Stefan Koenig
Wilde Zeiten - 1970 etc.
Zeitreise-Roman Band 2
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Stefan Koenig Wilde Zeiten - 1970 etc. Zeitreise-Roman Band 2 Dieses ebook wurde erstellt bei
Wilde Zeiten - 1970 etc.
1970 - Aufbruch & Liebe & Musik & Terror
Zeit für Wohngemeinschaften
Die »konkret« &Ulrike Meinhof
Der Homo méditerranée & Krupp & Krause
Torremolinos & Verschwörung à la Dregger
Rio Reiser & Ton Steine Scherben
Herzberg Festival & Volontariat & unser Torre-Trip
Miss Wahlen & Big Eden & Marokko
Lauscher vom Teufelsberg & Schlepper
Feldpost & Glaube & Gewissen
Woodstock auf Fehmarn & Jimi Hendrix
Joschka & Häuserkampf & die »Bravo«
Weihnachten & Silvester 1970
1971 - Love & Peace & Fotzenneid
Rache für Che Guevara
Orwell & das Tagebuch & der Abschied
Gib auf, Ulrike!
Neue Perspektiven & zurück nach Ffm.
1972 - Umbrüche & Einbrüche & Siege & Macht
Gott & die Welt & der neue Schatz
Beuys & Kunst & Heroin & Willy
Schlafende Feldjäger & Captain Kirk
Entführungen & Verführungen
Weltjugend & ein Interview
Auf dem Weg zu neuen Ufern
Komparserie & das ewig Weibliche zieht uns hinan
1974 - Frust & Freude & die Bulli-Route
Lizenzen & Krautrock & My Bonnie
Rio Reiser & die Linken
Runder Fußball & rund herum durch Marokko
Svea auf Abwegen & Fasten Seat Belt
Dank und Nachbetrachtung
Roman-Thematik nach Jahren
Folgeromane zu „Wilde Zeiten – 1970 etc.“
Bisher erschienen von Stefan Koenig
Impressum neobooks
Stefan Koenig
Wilde Zeiten
1970 etc.
Zeitreise-Roman
Band 2
Aus dem Deutschen
ins Deutsche übersetzt
von Jürgen Bodelle
Jugend ist Wahrheit
***
„Bitte benehmen Sie sich,
wie es wohlerzogenen
jungen Damen und Herren ansteht:
keine Selbstmorde,
keine Sprengkörper,
keine Fehlgeburten.“
(Hinweis auf dem Schwarzen Brett
des Hotels Isabel in Torremolinos)
© 2019 by Stefan Koenig
Lektorat:
Herbert Bauch, Frankfurt am Main
Peter Döring, Ebbertshausen
Alexandra Pfeifer, Laubach
Christa Thiemann, Laubach
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Ja, alles ist im Fluss. Und einiges geht den Bach runter: Hoffnungen, Wünsche, Illusionen, Visionen – gewissermaßen die soziale Software. Was bisher trotz aller 68er-Rebellion blieb, ist die Hardware. Das harte Kerngeschäft des ein-prozentigen Establishments: Die Welt der Waren und des Geldes. Wir Jungen von damals, wir Politfreaks und Blumenkinder, wir versuchten die wahre Welt zu erkunden und der jugendlichen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. In stolzem und berechtigtem Eigeninteresse traten wir ein für Frieden, Gleichberechtigung von Frau und Mann, soziale Gerechtigkeit, Brüderlichkeit, Freiheit – für all die guten alten Ideale der französischen Revolution, auch wenn wir von dieser Historie noch nicht wirklich etwas verstanden.
