Tanja sah ihn verwundert an. Sie hatte vielleicht nicht mitbekommen, dass er Todesängste ausstand, aber dass es ihm ernst war, dass Eile geboten war, das hatte sie verstanden. Sie paddelte näher.
„Dirk, was hast du?“, fragte Sven.
Dirk beobachtete, wie sich das schwarze Gebilde um die Ecke des Floßes legte. Ein paar Sekunden lang sah es aus wie ein Fabelwesen im TV, das elektronische Bonbons verschlingen will. Dann kroch es am Floß entlang; aus dem Kreis war ein Halbkreis geworden.
„Hilf mir sie raufzuziehen!“, grunzte Dirk, zu Sven gewandt. Er ging in die Knie und streckte die Hand nach Tanja aus. „Schnell!“
Sven reagierte mit einem gutmütigen Schulterzucken. Er ergriff Tanjas freie Hand. Sie zogen das Mädchen aufs Floß, bevor der schwarze Fleck die Leiter erreichte.
„Dirk, bist du verrückt geworden?“ Tanja war außer Atem. Sie hatte Angst. Unter dem nassen BH zeichneten sich ihre harten Brustspitzen ab.
„Das da“, sagte Dirk und deutete ins Wasser. „Was ist das, Sven?“
Sven hatte den Fleck bemerkt. Das Gebilde war an der linken Seite des Floßes angekommen. Es wich zurück und nahm wieder seine runde Form an. Dort war es und schwamm, die vier Menschen auf dem Floß betrachteten es.
„Ein Benzinfleck vermutlich“, sagte Sven.
„Du hast mir das Knie verrenkt“, fauchte Nicole böse und sah zu Dirk. Dann starrte sie auf das schwarze Gebilde im Wasser, dann wanderte ihr Blick wieder zu Dirk. „Du hast …“
„Du selbst hast es dir angestoßen“, sagte Dirk und sah zu dem Fleck.
Einen Moment lang herrschte Schweigen.
„Das ist kein Benzinfleck“, sagte Dirk. „Habt ihr je solch einen kreisrunden Fleck gesehen? Das Ding sieht eher aus wie ein großer Dame-Stein.“
„Ich hab noch nie einen Benzinfleck auf dem Wasser gesehen“, erklärte Sven. Er sagte es zu Dirk, aber sein Blick war auf Tanja gerichtet. Tanjas Höschen war fast so durchsichtig wie ihr BH. Das Delta ihrer Scham zeichnete sich ab, flankiert von den Halbmonden ihres Hinterns. „Ich bin nicht mal sicher, ob es so was wie einen Benzinfleck überhaupt geben kann. Ich bin aus der Pfalz.“
„Motorboote sind auf dem See nicht zugelassen“, wandte Dirk ein.
„Ich werde eine blaue Stelle kriegen“, sagte Nicole, aber man konnte hören, dass ihr Zorn verraucht war. Sie hatte bemerkt, wie Sven Tanja ansah.
„Gott, ist mir kalt“, sagte Tanja. Sie erschauderte und achtete darauf, dass es hübsch aussah.
„Es wollte sich die Mädchen schnappen“, sagte Dirk.
„Jetzt mach aber einen Punkt, Pancho. Du hast doch gesagt, du bist nüchtern.“
„Es wollte sich die Mädchen schnappen“, wiederholte er stur. „Niemand weiß, dass wir hier sind. Niemand. “ Dirk dachte an das leerstehende Clubhaus des Segelclubs.
„Hast du denn schon mal einen Benzinfleck gesehen, Pancho?“ Sven legte Tanja den Arm um die nackte Schulter; es war dieselbe zerstreute Geste, mit der er in der Wohnung Nicoles Brüste berührt hatte. Tanjas Brüste berührte er nicht, aber hielt die Hand ganz in der Nähe. Dirk sagte sich, es war egal. Nicht egal war ihm der runde schwarze Fleck auf dem Wasser.
„Ich hab vor vier Jahren mal einen Ölfleck gesehen“, erklärte er. „Das war vor Amrum. Wir haben damals die Seevögel aus der Brandung geholt und versucht, sie vom Öl zu befreien.“
„Sehr ökologisch, Pancho!“, lobte Sven. „Mucho ökologisch.“ Dann ging er einen kleinen Schritt von Tanja weg, um den Fleck näher zu betrachten.
„Aber das hat ganz anders ausgesehen“, fuhr Dirk fort. „Es war eine klebrige Masse, die über das ganze Wasser verbreitet war, mit Streifen und Flecken. Es war nicht kompakt wie das da.“
Die Ölpest vor Amrum war ein Zufall, wollte er sagen. Aber dieser Fleck hier ist kein Zufall. Er ist absichtlich da. Doch Dirk schwieg.
„Ich möchte jetzt heim“, sagte Nicole. Immer noch sah sie Sven und Tanja an. Sie war eingeschnappt. Dirk fragte sich, ob sie wohl wusste, wie beleidigt sie aussah. Und ob sie überhaupt wusste, dass sie so aussah.
