Kilian traf fast zeitgleich mit dem Ruf des Kochs zum Essen ein.
Unter vier Augen erhielt ich eine erste Zusammenfassung der Zeit seit unserer Trennung in Valletta. Die Templer aus dem Hafen hatten ihn in sicherer Entfernung zu den Spionen des Statthalters getroffen. Ihr Versuch, auch mich abzufangen, schlug fehl.
In der Komturei berichtete der Ankömmling von der Befreiung Raimunds und trat eine Welle der Begeisterung los. Kurz darauf befahl Broderik seinen Truppen, sich für den Kampf gegen Henry zu rüsten. Nach einem Sieg wollte er unbedingt meinem Vater und Großvater beistehen. Der Arzt drängte darauf, möglichst bald weiter zu Rogér zu reiten. Ihm war bewusst, wie knapp die verbleibende Zeit war. Broderik ließ ihn schnell ziehen und kümmerte sich um die Vorbereitungen seiner Tempelritter. Da er nicht genau wusste, wann die arabische Verstärkung einträfe, tat große Eile not.
Kilians Erzählung überraschte mich vollends.
Gleichzeitig stieg maßlose Freude auf. Bevor die Gefühle sich verselbstständigten, zügelte der Verstand das Herz. Bisher hatte der Ordensritter mir nichts persönlich versprochen!
Wir aßen zusammen mit Rogérs Getreuen. Deren Moral war mehr als gut, und sie schätzten die Situation richtig ein. Jeder brannte darauf, Arnaud zu helfen und de Fontes zu stürzen. Trotzdem gab es keinen Grund für Enthusiasmus. Allein das Zusammenspiel jeglicher verfügbarer Kräfte würde Erfolg bringen!
Zudem blieb die Schnelligkeit des Handelns entscheidend. Sollten wir erst nach dem Eintreffen von Henrys arabischen Verbündeten angreifen, bestand keinerlei Hoffnung auf den Sieg. Eine derartige Streitmacht innerhalb einer befestigten Stadt ließe sich mit unseren Truppen allein nicht bezwingen. Allerdings konnten wir nun mit den maltesischen Tempelrittern rechnen. Ihre höchstens 1100 Kämpfer – darunter 100 Ritter – würden das Zünglein an der Waage sein, selbst wenn nicht alle in die Auseinandersetzungen eingriffen!
Nach dem Essen nahm ich Rogér zur Seite und erzählte ihm von meinem Vater. Fassungslosigkeit schlug mir entgegen. Die ganzen Jahre über hatte er an Raimunds Überleben geglaubt, doch schließlich blieb nur noch die Hoffnung. Nun brachte ihn die Nachricht an den Rand eines Zusammenbruchs. Der hartgesottene Krieger zitterte am ganzen Körper und hatte Freudentränen in den Augen. Vorsichtig setzte er sich auf eine Bank und hörte zu, wie ich auch den Bewohnern der Kate die Neuigkeit mitteilte.
Einen Moment herrschte Stille, dann brach grenzenloser Jubel los, der nicht enden wollte. Nur langsam kehrte wieder Ruhe ein. Ich setzte nach und offenbarte, Raimunds Sohn zu sein, der sie führen würde. Jetzt gab es endgültig kein Halten mehr. Die meisten Männer lagen sich in den Armen. Viele weinten, während die älteren bereits vordrängten. Sie umringten Rogér und mich und überschütteten uns mit Fragen. Fast jedes dieser Urgesteine hatte unter meinem Vater gekämpft und kannte ihn persönlich. Die Krieger brannten förmlich auf den Kampf. Auch sie wollten unbedingt nach Outremer, um Raimund zu helfen!
Den Nachmittag über ließ Rogér verschiedene Gruppen Übungen ausführen, um mir ein Bild von den vorhandenen Fähigkeiten zu vermitteln. Mein Erstaunen wuchs mit jedem Moment. Die Einheiten waren derart gut geschult, dass de Fontes´ Angreifer ihnen wohl kaum etwas entgegensetzen konnten.
Bereits mittags hatten wir Boten zu Arnaud und Broderik geschickt.
Vor dem Morgengrauen des kommenden Tages sollten die Truppen zusammentreffen. Rogérs Männer würden nachts langsam losmarschieren, um dann rechtzeitig vor Vallettas Toren zu stehen. Anschließend wollten wir uns mit Arnauds Kreuzrittern und den jetzt noch auf der Insel verstreuten Gefolgsleuten vereinigen, um gemeinsam in die Stadt einzudringen. Die Templer unter Broderik würden aus ihrem Hauptquartier heraus vorstoßen und direkt in den Statthalterpalast eindringen. Erst danach sollte die Blockade des Hafens vom Land aus erfolgen.