Im ersten Band der Zeitreise-Serie, »Sexy Zeiten – 1968 etc.«, habe ich unser jugendliches Aufbegehren in seinen Anfängen geschildert, zum Teil eine individuelle, teils eine Familien- und im Ganzen eine gesellschaftliche Geschichte. Geschichte in Form eines Romans. Ich hoffe, Sie hatten Freude an diesem Einsteiger. Nun reisen wir von den Sechzigern weiter in die erste Hälfte der Siebziger Jahre. Auch hier erleben wir den Protest in all seinen Variationen. Und wir verspüren bereits erste gesellschaftliche Veränderungen – einige von uns gingen auf den großen Hippie-Trail, andere versanken im Studium von Marx und Engels, engagierten sich in Kirchen, Kinderläden, Verbänden und Parteien. Einige standen, however, abseits. Die Politik trieb Wandel durch Handel und wurde etwas weniger aggressiv. In diesem Moment wurde die alte Bundesrepublik bunter. Das allgegenwärtige Grau blätterte ab und eine andere Fassade kam zum Vorschein. Was bewegte uns damals?
1970 - Aufbruch & Liebe & Musik & Terror
Karin feuerte mich an. „Ich liebe dich.“ Ich war kurz vorm Kommen. Raketen zischten am Europacenter hoch. Eine knallte ein paar Fenster weiter gegen die von uns frisch eroberte Chefetage. Ein sexy Sternenregen ergoss sich, während auch ich fast am Explodieren war und Karin die Situation stöhnend untermalte. Ein tolles Schauspiel.
Sie liebt mich. Sind solcher Art Liebesgeständnisse eigentlich immer der speziellen Situation geschuldet? Ist es Schauspielerei? Ich weigerte mich, den Gedanken zu vertiefen. Einen Moment hielt ich inne und sagte: „Ich dich auch. Für immer und ewig.“
Draußen böllerte es ununterbrochen. Vor etwa zehn Minuten war das neue Jahrzehnt angebrochen. Wir hatten die Siebziger Jahre mit unserer ungeplanten wilden Liebesnacht rasant eingeläutet. Mitten in Westberlin. Hoch über den Dächern der Stadt. Drei Etagen unter uns würden unsere gleichaltrigen Partygäste der Center-Disco bis in den frühen Morgen tanzen – wir hörten sie nicht, aber wir wussten es. Alle Pärchen würden jetzt noch weitere Male anstoßen, sich umarmen, gegenseitige Versprechungen ins Ohr flüstern und Mumm trinken.
Mumm war in. Was würde ihnen und uns das neue Jahrzehnt bringen? Hätten wir Jungen den Mumm, weiterhin für eine neue Gesellschaft Rabatz zu machen und unsere Freizeit für die große Freiheits-Revolution und gegen das Geld-Establishment zu opfern? Was würde aus der Hippie-Kultur werden? Was aus der Friedenssehnsucht der Blumenkinder in California, einer hoffnungsvollen Sehnsucht, die auch in unserem noch immer viel zu grauen Land um sich griff?
Es war eine Stunde vor Mitternacht, als wir von der Uni-Silvester-Fete abgehauen waren. Sie fand unter dem Motto „Sieg dem Vietcong!“ statt. Das war ehrenhaft und politisch korrekt. Aber es war uns zu voll, zu viel Gedränge. Und zu qualmig, denn Rauchen war eine übliche Form der wortlosen Kommunikation – so „in“ wie die Räucherstäbchen und der bekannte süßliche Duft aus den gedrehten Joints. Uns war es an diesem Silvesterabend zu viel des Guten. Wir husteten beim Abtanzen um die Wette – und wir sehnten uns nach Zweisamkeit. So hatten wir zufällig auf dem Nachhauseweg statt in die Wohngemeinschaft in die geheime 21. Etage des Europacenters – in die verlassene Chefetage – gefunden.
Jetzt schossen sprühende Leuchtraketen aus Ost und West in Berlins kalte Winternacht. Das bunte Feuerwerk erreichte uns scheinbar mühelos in Westberlins höchstem Stockwerk. Gerade ging ein Lichterregen über der benachbarten Gedächtniskirche nieder. Was für ein Anblick!
Ich musste meine Aufmerksamkeit wieder auf Karin lenken, unbedingt. Das gebot nicht nur die ritterliche Höflichkeit, die man uns allerdings in Sachen Sex in der Tanzstunde nicht beigebracht hatte. Auch da war das Thema galant umgangen worden. Den ersten entsprechenden Hinweis hatte mein Schulfreund Pit ein Jahr zuvor von seiner Gaby erhalten, wie er damals entrüstet berichtet hatte.
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