1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Welchen Hintergrund hatte dies?
Ein altbekanntes Gefühl stieg hoch – man hatte mir wieder nicht alles erzählt!
Im selben Moment drehte sich Elisabeths Vater herum.
»Falko, bevor Ihr fragt, wir kennen einander aus einer Zeit gemeinsamer Schlachten. Lösen die vielen Älteren in diesen Reihen jedoch bei Euch kein Erstaunen aus? Auch ihnen ist eine einzige Vergangenheit gemein. Sie stehen ein für das gleiche Ziel und fühlen das gleiche Feuer in sich – Rache. Die jungen Männer mögen schneller sein, aber sämtliche anderen dürsten nach Vergeltung! Eine solche Zusammensetzung macht die Einheit fast unbesiegbar. Ihr werdet sehen!«
Unvermittelt wandte sich de Moncadrieux erneut Rogér zu. Die Besprechung des Angriffs dauerte nicht lange. Jeder Kämpfer wusste scheinbar schon von vornherein, was er zu tun hatte. Daher wohl auch die unabgesprochene Aufstellung der Männer vorhin.
Die Vergangenheit schien in die Gegenwart gekommen zu sein, zumindest, was diese Getreuen betraf!
1950 Soldaten warteten auf ihren Einsatz.
350 alte Gefährten Raimunds, darunter 50 Bogenschützen, hatten sich mit 100 von Rogér vereinigt. Dazu kamen 1500 Kreuzritter unter Arnauds Kommando.
Welch ein Heer gegen den Statthalter!
Dann lag der gegnerische Wachwechsel lange genug zurück. Die Aufpasser des Statthalters würden nun genug mit ihrem Kampf gegen die Müdigkeit zu tun haben. Einige leise Anweisungen, und unsere Männer waren bereit. Langsam rückten wir vor. Vorher schossen die Bogenschützen sämtliche Wachen von den Wehrgängen und Türmen. Ihre Pfeile trafen leise und genau. Schemenhaft konnte man sehen, wie die Feinde von den Zinnen fielen. Schnell wurden Seile mit Wurfankern hochgeworfen. Einige von Arnauds Kreuzfahrern kletterten die Mauern hoch. Sie sollten auf Leben und Tod wenigstens ein Tor von innen öffnen.
Rogér und ich verharrten noch. Jeder Augenblick, in dem weitere Krieger hinter die Stadtmauern gelangten, zählte. Nur mit ihrer Hilfe vermochten unsere versammelten Truppen ohne größere Verluste in die Stadt einzudringen. Ein direkter Angriff würde selbstmörderisch sein, und wir wollten diese letzte Möglichkeit so weit wie möglich aufschieben.
Die Bogenschützen standen weiterhin bereit und warteten auf mögliche Ziele, aber außer unseren Kämpfern bewegte sich niemand mehr auf den Mauern. Entweder konnten sie nun die Torflügel entriegeln oder aber die Zinnen würden gleich voll besetzt sein mit Verteidigern des Statthalters!
Lange Momente vergingen. Der Kreuzritter hatte längst das Schwert gezogen, bereit, das Signal zum Sturm zu geben. Rogér hielt neben mir und umklammerte die ledernen Zügel seines Pferdes, als wolle er so die innere Anspannung abbauen. Das Warten wurde immer unerträglicher.
Dann endlich öffneten sich die Tore. Unsere Männer hatten die Oberhand behalten!
De Moncadrieux setzte sich an die Spitze seiner Kreuzfahrer und zog zuerst in die Stadt ein, da er die Hauptlast beim Angriff auf den Statthalterpalast tragen würde. Rogér folgte mit sämtlichen anderen Kriegern. Vorher ermahnte der alte Gefährte mich abermals, hier zu verharren und den Kämpfen fernzubleiben. Als Anführer des gesamten Heeres dürfe mir auf keinen Fall etwas zustoßen. Meine Gefangennahme durch die Feinde sei mit einem Ende jeglicher Pläne gleichzusetzen! Was in diesen Momenten scheinbar mit einem Gesichtsverlust gleichkäme, wäre jedoch lebenswichtig für unser Hauptziel!
Ein grimmiges Schweigen blieb die einzige Antwort. Elisabeths Vater hatte kurz vorher den gleichen Vortrag gehalten. Zur Sicherheit ließen sie 50 Reiter zurück, nicht ohne zu betonen, dass der wichtigste Teil des gesamten Heeres bei mir bliebe – die besten Berittenen als Reserve. Ich war anderer Ansicht …
Die Aufheiterungsversuche der zurückgebliebenen Männer scheiterten kläglich. Gemeinsam sahen wir dem Abmarsch unserer Kameraden zu. Den Gesichtern der anderen nach zu urteilen, wären sie auch gerne vorne mit dabei gewesen. So aber beschieden wir uns und warteten auf einen Notfall, der auf keinen Fall eintreten würde. Zu genau war alles geplant, zu erfahren die vereinigten Kämpfer. Wahrscheinlich riefe man meine Einheiten erst zur Teilnahme an den Siegesfeiern!
