Damals, im Osten, gab es nun eine Abmachung zwischen den unerfahrenen Bürgermeistern-Ost und einem gewitzten Baulöwen-West. Und es gab einen Beratervertrag zwischen jenem Baulöwen und seinem »Beratungsexperten«– seit wann der Beratervertrag existierte, kam nie heraus; man munkelte, dass schon zu Zeiten von Herrn Franks Amtsperiode etwas in der Pipeline war. Doch das Steuergeheimnis bewahrte die Herren vor der Offenlegung. Tatsache war laut Monitor jedenfalls, dass den im Osten unkundigen kommunalen Entscheidungsträgern von Alfons Frank ein sauteures, alle Proportionen sprengendes Abwassersystem angeraten wurde. Der Bund und die bundeseigene Förderbank bürgten für die Zahlung.
Also wurden die übergroßen Rohre bestellt und verlegt. Und dann, als die Scheiße durch die Kanalisation gespült werden sollte, blieb sie stecken und verstopfte alles. Kein einziger der überproportionierten Kanäle funktionierte. Konnte auch gar nicht. Denn wenn der Durchmesser des Abflussrohres zu groß und den mäßigen Gegebenheiten kleiner Gemeinden nicht angepasst ist, fehlt es an Durchflussgeschwindigkeit – dann eben bleibt die ganze Scheiße hängen.
„Das begreift doch jeder Achtklässler!“, rief Helena aus.
„Gewiss“, sagte ich, „aber völlig neu gewählte, falsch beratene Volksvertreter haben sich damals nun mal auf jene angeblich erfahrenen Koryphäen aus dem goldenen Westen verlassen.“
„Und damit waren sie verlassen!“, ergänzte Stella.
„Warum waren sie verlassen?“, fragte Isabelle. „Die konnten doch den Berater und die Baufirma in Haftung nehmen.“
Stella und ich mussten mühsam unser Lächeln unterbinden, es hätte elitär und etwas herablassend gewirkt, obwohl wir nicht im Entferntesten so dachten. „Leider gab es nach hiesiger Rechtsauffassung keinen Schuldigen, jedenfalls keinen, der dafür materiell geradestehen musste“, stellte ich klar.
„Aber der Berater hat doch völlig falsch beraten!“, sagte Isabelle.
Ich nickte zustimmend und sagte: „Sicher doch, aber er hat ja nur beraten und nicht die Entscheidung getroffen. Die Kaufentscheidung mag zwar aufgrund seiner falschen Expertise gefallen sein, aber allein das kann schon zum strittigen Punkt gemacht werden. Ausschlaggebend ist jedoch, dass allein die Auftraggeber, die letztendlich die Entscheidung getroffen haben, für das Resultat ihrer Entscheidung juristisch geradestehen müssen. Hinzu kommt, dass der Beratungsvertrag zwischen dem Läpp-Berater Frank und den Kommunen so ausgetüfftelt war, dass auf den Berater – egal was komme – keine Regresspflicht zukam.“
„Und die Läpp AG?“, fragte Helena. „Sie hat doch wissen müssen, dass die gelieferten Rohre mit ihren überdimensionierten Durchmessern völlig untauglich sind.“
„Läpp war – juristisch gesehen – völlig außen vor. Denn im Kaufvertrag war geregelt, dass die kommunalen Auftraggeber auf eigene Verantwortung bestellen und dass für die funktionalen Voruntersuchungen alleine die Kommunen zuständig sind. Kurzum: den schwarzen Peter hatten die verarschten Kommunen.“
„Die Ärmsten. Ich hätte an deren Stelle dennoch geklagt“, sagte Isabelle.
„Natürlich haben die das versucht – und genau deshalb kam ja heraus, dass dieser Ex-Bürgermeister, der ein Vierteljahrhundert lang die Läpp AG bevorteilt hat, für diesen Immobilienhai und Baulöwen als »Berater« tätig war. Das heimliche Honorargeschäft wäre ansonsten niemals aufgeflogen.“
Als ich das erzählte, überkam mich wieder mal die kalte Wut und ich ergänzte: „Offensichtlich ist es in den Augen dieser korrupten Bande nicht mehr als recht, wenn ein Ex-Bürgermeister zu seinem schmalen Pensionssalär von rund 55.000 Eiern noch einmal ein sattes Beraterhonorar in hunderttausender Höhe kassiert.“
„Zu alledem kam der Zig-Millionen-Schaden, den die staatliche Investitionsbank hatte und der somit von uns allen getragen wurde. Die verpulverten zig Millionen wären weiß Gott im Bildungs- und Gesundheitssystem besser angelegt gewesen“, meinte Stella.
