»Das hängt davon ab. Ich habe schon charmante Mörder hinter Gitter gebracht, die dachten, sie können mich mit ihrem Charme einwickeln.« Wie kam sie nur auf diese Antwort? Wollte sie ihm zeigen, dass er es erst gar nicht bei ihr versuchen sollte? Mercédès fühlte sich völlig verwirrt. Auch durch den Alkohol. Sangria und jetzt bereits das zweite Glas Wein auf praktisch nüchternen Magen, das konnte nicht funktionieren. Gott sei Dank wurde in dem Moment der erste Gang serviert. Das knusprige Weißbrot hatte sie längst ganz alleine verzehrt.
Werner Hoffmann bedeutete der Kellnerin, dass sie das Körbchen auffüllen sollte. Dabei fiel ihr seine Hand auf. Sie starrte auf diese. Fühlte ein eigenartiges Kribbeln. Warum machte sie seine Hand nervös? Eine sehr schön geformte Hand, philosophierte sie. Schlank mit langen Fingern. Und ohne Trauring.
»Dann hatten diese Typen keine Menschenkenntnis. Ich schätze Sie überaus geradlinig ein. Sie kämpfen für die Gerechtigkeit, daher sind Sie Polizistin geworden. Aber warum nicht Anwältin oder Richterin?«
Woher wusste er, dass sie zwischen den Berufen geschwankt hatte? War sie so leicht zu durchschauen?
»Mein Vater war Polizist. Und als er uns so früh verlassen hatte, da dachte ich einfach, um ihm nahe sein zu können, trete ich in seine Fußstapfen ...«
Eine Weile aßen sie schweigend, Mercédès fühlte wieder Boden unter den Füßen. Sie liebte Tapas, und diese Auswahl mundete hervorragend. Ihr absoluter Favorit waren Datteln im Speckmantel und sie wurde gewahr, dass nur sie von diesen gegessen hatte. Mochte Werner Hoffmann keine oder hatte er aus Höflichkeit alle an sie abgetreten? Weil sie sich so darauf gestürzt hatte? Sie beschloss, sich ein wenig zurückzunehmen, knabberte an einigen gebratenen Pimientos de Padrón , griff sich eine Garnele im Knoblauchöl, probierte noch ein köstliches Albóndigas . Die Hackfleischbällchen in Tomatensauce erinnerten sie an das deutsche zu Hause, an München und die Fleischpflanzerl. Auch wenn diese nicht in Tomatensauce serviert wurden. Mit einigen Papas arrugadas , den berühmten Kartoffeln mit Salzkruste, fühlte sie sich nun fürs Erste gesättigt.
Als er ihr erneut Wein nachschenken wollte, hielt sie ihre Hand über das Glas. »Ich muss noch fahren«, wehrte sie ab. Er akzeptierte ohne Einwand. Auch das gefiel ihr. Denn meistens wurde versucht, sie doch noch zu einem weiteren Glas zu überreden.
»Wasser?«, fragte er stattdessen.
Sie nickte dankbar.
»Und Sie? War Ihr Kindheitstraum Hotelmanager auf Mallorca zu werden?«
»Nein. Ich wollte Löwendompteur werden.«
»Löwendompteur?«, fragte sie perplex nach.
»Löwendompteur!« Und beide prusteten zur selben Zeit los.
»Wie das?« Es interessierte sie. Der Mann interessierte sie.
»Ich war als Kind fast täglich im Schönbrunner Zoo, verliebt in die Löwen. Und habe mir vorgestellt, wie ich bei ihnen im Käfig stehe und sie dazu bringe, durch Reifen zu springen.«
»Und warum ist daraus nichts geworden?«, schmunzelte sie.
»Weil die Liebe nachgelassen hat und die Angst gewachsen ist«, lachte er.
Sie stimmte ein. »Dafür zähmen Sie jetzt Ihre Gäste.«
»Wenn das so einfach wäre ...«, seufzte er und blickte zu den Fichtelhubers.
»Kann ich mir gut vorstellen, dass es nicht immer leicht ist. Manche Menschen stellen eine Herausforderung dar. Wie war Sabrina Schneider so?«
»Wollen wir jetzt über den Beruf sprechen oder ihn mal außen vorlassen und uns amüsieren?«
Wich er ihr aus oder wollte er wirklich nur abschalten?
Sie lächelte ihn hintergründig an. »Amüsieren hört sich gut an«, und hielt ihm ihr Weinglas doch wieder hin. Dieses hervorragende Wolfsbarschfilet auf Tomatenrisotto mit Olivennage verdiente einen guten Wein und nicht das einfache Wasser, dachte Mercédès. Verträumt beobachtete sie ihn beim Nachschenken des Rotweins.
