sie zumindest, während wir natürlich selbiges von uns behaupten. Deshalb ist dieses Treffen auch so ungemein wichtig. Allianzen werden geschmiedet für die Zukunft beider Reiche.“
„Verstehe“, nickte Alora, als sie langsam die engen gewundenen Treppen des Schwerturms hinabstiegen.
Anders als die großen Wohntürme der Feste waren der Schwertturm und sein direkter Zwilling der Schildturm enge, verzweigte Labyrinthe aus kleinen unübersichtlichen Räumen, die alle miteinander verschachtelt waren. Während ihrer ersten Zeit in der Feste hatte Alora sich mehrfach in einem der beiden Türme verlaufen und weinend in irgendeinem der engen Räume geendet. Einmal hatte sie ein Gardist gefunden, dann war es einmal Luca, die alles andere als begeistert darüber gewesen war und auch Duk hatte sie einmal mehrere Hände im Turm gesucht. Dieser erklärte ihr dann das Geheimnis der beiden Türme, die den großen Kronensaal der Feste flankierten.
„Das sind Wehrtürme Alora“, sagte er damals. „Hier lebt niemand, hier isst niemand. Nur, wenn es jemals soweit kommen sollte, dass die Feste angegriffen wird, sind diese Türme das letzte Bollwerk zum Schutz der Königsfamilie.“
„Ich mag sie nicht“, jammerte sie damals und entlockte so ein Lachen.
„Hier soll sich auch niemand wohlfühlen.“
Im Erdgeschoss angekommen wich die schlichte Einfachheit der Feste mit ihren dunklen Steinen nun endgültig dem Prunk. Der Gang wurde deutlich breiter, mindestens zwanzig Schritt, und fast zehn Schritte hoch. Links und rechts waren die Wände auf halber Höhe mit glänzenden rotbraunen Hölzern beschlagen und edle bronzene Kerzenhalter ragten aus den Wänden in den Gang hinein. Ein breiter purpurroter Teppich sollte die Gäste des Kronensaals sanft zu ihrem Ziel geleiten. Sei es die große Bibliothek Worgus, in der auch Alora den ein oder anderen Tag verbringen musste, eine der Tempel der Götter oder, das Hauptziel der meisten Gäste - der Thronsaal König Refles. Die Besucher wurden im Gang von dutzenden Fresken und Gemälden begrüßt. Unkundigen Reisenden sollten die wichtigsten Ereignisse der Worgunischen Geschichte gezeigt werden. Von der Besetzung des Landes durch die ersten Worgus vor Wintertausenden über die Eroberungskriege vor Winterhunderten bis zu den letzten Nordkriegen vor wenigen Wintern. Jedes wichtige Ereignis der Geschichte bekam seinen Platz und sollte die nachfolgenden Generationen an das Vergangene erinnern. Eines der neusten, und auch größten Fresken war das fast zehn Schritt lange Fresko, das die Schlacht von Kalum darstellte. Es zeigte wie die stolzen Truppen Worgus, ganz vorne natürlich König Refle persönlich, auf den Rücken ihrer weißen Pferde die Phalanx der Barbaren aus dem Norden überrannten. In Kalum wurde die größte und entscheidende Schlacht des zweiten Nordkriegs geschlagen. Mit dem Sieg der Worgunischen Truppen endete die Schreckensherrschaft des Joglu Königs Winterzorn, der sein Volk aushungerte und zwang erneut gegen Worgu zu den Waffen zu greifen. Sie hatte vieles über die Schlacht in den Chroniken Worgus gelesen. Genauestens wurde beschrieben, wie über einhunderttausend Barbaren den Norden Worgus überrannten. Auch Aloras Heimatdorf sollte damals in Gefahr gewesen sein Opfer der Joglu zu werden. Erst durch das tapfere eingreifen Refles und seiner Armee konnten die Barbaren gestoppt werden. Fünfzigtausend Worgunische Männer vernichteten damals die feindliche Übermacht in einer legendären Schlacht. Ein glorreicher und großer Sieg über den noch in den Winterhunderten Lieder gesungen werden würden. Nach dem Krieg hatte Refle dem Volk Joglus die Freiheit geschenkt. Die Joglu sollten ihr Land erneut aufbauen und in Frieden leben. Überall in den Chroniken wurde Refle als Befreier beschrieben. Sie hatte Duk des Öfteren gefragt wie es in Joglu sei, wie der Kampf gegen die Barbaren abgelaufen war, aber er antwortete nie auf ihre Fragen.
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