„Dann verschwinde“, sagte Tanja, und Dirk sah den Triumph in ihren Augen. Es war ein Gefühl, das sich nicht unbedingt gegen Nicole richtete, aber Tanja machte auch keine Anstalten, vor Nicole zu verbergen, was sie empfand.
Tanja machte einen Schritt auf Sven zu; die beiden waren jetzt nur noch eine Handbreit voneinander entfernt. Und dann berührten sich ihre Hüften.
Dirk löste den Blick von dem schwarzen Fleck, um Tanja anzusehen. Er empfand jetzt Hass auf dieses Mädchen. Noch nie hatte er eine Frau geschlagen, aber in diesem Augenblick hätte er nur zu gern auf Tanja eingeschlagen. Nicht etwa, weil er sie hundertprozentig liebte. Er hatte sich nur ein bisschen in sie verliebt, nicht mehr. Und geil war er auf sie, gar nicht so knapp, jawohl, und er war auch eifersüchtig gewesen, als sie Sven im Apartment schöne Augen gemacht hatte, oh ja, aber wenn er sie wirklich liebte, dann hätte er sie mindestens fünfzehn Kilometer von Sven entfernt gehalten. Aber er verstand Nicoles Gesichtsausdruck; er wusste genau, wie sich der Ausdruck auf Nicoles Gesicht von innen anfühlte.
„Ich habe Angst“, sagte Nicole.
„Vor einem unbedeutenden Fleck?“, fragte Tanja ungläubig und deutete zu den Enten, die in einiger Entfernung das Weite suchten. Sie lachte. Und wieder überkam Dirk der schier unbezähmbare Drang, auf sie einzuschlagen, ihr eine saftige Ohrfeige zu geben, so dass der hochmütige Ausdruck aus ihrem Gesicht einem blauen Fleck von der Größe seiner Hand Platz machen würde.
„Dann wollen wir mal sehen, wie du zurückschwimmst“, sagte Dirk zu ihr.
Sie sah ihn mit einem nachsichtigen Lächeln an. „Ich möchte noch auf dem Floß bleiben.“ Sie sprach, als müsste sie einem Kind etwas erklären. Sie sah zum Himmel auf, dann blieb ihr Blick auf Sven haften. „Ich möchte die Sterne herauskommen sehen.“
Nicole war ein hübsches Mädchen, aber sie hatte auch etwas, das Dirk an einen Gassenjungen erinnerte. Sie wirkte unsicher, und Dirk musste an die Kasseler Mädchen denken, wie sie morgens zur Arbeit ins Logistikzentrum hasteten, in ihren geschlitzten Röcken, der Schlitz konnte vorne oder auf der Seite sein, und allen stand diese neurotische Schönheit ins Gesicht geschrieben. Nicoles Augen sprühten, wann immer man sie ansah, aber es war schwer zu sagen, ob das gute Laune oder Angst war.
Nicole war klein, und Sven mochte nur großgewachsene Mädchen, Mädchen mit dunklem Haar und Schlafzimmeraugen. Dirk wusste, wenn Sven und Nicole eine ernsthafte Liebe verbunden hatte, dann war sie jetzt vorbei. Wenn da überhaupt etwas gewesen war, dann hatte sich Sven sehr langweilig angestellt; von Nicoles Seite war es sicher sehr ernsthaft, tief empfunden und kompliziert gewesen, vor allem sehr schmerzhaft. Aber es war vorbei, da hatte Dirk keinen Zweifel, die Sache war eben in diesem Augenblick zu Ende gegangen; fast war es Dirk, als hätte er einen Stab zerbrechen gehört.
Dirk war von der scheuen Art, aber jetzt trat er zu Nicole und legte den Arm um sie. Sie sah ihn kurz an. Sie wirkte unglücklich, aber doch irgendwie dankbar für die Geste. Dirk war erleichtert, dass es ihm gelungen war, ihr eine kleine Freude zu machen. Und dann kehrte der Gedanke zurück, dass sie jemandem ähnlich war. Ihr Gesicht, ihre Augen …
Zuerst dachte er an die Schauspielerinnen, die er bei TV-Shows gesehen hatte, an die Mädels, die in Werbespots Kekse oder Waffeln anboten oder anderes Zeug. Schließlich fiel es ihm ein: sie sah aus wie Nicollette Sheridan, die bei Desperate Housewives die Rolle der Edie Britt spielte.
„Was ist das für ein Gebilde?“ fragte sie. „Dirk, was ist das?“
„Ich weiß es nicht.“ Dirk spürte Svens Blick auf sich ruhen, Vertrautheit lag darin, aber auch Verachtung. Wahrscheinlich war sich Sven gar nicht bewusst, dass er Dirk verachtete. Der Blick bedeutete: »Dirk, unser Angsthase vom Dienst, pisst sich wieder mal in die Windeln«.
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