Mein Großvater!
Missmutig, aber leise kam die Frage auf, warum man ihn so lange hätten schlafen lassen. Seine Augen schweiften finster über die gemischte Gruppe, aber jeder Kommentar unterblieb. Unwille wandelte sich zu blankem Staunen, als die Ergebnisse des Schießens mit dem Langbogen verkündet wurden.
»Wer hat die Frauen zu den Männern geschickt?«
»Ich!«
»Eine unglaubliche Entscheidung. So gewagt wie weise bei der Anzahl von Matlahats Kriegern! Wer leitete die Arbeiten, während Euer Vater und ich schliefen?«
»Ich!«
»Wie weit sind die Vorbereitungen gediehen?«
»Soweit wie möglich. Mehr ist kaum herauszuholen aus unseren Leuten, wenn sie später noch kämpfen sollen.«
»Wo ist Nasim?«
»Ich habe ihn ins Tal geschickt, um die Arbeiten zu kontrollieren!«
»Gut, Junge, sehr gut!«
Er drückte meinen Arm, und es war dabei die gleiche Wärme zu spüren wie vor dem schwerwiegenden Konflikt.
»Sehen wir nach den anderen Fortschritten!«
Abrupt wandte sich Raimunds Vater dem Keller zu, in dem der Assassine weiterhin vernommen wurde. Einige Zeit später tauchte er wieder auf, und seine eisige Miene verriet nichts Gutes.
»Der Gefangene hat gestanden, Matlahat schon länger zu beobachten als vorhin zugegeben. Seine Informationen gehen natürlich an den Alten vom Berge, aber ebenfalls an Malik al Charim. Das bedeutet, dass diese gemeinsame Sache bei der Suche nach uns machen!
Die Luft wird dünner!
Beide wissen, dass der Mörder in dieser Gegend unterwegs ist. Das nächste Treffen findet morgen statt. Erscheint er nicht, folgen sicherlich spätestens übermorgen entsprechende Maßnahmen. Malik wird dann alle Wege abriegeln und zugreifen. Sobald die Häfen abgeschottet sind, kann Kilian jedoch nicht mehr rechtzeitig zurück nach Malta. Er muss unbedingt abreisen, bevor es zu spät ist – also noch heute Abend! Ich treffe die nötigen Vorbereitungen und informiere auch unsere Männer im Hafen von Hanbar.«
Mein Nicken zeigte ungeteilte Zustimmung. Eine andere Möglichkeit blieb kaum, sollte der bisherige Plan dem Scheitern entgehen. Bislang waren sämtliche Probleme bewältigt worden, weil wir uns immer schnell genug jeder Situation anpassen konnten.
Eine bedeutende Größe für die kommenden Kämpfe blieben die alten Gefährten meines Vaters auf Malta. Es war unverzichtbar, dass sie von Kilian umgehend und genau informiert wurden!
Einer seiner Männer nahm Nurim zur Seite und redete auf ihn ein, um dann genauso schnell wieder zu verschwinden.
»Der Assassine ist ohnmächtig. Er bekommt eine Pause. Wir brauchen noch mehr Informationen. Geht nun schlafen, bevor Ihr umfallt!«
Jetzt duldete mein Großvater keinen Widerspruch.
Kurze Zeit später packte Kilian bereits seine Sachen und wartete darauf, abreisen zu können.
Ich legte mich nicht hin. Den Befehl Nurims ignorierend, folgte eine langanhaltende Überlegung mit dem Arzt bezüglich unseres weiteren Vorgehens.
Wichtig war vor allem, dass keine Missverständnisse zwischen den Truppen im Orient und auf Malta entstanden, nur weil wir etwas vergessen hatten. Außerdem bat ich ihn, eine Nachricht an Elisabeth zu übermitteln. Ein Schriftstück war zu gefährlich, sollte man Kilian gefangen nehmen. Sie durfte nicht dadurch in Gefahr geraten, dass Henry de Fontes von der Beziehung erfuhr.
Die Liebe zur Tochter des Kreuzritters brannte nach wie vor, und meine Gedanken weilten unentwegt bei ihr, auch wenn kaum Zeit für Derartiges blieb. Irgendwann gäbe es genug Zeit für uns. Hoffentlich hatte sie mich bis dahin nicht vergessen!
Vielleicht konnte ich sie später einmal meinem Vater vorstellen. Aber das lag wohl noch in weiter Ferne …
Ich begleitete Kilian zum Tor. Unterwegs stürzte Nasim heran. Er suchte Nurim und nahm uns gleich mit. Ein Bote war eingetroffen, mit einer dringenden Nachricht. Im Haus warteten wir beinahe ungeduldig, bis sich der Erschöpfte nach seinem Gewaltritt wieder eingesammelt hatte.
