Glücklicherweise gab es vor der Insel noch keine Hafenblockade, so dass wir unbeschadet in Valletta anlegen konnten. Als ich das Schiff absichtlich vor Kilian verließ, verharrten bereits einige Männer bewusst unauffällig am Hafenbecken und beobachteten alle Reisenden genau.
Die Speichellecker des Statthalters!
Eher im Hintergrund hielten sich dagegen zwei Mönche, die augenscheinlich ohne Beschäftigung waren und wohl auf jemanden warteten. Etwas weiter standen zwei Templer mit ihren Pferden in der letzten Reihe der Zuschauer und registrierten offen sämtliche Bewegung in der Umgebung. Hatte Broderik sie geschickt?
Deutlich abseits lehnte ein älterer Mann an der Ecke eines Schuppens und schnitzte völlig versonnen an einem Stück Holz. Sein Blick blieb gesenkt, als die Reisenden von Bord gingen. Er trug die einfache Kleidung eines Knechtes. Die aber lungerten nicht im Hafen herum, ohne eine Strafe ihres Herrn zu provozieren. Vielleicht war dies unser Kontakt!
Ich lud das Pferd aus und verließ langsam die Pier. Ohne auf jemanden zu achten, ging es mit dem Braunen an der Hand durch den vorherrschenden Trubel. An der Hafengrenze sprachen mich die Gefolgsleute des Statthalters an. Sie erkundigten sich eindringlich nach Namen, Herkunft und Ziel auf Malta. Die ausführliche wie gelogene Antwort erfolgte bereitwillig. Anscheinend zufrieden ließ man mich in Ruhe. Während mein Tier an einem Brunnen soff, kam Kilian an Land. Umgehend wurde er befragt. Überall auf Malta als reisender Arzt bekannt, fand die Kontrolle aber bereits nach einigen Sätzen ihr Ende.
Die Tempelritter beobachteten das Geschehen weiterhin, zeigten jedoch keinerlei Reaktion. Als die letzten Reisenden an Land standen, ritten die beiden langsam auswärts des Hafens. Kilian folgte ihnen wie zufällig mit einigem Abstand. Bald verloren sie sich in dem Gewimmel der zahllosen Menschen.
Als ich aufstieg, um aus dem Hafengebiet herauszureiten, verließ auch der Schnitzer seinen Platz. Sobald wir außer Sicht der Männer des Statthalters waren, steuerte der Fremde vorsichtig, aber gezielt auf mich zu. Auf einen Beobachter musste es wie ein unmotiviertes Wechseln der Straßenseite wirken.
»Folgt mir, ich bringe Euch zu Rogér!«
»Wie heißen seine Söhne?«
»Er hat nur einen, Eusebius. Wir treffen uns vor der Stadt, am Osttor.«
Die Antwort auf die Fangfrage brachte den Fremden nicht aus der Fassung. Er schien Rogérs Vertrauter zu sein, der einen Verbündeten abholen sollte. Langsam lief der Mittelsmann weiter, um dann gemächlich zu verschwinden. Ich zog weiter stadtauswärts, bis das Osttor fast außer Sichtweite lag. Aus der Entfernung winkte mir jemand hinter einem großen Dornenstrauch zu.
Der Fremde!
Kurz darauf begrüßte er mich aufgeregt wie einen alten Freund. Wir warteten einige Zeit, um sicher zu sein, dass keine Verfolger in der Nähe waren. Anschließend begann ein hastiger Ritt.
Auf Rogérs Territorium mussten mehrere Wachen passiert werden.
Ein Soldat eilte voraus und läutete bereits eine Glocke, als mein Führer auf die Kate zuhielt. Aus allen Richtungen liefen die Bewohner heran. Überwiegend Männer, aber auch etliche Frauen und Kinder trafen am Brunnen zusammen. Viele von ihnen trugen Waffen. Erstaunt sah ich eine für diese Kate unglaublich große Ansammlung. Wir standen vor bestimmt 200 Menschen, davon mindestens 100 Männer!
Rogér war außer sich vor Freude. Die Verbündeten hatten regelrecht gefiebert, ob uns ihre Nachricht erreichen würde. Man hoffte auf meine Rückkehr, damit ich als Raimunds Nachfolger dessen Sache fortführte.
Hier war die Situation außer Kontrolle geraten.
Die Zeichen deuteten auf endgültige Konfrontation!
Unvermittelt standen die alten Gefährten Raimunds dabei ohne einen Anführer da, der sie alle im plötzlich bevorstehenden Kampf gegen den schier übermächtigen Feind einte.