Und ich fügte hinzu: „Besonders ärgerlich ist, dass die ehemaligen Staatsbeamten für den angerichteten Schaden noch nicht einmal einen Cent von ihrer viel zu üppigen Pension abgestrichen bekommen. Sie leben weiter in Saus und Braus …“
„… wenn sie nicht gestorben sind“, sagte Stella. Und das war fast ein völlig realistischer Abschluss.
„Gab es dazu denn nicht einen heimischen Untersuchungsausschuss im Stadtparlament“, fragte Isabelle.
„Doch, den gab es!“, antwortete ich. „Der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, der Arzt Stephan Güntel, hatte ihn bewirkt. Aber der Ausschuss konnte nichts ausrichten, konnte rein gar nichts erarbeiten, denn – es ist kaum zu glauben …“
Ich schnaufte durch und brauchte keinerlei Kunstpause einzulegen, um die Geschichte ihrem Höhepunkt zustreben zu lassen. Ich musste echt selbst erst einmal meinen Wuthöhepunkt überwinden, bevor ich abschloss: „… denn sämtliche Rathaus-Akten zur Firma Läpp AG waren verschwunden, rechtswidrig beiseite geschafft. Der Bürgermeister war aus dem Amt verschwunden und mit ihm sämtliche relevanten Akten.“
„Er hat sich eben ein Vorbild am großen Saumagen-Kanzler genommen. Auch Helmut Kohl hinterließ leere Aktenregale, obwohl ihm dies das Dienstgesetz streng untersagte“, legte Stella halblaut nach.
Ich dachte an Kohls Ehrenwort und all die miesen Geldtransfers hinter dem Rücken des Bundestages. Was war aus der geleisteten Eidesformel geworden, nach bestem Wissen und Gewissen zu unser aller Wohle zu arbeiten? Puh.
„Kohl war nicht der Mann, von dem wir anfangs gesprochen haben“ wandte Stella berechtigter Weise ein. „Der Mann, der uns interessiert, heißt Arturo Groß.“
„Was ich mit dem Beispiel dieses anderen Bürgermeisters sagen wollte, ist folgendes: Nur das Finanzamt und vielleicht noch die zuständige Registratur für beamtenrechtlich zu meldende Zweiteinkommen – vielleicht sogar die Landrätin – können wissen, ob hinter dem Rücken der Öffentlichkeit Beraterverträge existieren. Und nur durch Zufälle oder durch Gerichtsverfahren fliegt manchmal etwas auf. Und dann staunen die Bürger und einige sagen: Hätte ich das nur gewusst!“
Genauso hatte ich damals reagiert und zu meinem Schwager, der schon immer misstrauisch gewesen war, gesagt: „Das hätte ich niemals vermutet. Hätte ich das nur gewusst!“
„Dabei gibt es fast immer eindeutige Hinweise, wenn auch noch keine Beweise“, sagte Stella. „Aber wer ein heiß umstrittenes Zig-Millionen-Projekt für einen Unternehmer gegen die eigene Bürgerschaft durchboxt, wer sodann auf eine Amtsperiode freiwillig verzichtet, der wird, bevor er vor dem Nichts steht, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von dem Unternehmen, dem er gefällig war, nach allen Kräften unterstützt.“
Ich möchte Sie, verehrte Leserinnen und Leser, nicht unbedingt mit weiteren Korruptionsaffären langweilen – Sie ahnen schon, wie alles läuft: Nur Isabellas abschließenden Kommentar möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Sie sagte: „Mein gutes korruptes Rumänien und meine neue deutsche Heimat – die einen machen’s offen, die anderen geschickt verdeckt.“
Und ihre Tochter Helena ergänzte: „Aber Rumänien ist bereit, von Deutschland zu lernen, oder?“
*
„Es will unter das Floß kriechen“, sagte Sven grimmig. „Kannst du mir erklären, was die Scheiße soll, Pancho?“
Dirk inspizierte das Ding mit aller Sorgfalt. Es nagte an der Längskante des Floßes. Es hatte die Form einer durchgeschnittenen Pizza angenommen und schien dicker zu werden.
Tanja stand da und schrie. Sie schlug sich mit der flachen Hand auf die Augen, wieder und wieder, und die Geste erinnerte Dirk an eine Stummfilmheldin. Er wollte ihr das gerade sagen, als er feststellte, dass er keinen Laut hervorbringen konnte.
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