Alles Andere erregte zu viel Aufsehen.
Funktionierte dieser Plan, würden wir vielleicht noch vor dem Eintreffen der Araber siegreich sein und uns dann gemeinsam ihrer annehmen!
Die Nacht hatte sich ausgebreitet.
Man sah die Hand kaum noch vor Augen. Der Mond schenkte zwar ein wenig Licht, aber ohne Fackeln blieb es fast unmöglich, schnell vorwärts zu kommen.
Wir hatten das Ziel trotzdem im Eiltempo erreicht.
Rogér stand mit ungefähr 100 Männern auf der baumlosen Fläche vor Vallettas Stadttoren. In einem Kraftakt waren die Kämpfer seines Versteckes unserem Ziel entgegenmarschiert. Nun wartete die Truppe auf Arnaud und dessen Ritter, die nach Auskunft ihres Boten bald anrücken würden. Zudem fehlten die alten Gefolgsleute meines Vaters, die sich gesammelt als Gruppe einfinden sollten.
Aus der Ferne hörte man das gleichmäßige Getrappel marschierender Füße und näherkommender Pferde.
Unsere Kundschafter behielten Recht. Die über die Insel verstreuten Anhänger Raimunds zogen heran. Im schwachen Mondlicht sammelten sich schließlich an die 300 Getreue. Viele von ihnen trugen Rüstungen, die noch aus der Zeit des zweiten Kreuzzuges stammten!
Dazu trafen etwas mehr als 50 Bogenschützen ein. Ich nahm ihr Erscheinen dankbar zur Kenntnis. Diese Waffenführer hatten zwar weithin den Ruf, kaum mehr als unverzichtbare Hilfstruppen darzustellen, aber hier würden sie so wichtig wie jeder andere Mann sein. Ungeachtet dessen überwog blankes Erstaunen. Unter den Versammelten gab es kaum Bauern. Stattdessen standen Krieger vor uns!
Zumindest in Hinsicht auf Erfahrung und Bewaffnung der Ankömmlinge mussten wir keine Sorge haben.
Diesmal ignorierte Kilian meine Verwunderung. Er begrüßte stattdessen leise den Anführer und wies ihn in die Situation ein. Der Mann fragte nicht viel, sondern erteilte mit wenigen Handbewegungen Anweisungen. Seine Kämpfer folgten sofort und änderten ihre Aufstellung. Nahtlos fügten sie sich in die vorhandenen Angriffsreihen ein und warteten auf Befehle. Mein Gesicht zeigte unverhohlene Verblüffung. Was hatte ich da gerade beobachten können? War das wirklich nur die erwartete zusätzliche Unterstützung?
Wohl kaum. Es wirkte eher wie der geübte Antritt einer gut geschulten Einheit. Taktische Übungen dieser Qualität beherrschten keine einfachen Bauern!
Sollten wir mehr Aussicht auf Erfolg haben als angenommen?
Nicht lange, und auch de Moncadrieux rückte an. Man bemerkte keinerlei Anstrengung, das Nahen zu verheimlichen. Derartiges wäre bei der Größe des Heeres auch unmöglich gewesen. Seine Männer bildeten einen weiten Ring aus Kämpfern vor den Stadtmauern Vallettas, die die Landseite der Stadt schützten. Ich hatte noch nie dermaßen viele Soldaten auf einmal gesehen, dazu so dicht gedrängt.
Auch diesmal kamen mir Zweifel. Das waren auf keinen Fall abgehalfterte Krieger oder einfache Kreuzfahrer! Die fielen üblicherweise in ungeordneten Scharen wie Heuschrecken ein und hatten Kinder, Frauen und Arme in ihren Reihen. Es waren wilde, zusammengewürfelte Haufen, die sich oft wie Tiere aufführten und nicht selten mit dem Hungertod rangen. Hier dagegen existierte sogar eine kleine Rittereinheit mitsamt Knappen und Dienern, dazu Hilfstruppen und Bogenschützen. Selbst ein Tross folgte. Arnauds Männer waren aufgebaut und straff organisiert wie ein reguläres Heer. Die einzelnen Teile wirkten sichtbar eingespielt und bewegten sich mit äußerster Ruhe.
Die Überlegung, 1500 Kämpfer aus Outremer mit einem erfahrenen Führer beim Kampf gegen Henry de Fontes neben uns zu haben, ließ mich insgeheim schon an Elisabeth denken. Wohl nur nach einem Sieg gäbe es ein Wiedersehen.
Ansonsten …
Der maltesische Adelige schlenderte herüber und begrüßte Rogér und mich äußerst herzlich. Den Anführer der dazu gestoßenen Truppe sprach er wie einen Vertrauten an, und der Mann antwortete genauso.
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