Amüsiert zog er eine Augenbraue fragend in die Höhe.
Lächelnd erklärte sie: »Ich musste gerade an einen Sommerurlaub mit meinen Eltern in Südfrankreich denken. Mein Vater hat in einem eleganten Restaurant in Menton Fisch bestellt, dazu Rotwein, weil meine Eltern nicht gerne Weißwein tranken. Daraufhin meinte der Kellner ausgesprochen höflich: › Monsieur, Fisch verlangt Weißwein! ‹« Dabei imitierte sie den etwas überheblichen Gesichtsausdruck und die leicht näselnde Stimme des Kellners.
Hoffmann brach in schallendes Gelächter aus, was die Aufmerksamkeit Rosie Fichtelhubers nach sich zog. »Ja, das hab ich in der Tourismusschule Kleßheim auch noch gelernt. Aber Gott sei Dank sind die Regeln nicht mehr so streng.« Erhob sein Glas und prostete ihr zu.
Im Hintergrund erklang This is My Song, eine alte Aufnahme von Petula Clark, und obwohl das keines von Mercédès Lieblingsliedern war, ergriff sie eine eigenartige Stimmung. Warum war ihr Herz plötzlich so leicht?, fragte sich nicht nur Petula Clark .
»Wie lange leben Sie bereits in Spanien?«, nahm er das Gespräch nach ein paar Minuten Schweigen mit einem Räuspern wieder auf. Gespannte Augen trafen sie.
Hatte er die knisternde Atmosphäre ebenso empfunden?, überlegte Mercédès.
»Ich war sechzehn, als wir München verlassen haben. Also eine ganze Weile«, schmunzelte sie. Sollte er doch raten, wie alt sie war. Sie musste ihm ja nicht auf die Nase binden, dass sie jetzt schon die gleiche Anzahl von Jahren in Spanien lebte wie damals in München.
»Haben Sie München nie vermisst?«
»Am Anfang. Aber es war ja mein Vater, der das Bayrische ausgemacht hat. Meine Mutter hat sich dort ohnedies nie wohlgefühlt und so war es naheliegend, nach seinem Tod nach Spanien zurückzukehren. Und wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich mehr als Spanierin denn als Deutsche, obwohl ich deutsche Staatsbürgerin bin.«
»Warum nicht beides?«, fragte er überrascht.
»Weil ich mich noch entscheiden musste ... erst seit 2014 dürfen Kinder mit einem ausländischen Elternteil in Deutschland die Staatsangehörigkeit des anderen Elternteils behalten.«
»Und warum haben Sie sich für die Deutsche entschieden?«
»Sie sind aber neugierig, das klingt ja fast wie ein Verhör«, wies sie ihn leicht tadelnd zurück.
»So war das nicht gemeint. Aber Sie interessieren mich!« Und wieder richteten sich erwartungsvolle Augen auf sie. Doch es lag mehr in dem Blick ...
Verwirrt schloss sie für einen Moment ihre Augen, drehte ihr Weinglas in den Händen. »Weil meine Mutter das für besser befand ...« Wie oft hatte sie sich seither überlegt, ob das der richtige Schritt gewesen war. Sie lebte in Spanien, trotzdem war sie Deutsche. Aber irgendwie war es das Vermächtnis ihres Vaters, dem es wichtig war, dass sie Deutsche, Bayerin, war. Auch wenn sie dadurch in Spanien des Öfteren mit Vorurteilen zu kämpfen hatte, trotz ihres spanischen Aussehens und ihrer typischen spanischen Art.
Er betrachtete sie aus halbgeschlossenen Augen. Trank einen Schluck Wein. »Und, fühlen Sie sich auch als Mallorquinerin?«
»Ich bin erst seit gestern Abend hier ...«, und sie strich ihre widerspenstigen Locken zurück. Eine Geste, die er unheimlich anziehend fand.
»Oh, dann hatten Sie heute Ihren ersten Arbeitstag?« Die Überraschung war ihm deutlich anzumerken. Aber auch Freude.
»Eigentlich hätte ich den erst morgen ...«, seufzte sie.
»So traurig und pietätlos das wahrscheinlich klingen mag. Aber da muss ich Sabrina direkt dankbar sein. Sonst hätten wir uns vielleicht nie getroffen.« Er beugte sich bei diesen Worten vor, sein Arm streifte fast ihre Schulter.
Sie wollte ihm scharf ins Wort fallen, denn wie kann man einen Todesfall als glückliche Fügung ansehen? Besann sich aber anders. Sah sie es nicht ebenso? Und schloss erneut für einen Moment verwirrt die Augen über die widersprüchlichen Gefühle in ihrem Bauch.
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