„Wir wissen ja, dass die AMOC verschiedene Betriebsmodi haben kann. Gerade ist sie im starken Modus“, sagte Dr. Jones und schlürfte nachdenklich am Kaffee. Dann erzählte sie Lars Kirchhübel, was sie mit Boers telefonisch besprochen hatte.
Lars holte ein paar Kekse, reichte sie Sarah und sagte: „Die AMOC ist also im stärksten Modus, den die Strömung haben kann – umso bedenklicher, wenn Professor Boers, ebenso wie du, zum selben Schluss kommen: Dass sie trotz starkem Modus so schwach ist wie nie zuvor in den letzten tausend Jahren.“ Er stand auf, um sich zwei Würfelzucker aus dem Schränkchen über der Spüle zu holen. „Nimmst du auch Zucker?“
Sarah schüttelte den Kopf. „Nach drei Jahren fragst du noch immer! Wenn du bei deiner Arbeit genauso vergesslich bist, werden wir eines Tages vom Wetterchaos überrascht werden.“
Beide lachten.
Dann deutete Sarah auf die zweite Seite der Studie und sagte: „Wenn die Prognose unseres Nordlichts zutrifft, dann sähe die hiesige Realität doch erheblich anders aus als die bisherige. Wir könnten sowohl in Europa wie auch in Nordamerika extreme Kälteperioden erleben – trotz allgemeiner Klimaerwärmung.“
Kirchhübel hatte den Kaffee etwas zu schnell getrunken und litt jetzt an Schluckauf.
„Solch ein Schluckauf könnte die Ostküste der USA heimsuchen – ein überschwappender Meeresspiegel“, sagte Sarah Jones und verbiss sich das Lachen.
„Es ist wirklich nicht zum Lachen“, sagte ihr Kollege, „zumal Störungen der saisonalen Monsunregen, die einen Großteil der Welt mit Süßwasser versorgen, möglich sind. Und nicht zu vergessen: Durch die Temperaturschwankungen könnten vor allem Fischarten aussterben, die sich nicht so schnell anzupassen vermögen.“
„Ich sehe als Hauptgefahr den Dominoeffekt“, erklärte Sarah Jones ihre Sicht der Klima-Entwicklung. „Das Kippen eines Punktes bleibt beileibe nicht ohne Auswirkung auf die anderen. Für den Amazonas-Regenwald sind solche Rückkopplungseffekte bereits beschrieben worden.“
„Ich bin froh, dass wir aus diesen Ereignissen die gleichen Schlussfolgerungen ziehen“, sagte Lars, und fügte nach einer Weile hinzu: „Ein gleicher Dominoeffekte existiert zweifellos auch zwischen dem Abschmelzen des grönländischen Eisschildes, das dann die AMOC praktisch zum Erliegen bringen würde. Das hätte unabsehbare Folgen: Weil sodann die Temperaturen in bestimmten Gegenden der Welt steigen und Biosphären und Ozeane diese Veränderungen nicht mehr abpuffern können, würden weitere Kippelemente fallen, was die Entwicklung dramatisch verstärken würde.“
*
In diesen frühen Stunden des Dienstagmorgens ging in Lich ein Mann mittleren Alters etwas keuchend den ansteigenden Guckertsweg hoch. Die Entfernung zu dem in Windeseile entstandenen Logistikklotz betrug nicht einmal einen Kilometer und der Bau war schon in seiner Sichtweite. Unwillig schüttelte er den Kopf. Der Mann trug eine blaue Arbeitshose und ein Sporthemd und kannte diesen Weg hoch auf den Prominentenhügel noch aus früheren Tagen, als dieses Wohngebiet in seiner bedeutungsvollen Blüte stand. Thomas bog an einer der oberen Straßen rechts ab und bald schon stand er vor der verlassen daliegenden Villa.
Hier, im kleinen Nachbarhaus des Villenanwesens, hatte er mit seinen Eltern die Kindheit verbracht, als sein Vater noch Chef des Hauspersonals und so etwas wie ein Butler für die Villeneigentümer war. Nun hatte er seit zehn Jahren die Stelle seines Vaters eingenommen, obwohl die ursprünglichen Besitzer, das Verlegerehepaar, der alte Herr Dr. Horst Wernecke und dessen Frau Emma, ebenso wie seine Eltern längst verstorben waren.
Thomas Wünsch liebte die frühe Stunde. Er mochte es nicht, wenn die Nachbarschaft ihn zu sehen bekam. Er schloss die schwergängige, historisch anmutende Eichentür auf, sah sich in den Räumen um – alles war sauber und in geordnetem Zustand, kein Wunder, schließlich war das Haus bis auf die monatliche Versammlung eines gewissen Clubs unbewohnt und menschenleer.
Werneckes Nachkomme, sein Sohn Dr. Niklas Wernecke, hatte Thomas die Pflege der Villa und ihres prachtvollen Gartens anvertraut; sie kannten sich aus Kindestagen. Rein beruflich sprach Dr. Wernecke jun. seinen ehemaligen Spielkameraden etwas unbeholfen mit „mein Vertrauter“ an. Ich kannte beide inzwischen recht gut. Schließlich war Wernecke jun. mein Verleger. Doch dazu später.
Der Vertraute ging nach hinten durch die Terrassentür, holte im Gerätehaus die Heckenschere heraus und schnitt um diese frühe Uhrzeit per Hand die Büsche im Vorgarten, sichtlich darauf bedacht, keine Geräusche zu verursachen, nicht aufzufallen, niemanden zu wecken und dabei den Sonnenaufgang zu genießen.
Er liebte seine Arbeit. Aber er hatte gestern Abend eine beunruhigende TV-Sendung mit einer Klimaexpertin der Universität Oxford gesehen. Daran musste er denken, als er die Büsche schnitt, damit Freitagabend keiner der Besucher Anstoß an einem eventuell als verwildert zu bemängelnden Zustand nehmen konnte. Auch Mittwoch und Donnerstag, das war ihm klar, musste er noch einige Stunden hier arbeiten.
Thomas Wünsch schien jederzeit auf die biologischen und ökologischen Belange des Anwesens zu achten. Bei seiner Gartenarbeit ließ er die Blühpflanzen besonders lange stehen, stutzte nur die notwendigsten Äste von Bäumen und Büschen. Er schaute auf die Uhr, es war jetzt fünf Uhr früh – Zeit, mit seiner geräuschlosen Arbeit zu beginnen.
Nur eine halbe Stunde später, gegen halb Sechs, setzte sich in Oxford die Klimaforscherin, über die Thomas am Abend einen Bericht gesehen hatte, an ihren Schreibtisch und verfasste einen Artikel. Die gebürtige Kielerin Friederike Otto beschäftigte die Frage, was die klimatischen Treiber der Extremwetter sind. Sie arbeitete seit zwei Jahren am Thema der meteorologischen Rückkopplungseffekte und hatte bestimmte Unwetterereignisse auf ihrem Schirm.
Da ging es zum einen um das von Hitze und Dürre geplagte Nordamerika und das schon wieder oder immer noch brennende Kalifornien. Da suchten schwerste Schlammlawinen Japan heim; in Nevada trockneten serienweise Seen wie der Washoe Lake vollständig aus; mächtige Wirbelstürme zerschmetterten ganze Städte in Kanada; Sibirien brannte – in Deutschland herrschte Ruhe. „Noch …“, dachte sie und machte sich an die Arbeit.
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