1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Dr. Werner Wüst spielte in meinem Thriller den Betreiber jenes Logistikmonsters und hieß Dr. Dietrich Dreist. In meiner Geschichte trug er immer eine schusssichere Weste unter dem schicken tristen Anzug, ich denke Sie erinnern sich. Ich war mir sicher, dass dies genug verfremdet war. Er sah es wohl anders.
Der Chef des Wüstimperiums ließ seine Kettenhunde auf mich los und so schrieb als erstes ein gewisser Landolf Himmler unter dem Kürzel L.H. einen Leserbrief in der Mittelhessischen Allgemeinen:
Oh mein Gott, jetzt haben die Logistik-Verteufler eine neue Bibel. Und dafür mussten, während alle vom Klimawandel reden, Bäume sterben. Ich habe noch nie so einen hanebüchenen Mist gelesen. Man hat das Gefühl die größten Licher Querulanten und Besserwisser standen hinter dem Autor und haben diktiert. Hiermit wird niemandem ein Gefallen getan, dieses Werk ist Hetze der übelsten Machart. Die Licher Normalbürger können es nicht mehr hören und lesen erst recht nicht.
Wo waren denn die Gegner im Mai 2018, als bekannt wurde, dass dieses Logistikzentrum gebaut werden soll? Im Urlaub? Oder chillender Weise auf dem Sofa? Ich könnte hier jetzt noch stundenlang fortfahren und erklären wieso, weshalb und warum dieses Buch nichts taugt, aber damit vergeude ich nur meine kostbare Lebenszeit – genauso wie die Querulanten, die nichts anderes mehr machen als Stimmung … ganz, ganz schlimme Stimmung. Kurzum: Es ist das Buch eines Taugenichts.
L.H., Lich
Um mit Himmlers Worten zu reden, sagte ich zu Stella: „Das ist nun wirklich hanebüchener Mist, aber es ist genau der Verschwörungs-Stoff, aus dem man Romane strickt: Solche Leserbriefe benötigt ein Roman. Widersprüche, Missverständnisse und viele Dummheiten beleben eine Geschichte – ohne das geht es gar nicht. Ich müsste Herrn Himmler aus Dankbarkeit mein handsigniertes, in Gold gebundenes Buch zum Geschenk machen – mit den Worten: Diese Bibel, Herr Himmler, hat der himmlische Vater für Sie verfassen lassen, nur für Sie! “
Stella sah es weniger Story-technisch und mehr von der logischen Seite: „Da gibt es also laut L.H. eine ganze Menge chillender Querulanten, die sich mit all ihrer chillenden Kraft zwar gegen ein harmloses Logistikmonster stemmen, aber dann setzen sie sich über alle ihre eigenen Bedenken hinweg und fahren einfach in Urlaub. Währenddessen werden ohne ihr Wissen und ohne ihr Zutun hinter ihrem Rücken Verträge verhandelt – wahrscheinlich kannten die Rathausverantwortlichen die Urlaubspläne von hunderten Licher Protestbürgern. Überhaupt Urlaub! Belastet das die Umwelt nicht völlig unnötig? Und dann, während diese Protestlümmel auf ihrem Sofa chillen und ihren Traumurlaub genießen, diktieren sie stundenlang einem beschränkten Autor den Stoff, aus dem das Leben ist.“
Ich wiederholte murmelnd einen der Vorwürfe, die an mir hängen geblieben waren: „Und dieser Typ lässt Bäume fällen, damit sein Buch die Stadt erschüttert.“ Ich machte eine Gedankenpause und musste mit einem Mal an das Unwetter und die starke Gewitterfront über Lich denken, die uns erst kürzlich heimgesucht hatte. Ich hatte mich vor einem der ersten Unwetter rechtzeitig bei Stellas Nachbarin Lilli, ihrem Sohn Felix und seinem Freund Jonas in Sicherheit bringen können. Stella sah mich prüfend an.
Schließlich sagte ich: „Außerdem habe nicht ich die Bäume gefällt, sondern der Sturm. Und wenn solche Ignoranten wie …“
Stella unterbrach mich. „Bitte nicht vertiefen. Zur Sache, Schätzchen: Ich dachte das Buch ist aus Recyclingpapier.“ Sie sagte es so bestimmt, dass ich unbedingt auf das Recyceln zu sprechen kommen wollte, was sie jedoch gekonnt mit einem einzigen Satz zu verhindern wusste: „Schweif jetzt bitte nicht ab, du chillender Querulanten-Autor.“
„Ich glaube, Herr Himmler hat sich höllisch verschrieben. Wenn er wirklich mich im Blick hatte, dann meinte er wahrscheinlich einen »schillernden Autor«.