Auf Malta drohte die Lage zu eskalieren.
Der Statthalter hatte seinen arabischen Verbündeten Malik al Charim um Verstärkung ersucht und würde sie erhalten!
Arnauds Kreuzfahrer hatten kurz vor der Hauptstadt einen Boten abgefangen, der die Ankunft der Araber anmelden sollte. Damit sammelte sich in Kürze eine Übermacht, die sowohl Matlahats Krieger als auch die Kreuzritter oder sämtliche Templer auf Malta allein unmöglich zu besiegen vermochten!
Es fehlte auf der Insel in diesem Moment ein Anführer, der die Gruppen einen und auch den letzten Mann an die Waffen holen konnte!
Wen sollten wir auswählen?
Die Überlegung war einfach und genauso schwer. De Moncadrieux blieb so gut wie geächtet. Ihm würden keineswegs sämtliche Kämpfer folgen, insbesondere die Templer nicht. Broderik als Mönchsritter gehorchte der Verpflichtung anderer Ziele. Er durfte sich durch das Führen fremder Truppen gegen Christen ohne offizielle Weisung nicht mit dem Orden überwerfen. Kilian mochte der Anführer sein, da ihn alle achteten. Der Arzt war jedoch kein Soldat und weilte außerdem nicht auf Malta. Arabicus hätte helfen können, aber auch der frühere Leibwächter befand sich hier bei uns. Und dann blieb noch – ich. Von den alten Gefährten auf der Insel ausdrücklich als Anführer gewünscht, entstand so ein Problem. Wie Arabicus benötigte man mich hüben wie drüben dringend.
Jede Entscheidung für eine Seite wäre die falsche. Mein Großvater brauchte mich gegen einen überlegenen Feind an seiner Seite; die Malteser dagegen drohten ohne Anführer unterzugehen!
Wir beratschlagten kurz, dann erhob Raimund vehement die Stimme.
»Nurim, ich nehme meinen alten Platz als Soldat ab sofort wieder ein! Bisher schonte man mich mehr als ausreichend. Wir haben nur zwei Möglichkeiten. Entweder gehen Kilian und ich zurück nach Malta, um die Truppen zu führen. In diesem Fall kämpft Falko an Eurer Seite. Oder Falko und Kilian fahren, und Ihr führt mit mir die Krieger hier zum Sieg. Besser wäre die erste Möglichkeit, weil meine Männer auf Malta durch Himmel und Hölle gehen, wenn sie mich bei sich wissen. Und somit erhalten die Bewohner Matlahats später unbedingte Unterstützung durch starke Einheiten!«
»Unmöglich! Ihr seid bekannt, und die Feinde suchen sicherlich längst überall nach diesem einen Entflohenen. Bei einer Gefangennahme auf dem Weg nach Malta bekommen wir Euch nie wieder frei. Das würde uns entscheidend schwächen!
Die beste Wahl für den Platz des Anführers dort ist Falko. Wahrscheinlich kommt mein Enkel besser als jeder andere durch die feindlichen Linien. Außerdem werden ihm Eure Anhänger ebenfalls bedingungslos folgen. Ihr bleibt in Matlahat, und er geht! So ist allen gedient. Ansonsten ist Arabicus hier ebenfalls unverzichtbar!
Ein besserer Kompromiss lässt sich nicht finden!«
Nach kurzer Überlegung stimmten die Anführer ihm zu. Ich packte die nötigen Sachen und verabschiedete mich anschließend von der gesamten Familie. Meine Großmutter hatte Tränen in den Augen. Sie fürchtete, wir würden uns zum letzten Mal sehen. Unglaublich, wie sehr sie und die anderen mir ans Herz gewachsen waren.
Dennoch – wir mussten reiten …
Ein Führer leitete Kilian und mich aus dem befestigten Tal heraus und nach endlosen Umwegen sicher nach Hanbar.
Im Hafen wurden wir von einem Gefolgsmann meines Großvaters in Empfang genommen. Er brachte uns auf einem Schiff unter, dessen Kapitän ebenfalls zu Nurims Anhängern gehörte.
Die Überfahrt nach Malta verlief diesmal schneller, denn die Winde standen günstig und das Schiff war kaum bis zur Hälfte beladen.
Kilian und ich beschlossen, in Valletta getrennt aufzutreten, um bei einer Entdeckung eine gleichzeitige Gefangennahme zu verhindern. Treffpunkt würde Rogérs Kate sein.
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