Preben Mørkbak
Erik der Rote
Ein Roman über Erik Torvaldsson, der von Axt-Torer abstammte und derjenige war, der Grönland entdeckte und ein guter Freund von Thor war.
Erstes Buch
Schiff und Schwert
Aus dem Dänischen von André Wilkening
Lindhardt & Ringhof
Er schlug sich für das Recht,
derjenige zu sein, der er war,
wenngleich es ihn sein gutes Leben kostete,
liebte er seine Zigeunerin,
und sie bekamen sieben Kinder.
Sein Name war Martin Lange,
und er war mein Großvater.
Ihm ist dieses Buch gewidmet.
Dieses Buch ist vor allem ein Roman, aber auch ein Versuch, das verfügbare Wissen über die Nordleute in Grönland und besonders über denjenigen Mann zusammenzutragen, der die Besiedlung einleitete, die vom Ende des 10. Jahrhunderts bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts dauerte.
Ich habe mich sowohl in schriftlichen Quellen und archäologischen Untersuchungen wie auch in Abhandlungen von Historikern, Ethnologen, Religions- und Mythenforschern auf Spurensuche begeben. Außerdem habe ich mit Begeisterung belletristische Literatur gelesen, die sich mit dem Thema befasst.
In diesem Buch gibt es keine Quellenangaben, da es keine wissenschaftliche Arbeit ist. Dennoch hoffe ich, dass das Buch den größten Teil der heutzutage bekannten Fakten über Erik den Roten enthält.
Was die unzähligen Ansichten betrifft, die es über die Nordleute, Erik den Roten und die Wikingerzeit gibt, steht es jedem frei, aus ihnen zu schöpfen, so wie ich es getan habe. Das Buch kann daher natürlich nicht als ein realistisches Bild der Person oder der Zeit gelesen werden, doch es war mein Wunsch, dafür einen angemessenen Beitrag zu leisten.
Deshalb findet sich in diesem Roman ebenso viel Fiktion wie exaktes Wissen. Keiner kann schließlich behaupten, die Gedanken eines wikingerzeitlichen Bauern oder dessen Beweggründe zu kennen, doch in dem Versuch, das bekannte Wissen und die vielen Mythen über Erik den Roten umzusetzen, habe ich eine Figur modelliert, die vor allem ein wenig lebendiger erscheinen sollte als in so vielen wissenschaftlichen Berichten.
Daher habe ich eine Reihe von Charakteren um ihn herum geformt. Ein Teil sind historische Personen, ein ebenso großer Teil ist meiner Phantasie entsprungen. Alles in dem Versuch, ein Deutungsangebot über einen Mann, eine Zeit und Denkart zu liefern.
Ich hoffe, dass meine Figur, Erik der Rote, mithelfen kann, eine Debatte sowohl über die Bewohner des Nordens wie auch über die Wikinger im Speziellen anzustoßen. Nicht weniger soll dieser Roman als Beitrag in der Diskussion über nordische Mythologie und vorchristlichen Glauben aufgefasst werden.
Da die Namensgebung in der Wikingerzeit besonderen Regeln folgte, kann es bei dem großen Personenkreis im Roman schwierig sein, nachzuvollziehen, wer wer ist. Um dies zu erleichtern, sind in den Registern Namen und Erklärungen aufgelistet, so wie auch die Ortsnamen aus den Registern und Karten hervorgehen.
Ein ziemlich großer Kreis an Menschen hat mich ermuntert und mir Geduld entgegengebracht in all den Jahren, die es gedauert hat, diesen Roman zu schreiben. Sowohl denjenigen, die etwas dazu sagten, als auch denjenigen, die sich still verhielten, bin ich zu großem Dank verpflichtet. Das gilt von meinem Bankberater bis zu meinem Physiotherapeuten, meinem Steuerberater und Tom Fisker. Ein besonderer Dank an Nina Keldsen, Torkil Dahl-Jeppesen und Nils Boesdal für ihren konstruktiven Rat und ihre Korrekturen. Ein spezielles Dankeschön gilt meiner Frau, Bente Bruun, die mit großer Nachsicht jahrelang die Tage und Nächte mit mir und Erik dem Roten geteilt hat.
