Die Ausbilder erhöhten das Tempo, damit die Gruppen sich wieder konzentrierten.
Unsere neuen Kämpfer gingen die ersten Lektionen mit großem Eifer an. Sie schienen sich der einzigartigen Situation bewusst zu sein. Noch nie hatten wohl in diesem Land Frauen neben Männern Waffen getragen, um später die gemeinsame Heimat zu verteidigen!
Ein Diener flüsterte Nurim etwas ins Ohr. Der winkte Raimund und mir.
»Unser Gefangener hat geredet. Die benötigten Antworten liegen vor, aber viele weitere werden folgen. Lasst uns dorthin gehen, wo man ungestört reden kann. Hier hören zu viele Ohren mit!«
Im Haupthaus angekommen, suchten wir einen kleinen Raum in der ersten Etage auf, der eine dicke Tür und kein Fenster hatte. Mein Großvater berichtete fast aufgeregt.
»Der Mann ist eindeutig ein Assassine. Er erhielt den Mordauftrag direkt vom Alten vom Berge, nachdem die Gruppe im französischen Kloster von Souviommes keinen Erfolg gehabt hatte. Seit Eurer Flucht von dort werdet Ihr überall gesucht. Der Gefangene hatte Arabicus und seinen Begleiter bei der Ankunft im Hafen von Askalon entdeckt, die Spur aber wieder verloren. Daraufhin wartete er bei Raimunds Gefängnis. Nach dessen Entkommen folgte der Mörder Euch hierher und nutzte die erste Gelegenheit für ein Attentat. Viel schlimmer ist, dass er in der Zwischenzeit Matlahat entdeckt hat. Der Bergpfad wie auch der Weg durch die Steinfelder sind ihm bekannt. Zurzeit finden die Soldaten heraus, ob der Assassine jemandem davon berichtet hat.
Es gibt keine Gnade! Ansonsten wird womöglich vernichtet, wofür wir seit 20 Jahren leben. Auch unser gesamtes Vorhaben steht auf dem Spiel!«
Nurim war hochgradig besorgt. Ich ergriff das Wort.
»Lasst uns umplanen! Sollte er uns bereits verraten haben oder jemand wartet vergeblich auf seine Meldung, bleiben vielleicht zwei Tage bis zu einem bevorstehenden Angriff. Die nutzt unser Volk! Sämtliche Gruppen üben den gesamten morgigen Tag nahezu ohne Unterlass. Sie müssen so geschickt wie nur möglich sein. Übermorgen bleibt noch genügend Zeit für Erholung – bis zum möglichen Angriff. Erfolgt der nicht, üben wir wieder weiter. Die Waffenmacher sollen auf Schlaf verzichten und vorerst ausschließlich arbeiten. Sie können sich in zwei Tagen, während des Kampfes, ausruhen.«
Nurim fiel ein.
»Gut, und die Vorräte werden bis morgen Abend komplett aufgefüllt. In der Zeit danach lagern die alten Männer noch ein, was zusätzlich möglich ist. Unsere Verbündeten erhalten erst Nachricht, wenn die Späher vom Eintreffen der Feinde berichten. Die Krieger können schnell hier sein."
»Wie viele Baumeister gibt es in Matlahat?«
»Sechs.«
»Sie haben sich unmittelbar nach diesem Treffen die Ränder des Tals anzusehen, außerdem die Felsen davor. Wir dichten alles ab. Jede Lücke, jedes Loch wird verschlossen. Wo immer möglich, entsteht eine Palisade oder Mauer mit Bogenschützen und Wachen dahinter. Ein Tor hier oben verschließt das Ende des Bergweges. Fallen schützen den Zugang zusätzlich.
Das Tal wird so gut wie möglich gesichert!
Bis die Feinde zu der Festung durchdringen, haben sie schon hohe Verluste erlitten. Sollten wir wegen des Assassinen den Kampf nicht mehr zu Malik al Charim tragen können, dann bekommt der ihn auf unserem Boden und zu unseren Bedingungen. Hierfür müssen noch Gräben vor den Mauern ausgehoben werden, so gut wie möglich in der kurzen Zeit!«
»Es fehlt Wasser dafür!«
Fast mitleidig sah Nurim herüber. Unwirsch fegte sein Schwiegersohn diesen Kommentar vom Tisch. Er hatte meinen Gedanken verstanden.
»Seid doch nicht so schwerfällig. Unsere Soldaten füllen sie mit Dung und Pech und zünden dann die Mischung an!«
Eilig begannen wir Pläne auszuarbeiten und Aufgaben für die Menschen im Tal zu verteilen. Den Anwesenden war bewusst, wie viel Arbeit auf sie wartete.