Henry de Fontes erwartete die Verstärkung durch die Araber in der kommenden Woche. Malik al Charim hatte ihm 1000 Krieger versprochen, und der Statthalter wähnte sich seitdem bereits siegreich. Bisher ging der Mörder einer offenen Auseinandersetzung mit Arnauds Männern aus dem Weg, drangsalierte dafür aber die Einwohner Vallettas, wo er konnte. Es gab neue Kopfsteuern und höhere Preise, dazu Repressalien und willkürliche Gefangennahmen. Arnauds Späher wurden beschossen, sein Lager offen bespitzelt und nachts von einzelnen Attentätern angegriffen. De Fontes ließ nichts unversucht, um die Waffenruhe zu brechen, ohne als Schuldiger dazustehen!
De Moncadrieux wahrte nur mit Mühe die bisherige Zurückhaltung. Noch fühlte sich der Kreuzfahrer dem gegebenen Wort verpflichtet. Irgendwann musste aber eine Reaktion auf derartige Provokationen folgen, wenn er nicht mindestens sein Gesicht verlieren wollte. Längst legte ihm der Statthalter die gezeigte Zurückhaltung als Schwäche oder Furcht aus. Die Zahl der Übergriffe wuchs stetig, da es an der gebührenden Antwort bisher fehlte.
Henrys Gefühl des kommenden Sieges aufgrund der bevorstehenden Verstärkung war allgegenwärtig. Einen großen Teil Maltas hatten seine Truppen bereits durchkämmt, um mögliche Gegner und Verschwörer aufzuspüren und zu vernichten. Die Männer de Fontes´ gingen mit äußerster Brutalität vor und verschonten niemanden, der ihnen verdächtig vorkam. Auch die Templer bedrängte man immer aggressiver. Reiter des Statthalters versperrten den Patrouillen den Weg und zwangen sie mit Gewalt zurück in die Komturei.
Offene Verhöhnung fand in Valletta statt. Brennende weiße Templerumhänge wurden hinter Pferden durch die Stadt gezogen und von Soldaten mit gezogenen Schwertern eskortiert. Broderik hatte längst Befehl aus dem Okzident bekommen, mit seinen Rittern die gebührende Antwort zu geben. Der Ordensritter sollte den Statthalter mit Gewalt zur Raison bringen, aber noch auf dem bisherigen Posten belassen. Diesen Befehl ignorierte der Gefährte stillschweigend, um Zeit zu gewinnen. Stattdessen wollte er endgültig zusammen mit sämtlichen alten Freunden und Verbündeten der gesamten Schreckensherrschaft ein Ende bereiten, anstatt sie lediglich zu beschneiden. Mit eiserner Disziplin entgegen der Order wurde so verzweifelt um jeden weiteren Moment gekämpft, der unserer Sache half.
Broderiks Not wuchs unentwegt. Offene Befehlsverweigerung hatte unter den Templern weitaus endgültigere Konsequenzen als in einem regulären Heer. Bald würden seine Ablösung und drakonische Strafen unabwendbar sein. Unsere Seite verlöre dann einen wichtigen Verbündeten!
Es musste unbedingt etwas passieren!
Ich beruhigte Rogér. Wir würden uns beeilen und schnell reagieren! Allein Kilian fehlte noch.
Boten wurden ausgesandt, um alle Vertrauten zu benachrichtigen. Sie sollten sich sammeln und anschließend auf den Befehl zum Abmarsch warten.
Die Getreuen waren auf der ganzen Insel zu finden – einzelne Familien wie ganze Dörfer. Alte Anhänger wie auch deren mittlerweile erwachsene Kinder warteten seit Jahren auf den Moment des Angriffs. Seit den jüngsten Ereignissen hielten sie sich wohl längst für den letzten Kampf bereit.
Raimunds alter Gefährte rief sämtliche auf seinem Land verfügbaren Männer zusammen. Mit einem Teil von ihnen wurden die Wachen abermals verstärkt. So wollte er einem möglichen Überfall durch brandschatzende Soldaten des Statthalters direkt begegnen. Die anderen machten sich kampfbereit. Binnen kürzester Zeit traten sie gerüstet an.
Ich staunte. Der Besitzer der Kate hatte eine Truppe aufgestellt und geschult, die den Templern ähnelte wie ein Ei dem anderen. Kleidung, Rüstungen, Waffen und Befehle waren komplett identisch. Lediglich die Umhänge leuchteten grün, und das Tatzenkreuz der Mönchsritter fehlte. Rogér erzählte stolz, dass einige der Elitesoldaten bereits mit ihm unter meinem Vater gedient hätten. Sie bildeten das Rückgrat der Einheit. Wenn ihr Einsatz in der Schlacht nur ansatzweise mit dem Auftreten vergleichbar war, führten wir sicherlich einen großen Vorteil ins Feld …
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