Erstes Buch
Schiff und Schwert
„Dies sagte meine Mutter,
dass man mir ein Schiff und
farbige Ruder kaufen,
mit Wikingern fortreisen,
im Steven stehen,
die prächtige Knorr steuern,
in Häfen anlegen,
den ein oder anderen erschlagen sollte.“
Egil Skallagrimsson, Island
Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben
„Von seiner Waffe
soll man sich auf dem Weg oder dem Feld
nicht einen Schritt entfernen;
denn man weiß nicht, wann die Zeit kommt,
da man ohne Türe
sein Schwert vermissen wird.“
Hávamál, Island, 10. Jahrhundert
Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben
„Es war freudig, hinaus
in den Fjord zum Kampf zu fahren,
als Böen auf des Königs
Knorren die Segel aufblähten;
herrlich lief das Meerpferd,
durch aufgewühlte Wellen im kühlen Wind.
Die Schiffe ließen wir
aus der Meerenge stürmen.“
Skald Sigvat, Norwegen, 10. Jahrhundert
Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben
„Ich heiße Hariuha,
der Unheilvolle.
Ich gebe Geborgenheit
Thor Thor Thor“
Übersetzung der Runen auf einem Goldbrakteat
Dänemark, um 500
Plötzlich war da überall nur Gebrüll.
Ein verzerrtes Geschrei, das durch Mark und Bein ging. Mit Schaum peitschte es hervor. Erfüllte Segel und Sinne mit Grauen. Dröhnte so zornig, dass die Wogen zurückwichen.
- Festhalten …!
Hinüber über das weißgrüne Wasser. Das Gebrüll drang durch Gischt, Seile und Spante. Trotzig und wild durchschnitt es den Sturm.
- Erik! Festhalten! Du wirst getroffen!
Wieder erklang der Ruf im Wind wie ein Fluch, der auf einen nach dem anderen danieder fuhr. Ein Feigling. Und dann traf es Erik. Wie ein Ochse einen Rammbock trifft, so prallte das Geschrei an sein Genick, als er bäuchlings dalag. Er schaukelte hin und her. Seine bleichen, ausgestreckten Arme sahen aus wie gespaltenes Holz. Die Müdigkeit war größer als die Angst vor dem Geschrei. Sein Wille war gebrochen.
Er wagte es nicht, die Hände aufzustellen und sich abzustützen. Mit dem Gebrüll im Nacken sank er hinab in die Feuchtigkeit. Er ließ sein Gesicht in das nasse Leder und den feuchten Stoff sinken, vernahm den Geruch von durchnässtem Holz und eingefetteten Seilen. Holte Atem durch die salzige Kleidung und ließ wieder die Trugbilder von ihm Besitz ergreifen.
Ein Gewimmel aus schreienden Ungeheuern und zischenden Schlangen tauchte in ihm auf. Sonderbare Körper und vielköpfige Wesen mit bunten Schuppen. Einige hatten Füße, andere Flossen. Sie kamen von Wasser und von Land. Rasend mit ihren rauchenden Mäulern und den sie umgebenden gelblichen Giftwolken. Weitere kamen hinzu. Noch greller. Immer näher. Einem riesigen Drachen lief eine schleimige Spur den Vorderkopf hinunter. Seine Augenränder brannten und tränten.
Wieder erfüllte das Gebrüll alles.
In großtuerischer Weise peitschte es hitzig-ermahnend durch die Gerüche und Halluzinationen. Die Worte verstand er nicht, aber der bittere Hieb des Lautes erfüllte seinen gesamten Kopf mit einer fürchterlichen Ahnung.
Er öffnete die Augen und schaute ausdruckslos auf die Bordwand. Vor ihm entblößte eine wilde, rötliche Fratze seine Zähne. Mit einem makaberen, munteren Grinsen. Der geflochtene rote Bart schüttelte sich vor höhnischem Lachen. Die dichte, rotgoldene Mähne leuchtete im Wind auf.
Erik trat zurück. Der Hüne hatte einen stechenden Blick. Zugleich fragend und höhnisch. Bedrohlich nah war der mächtige Mannskopf. Erik stütze die Hände am Rand einer Schlafkiste ab und zog die Schultern hoch. Versuchte, sich vor der Fratze zurückzuziehen.
Dann wurde er getroffen. Ob es der Atem des Roten war oder eine seitliche Welle, wusste er nicht. Die Wucht des Schlags warf seinen Kopf hin und her. Der Geschmack von Blut mischte sich mit Rotz und Salzwasser.
Dann erschall es wieder. Das Gebrüll.
- Erik! Steh auf!
Durch Schaum, Wind und die brechenden Wellen hallte der Ruf zu ihm. Der Rotbärtige schrie. Mit offenem Mund glotze Erik direkt auf die Bordwand. Er triefte vor Kotze und Blut. Stierte dümmlich vor sich hin. Die rote Mähne und die stechenden Augen waren weg. Nur das Wasser lief an den blanken Brettern ab.
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