Erst kurz nach Mitternacht fand das Treffen ein Ende. Die Anführer verließen den Raum und gingen getrennte Wege. Jeder suchte geeignete Männer für die einzelnen Vorhaben.
Kein einziger Moment durfte ungenutzt bleiben!
Die endgültige Umsetzung der Pläne hatte begonnen.
Raimund und Nurim wollten sich um jegliche Arbeiten kümmern, die nicht die Soldaten betrafen; Arabicus sollte mit mir zusammen die Schulung der Kämpfer vorantreiben.
Wir rissen die verschiedenen Gruppen der Soldaten aus dem Schlaf und riefen sie in den großen Innenhof. Nach einer kurzen Erklärung der Situation begannen die Übungen unter deutlich verschärften Bedingungen. Als Vertreter meines Großvaters und Vaters oblag mir die Sicherung unseres Überlebens. Ab sofort führte ich sämtliche Truppen hier, und mein Wort galt. Sie hatten einfach zu gehorchen!
Männer wie Frauen übten mit äußerster Aufmerksamkeit.
Ihnen war bewusst, in welcher Lage wir steckten. Allein die Geschicklichkeit der Kämpfer würde eine drohende Niederlage verhindern, nicht bloße Kraft oder primitives Gegenhalten!
Die Waffenbauer hatten noch mehr Gehilfen zugeteilt bekommen und sollten jeden Moment der verbleibenden Zeit nutzen. Auf den Berghängen konnte man im Schein der zahllosen Fackeln ungewöhnliche Aktivitäten beobachten. Pferde zogen Wagen mit Holzstämmen aus Matlahats Lagern immer höher hinauf. Oben standen Gruppen von Arbeitern, die ankommenden Nachschub sofort verbauten. Das in dieser Gegend unendlich kostbare Material, jahrelang mühsam und unauffällig zusammengetragen oder angepflanzt, wurde nun rücksichtslos benutzt. Mein Vater schien nichts unversucht zu lassen, lückenlose Palisaden zu errichten.
Im Tal sah man viele Gruppen von Bewohnern alles Verwertbare zusammenbringen. Hier unten brannten mehrere große Feuer. Es wurden Steine gestapelt, Gras geschnitten, Obst geerntet und Sand aufgehäuft. Den gesamten Talboden hatten Halbwüchsige bereits gewässert, um einem Angriff mit Brandpfeilen zu begegnen.
Vor den Mauern schwitzten unzählige Menschen beim Ausheben eines tiefen und breiten Grabens. Die gewonnene Erde benutzte man dazu, die Dächer der Häuser zu bedecken, damit auch dort kein Feuer ausbrechen konnte. Matlahats Bewohner waren mit Eifer dabei; sie wussten, worum es ging.
Als die Arbeiten fortschritten, besprachen Raimund, Nurim und ich uns abermals. Schnell herrschte Einigkeit, abwechselnd zu schlafen, um die Fortschritte nicht stocken zu lassen. Mein Großvater legte sich zuerst hin. Niemand würde ihn wecken, auch wenn er anschließend toben sollte …
Von einem der Haupttürme am Tor aus sahen wir dem Treiben eine Weile zu.
Dann ging Raimund, um die Arbeiten an den Berghängen zu überwachen. Einige Worte schickten meinen Cousin Nasim ins Tal, um bei den Menschen noch größere Eile anzumahnen.
Arabicus schulte nach wie vor die Bogenschützen. Ich übernahm die Übungen der Frauen. Deren Fortschritte waren unglaublich. Sowohl an den Bögen als auch an den Nahkampfwaffen wuchsen gefährliche Gegner heran. Sie stellten die Männer bei weitem in den Schatten. Die geschicktesten Schützen unter ihnen wurden bald zu den besten Kriegern beordert. Jeden Widerstand sofort im Kern erstickend, war ich entschlossen, aus dieser gemischten Gruppe eine Einheit zu formen.
Einige Zeit danach legte sich auch Raimund schlafen. Er war nach seiner Gefangenschaft noch nicht wieder richtig hergestellt, und die kommende Zeit würde ihm noch genug abverlangen. Anschließend übernahm ich die Leitung Matlahats. Die Menschen winkten mir bei einem Ritt durch das Tal zu. Nirgendwo war noch Groll wegen der einen grundlegenden Entscheidung zu spüren. Wir alle wollten leben!
Die ersten Kundschafter trafen ein.
Ihren Aussagen nach war noch in keiner der nächstgelegenen Städte etwas von sich sammelnden Feinden zu bemerken. Vielleicht blieb doch mehr Zeit für die Vorbereitung als erwartet!
Mitten in der Übung der Frauen mit den englischen Bögen tippte mich jemand von hinten an.
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