„Ja, das kommt eher hin“, sagte Stella und gab mir über den Tisch hinweg einen Kuss. Das liebte ich an ihr. Sie küsst nicht nur gut, sondern auch oft, und jeder Kuss gibt mir eine Vorstellung von der realen Kraft der Liebe – und erinnert mich an die frühen Jahre der Hippie-Zeit, in denen mit dem Schwert der Liebe die Kriegsschwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet werden sollten. Hoffnungen, Visionen, Illusionen? Jedenfalls Stoff fürs Überleben, oder?
Meine Gedanken wurden abrupt unterbrochen, als Stella noch einmal Landolf Himmlers letzten Satz vorlas: „Es ist das Buch eines Taugenichts.“
„Endlich habe ich eine ordentliche Rezension!“, sagte ich.
Wir lachten so laut, dass Isabelle, unsere Nachbarin, aus ihrer Balkontür trat und zu uns herüberschaute. „Darf ich mitlachen?“
„Du darfst“, antwortete ich und bot ihr ein Glas Chianti an. Ich wusste, dass Isabelle nicht nein sagen würde. Sie arbeitet als Krankenschwester in der Licher Klinik – „Schwerstarbeit“ hatte sie mir gesagt – und nach getaner Arbeit ermutigte sie sich jeden Abend mit einem Gläschen Sekt. Sie kommt aus Rumänien, und Sekt war für sie erst hier erschwinglich. Nun also Rotwein statt Sekt.
Ihr Balkon ist direkt an unseren angebaut, aber mit einer halbhohen Schutzwand abgetrennt. Stella und ich rückten unsere Stühle und das Abstelltischchen an die Trennwand, und so konnten wir gemeinsam anstoßen und uns über die Leserbriefschlacht unterhalten. Ich erzählte ihr von Herrn Himmlers himmlischer Theorie und wir lachten gemeinsam. Isabelle holte eine etwas zerfledderte Zeitung aus ihrem Papierkorb und zeigte mir die Leserbriefseite. „Da steht auch etwas über dein Buch. Total positiv. Aber das wirst du ja schon gelesen haben.“
Hatte ich aber nicht.
Sie reichte mir den Ausschnitt rüber und ich las Stella laut vor: Dieser Thriller ist ein fantastisches Fantasieprodukt und stützt sich dennoch auf Tatsachen. Die mögen strittig sein oder auch nicht – in einem Thriller spielt das (wie in der Literatur generell) keine Rolle. Dieser Zeitreise-Roman in die Zukunft ist einfach spitze. Ich habe – wahrscheinlich im Unterschied zu einem anderen Kommentator – das Buch vollständig gelesen und zwar mit Begeisterung. Es war unterhaltsam, mit einer überraschenden Handlung. Es war ein bisschen wie: Man macht die Tüte mit den Chips auf, die man noch nicht kennt, ist begeistert vom Geschmack. Und auch wenn man versucht sich zu zügeln, die Tüte immer wieder kurz schließt und weglegt, macht man sie doch danach gleich wieder auf, bis sie leer ist. Sehr zu empfehlen.
Angela Ludwig, Lich
„Na, wenn da nicht Bestechung im Spiel war. Wie viel hast du der Dame bezahlt?“, fragte Stella.
Ab diesem Punkt drehte sich unser Gespräch um jene Passage, in der unser Ex-Bürgermeister Arturo Groß als bestochener Politiker in meine Geschichte eingegangen war. Stellas Optik-Kollegin Vanessa – mit ihren 35 Jahren fünf Jahre jünger als meine Liebste – hatte ihr eine sehr verständliche Frage gestellt, als die Zwei beim Griechen saßen. Im „Moustaki“ essen die beiden öfter zu Mittag.
„Woher will Stefan denn wissen, dass unser damaliger Bürgermeister in einen Bestechungsskandal verwickelt war?“
„Da solltest du Stefan besser selber fragen“, hatte Stella geantwortet.
„Hat er dir nicht die Hintergründe erzählt? Solch ein Vorwurf ist doch ein ganz schöner Hammer.“
Natürlich hatte Stella alles, was sie von mir wusste, ihrer Kollegin erzählt. Sie hatte tatsächlich die Substanz meiner Argumente recht nachvollziehbar wiedergegeben. Und sie war keine Politologin.
„Das interessiert mich natürlich auch“, sagte unsere Nachbarin. „Wie funktioniert Bestechung in Deutschland und wie erkennt man es?“
„Wie funktioniert es denn in deiner Heimat?“, stellte ich die Gegenfrage.
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