Fast lautlos drangen ungefähr 1850 Soldaten in die Stadt ein. Diese schien fast zu klein zu sein, um sämtliche Eindringenden aufzunehmen, doch der Eindruck täuschte. Valletta war schachbrettartig angelegt worden. Außer einem riesigen Kasernenplatz direkt hinter den Stadttoren gab es keine freien Flächen innerhalb seiner steinernen Grenzen. Die große Anzahl an Straßen und Gassen konnte allerdings mehr Menschen verkraften, als man auf den ersten Blick erahnte.
Rogérs Fußtruppen hatten die Tore erreicht, während de Moncadrieux mittlerweile mit seiner Armee vollständig dahinter verschwunden war. Der Mann zu meiner Rechten schoss einen Brandpfeil ab – das verabredete Zeichen für Broderik. Er sollte daraufhin vom Hauptquartier der Templer aus auf den Statthalterpalast zustoßen. De Moncadrieuxs Reiter würden nun das Gleiche tun. Es kostete große Beherrschung, nicht hinterher zu stürmen. Natürlich hatte mich die Kampfeslust ebenfalls gepackt. Gleichzeitig bahnten sich zu viele dunkle Gedanken ihren Weg, um ruhig zu bleiben. Ohne Henry de Fontes und Malik al Charim lebte meine Familie noch. Raimund hätte den Kerker nie kennengelernt, und genauso wenig wäre sein Sohn als Waise auf der Flucht von Tür zu Tür weitergereicht worden!
Rachegelüste hatten sich vollends ausgebreitet …
Verhältnismäßig schnell verschwanden sämtliche Soldaten hinter den Mauern. Meine Bogenschützen rückten ein Stück vor. Für den Nahkampf ungeeignet, musste man sie bei einem direkten Angriff zurückhalten, um Verluste zu vermeiden. Trotzdem wollte ich die Gruppe näher am Geschehen wissen, sollte etwas Unerwartetes passieren.
Welche Narretei! Dumme Gedanken eines zurückgewiesenen Anführers!
Vor den Mauern bekamen wir nichts vom Geschehen in der Stadt mit. Selbst der Wind wehte keinen Laut herüber.
Einige Zeit verging, und die Spannung wurde unerträglich.
Wahrscheinlich stürmten Arnauds Reiter und Broderik gerade de Fontes´ Palast, während die Truppen des Kreuzfahrers Valletta besetzten und Rogér die Gefangenen zusammentrieb!
Dann war es vorbei mit der Beherrschung. Einfach vorwärts, mit den verbliebenen Reitern in die Stadt hinein und in den Kampf eingreifen!
Wie sollte sonst mein endgültiger Gesichtsverlust vor den vereinten Truppen vermieden werden können? Ein Anführer gehörte in der Schlacht zu seinen Soldaten und nicht in den Hintergrund, auch wenn es die Situation erforderte. Ich war kein alter Mann wie Arnaud oder Rogér, und die hatten sich ihre Namen wohl kaum durch bloßes Zusehen verdient!
Überdeutlich platzte ein entschlossener Befehl an die verblüfften Reiter aus mir heraus. Wir galoppierten los. Alle fühlten sich deutlich unwohl. Obwohl oberster Anführer, hatte ich genau entgegen der strikten Vorgaben befohlen. Trotzdem folgten sie ohne Murren.
Schnell erreichten wir die Stadttore und würden gleich auf dem großen Platz dahinter eine der Straßen zur Stadtmitte nehmen. Anschließend ein kurzer, scharfer Ritt, und schon stieße meine Gruppe zu Broderik und den Truppen am Statthalterpalast!
Siegessicher durchquerten wir das offene Stadttor – und rissen erschüttert die Pferde zurück.
Direkt hinter den Mauern bot sich uns ein entsetzlicher Anblick. Mehr als ein Drittel der vereinigten Kämpfer Rogérs lag tot auf dem gesamten Platz verteilt. Nirgendwo fand sich eine Stelle ohne Gefallene!
Fassungslos überschlug ich die Männer. Es gab noch ungefähr 260 Überlebende!
Was war passiert? Meine Reserve hatte doch der Besetzung der Mauern und dem ungehinderten Einmarsch des Heeres zugesehen!
Читать дальше