Er seufzte.
»Ich wünsche mir auch Kinder. Aber die Frau, die ich liebe, hat keinen Blick mehr für mich übrig.«
Horatio nickte.
»Du liebst Aset, mein Freund.«
»Ja. Du bist mein Freund. Du bist jetzt einer von uns. Ich sehe, wie schwer es für dich ist, alleine zu sein. Weil ich es auch bin. Du liebst dieses Feuerhaar?«
»Mehr als mein Leben.«
Hanbal nickte.
»Wenn das so ist, dann werde ich diese Frau ebenfalls mit meinem Leben verteidigen.«
Horatio wusste, warum Hanbal das sagte. Für den Ägypter war klar, dass Aset niemals an der Seite des »Inglis« sein würde, solange Sarah lebte.
»Wir kommen aus verschiedenen Kulturen«, murmelte Horatio. »Und doch sind wir Brüder. Lass uns das immer in Erinnerung behalten. Und ich schwöre bei meinem Leben, dass ich Aset niemals anrühren werde.«
Hanbal nickte noch einmal, dann stieg er auf sein Kamel und machte sich auf den Weg zu Sefu. Es musste überlegt werden, wie dieser Gefahr, die sich unaufhaltsam näherte, begegnet werden konnte.
Horatio pirschte sich wieder näher an die Gruppe. Mit seinem Fernrohr konnte er erkennen, dass der Größte von ihnen Sarah nicht aus den Augen ließ, sobald sie nicht auf ihn achtete. Sein Gesicht zeigte deutlich, was er wollte.
»Rühr sie an und du bist tot«, flüsterte Horatio.
Er schlich sich zurück und eilte zu seinem nächsten Beobachtungspunkt.
Das Lager sah aus, als wäre nichts geschehen. Als ob eine exakte Kopie des vorherigen errichtet worden wäre. Einzig die zugeschüttete Grabstelle von der letzten Expedition sah immer noch so aus, wie sie diese verlassen hatten. Allerdings war die Gesellschaft jetzt deutlich unangenehmer. Wenn Sarah gehofft hatte, dass der Rest der neuen Truppe vertrauenerweckender sein würde als Walid, Serhat und Nermin, wurde sie gleich bei ihrer Ankunft eines Besseren belehrt.
Als Erstes fiel ihr auf, dass die Männer für die Arbeit, die sie ausführten, zu teuer gekleidet waren, was darauf schließen ließ, dass sie ihre Kleidung oder zumindest das Geld dafür zusammengeklaut hatten. Und je mehr Sarah ihnen ins Gesicht und auf die Hände und Arme sah, desto mehr Narben bemerkte sie, die eindeutig auf Kämpfe, nicht selten mit einem Messer, hindeuteten.
Sie wagte kaum daran zu denken, hatte aber immer mehr den Eindruck, dass Adil die neuen Helfer direkt aus dem Zuchthaus geholt hatte! Sarah versuchte, sich möglichst unauffällig im Lager zu bewegen, aber als einzige Frau wirkte sie, selbst verschleiert, wie ein Signalfeuer. Die Situation besserte sich erst, als Adil und Esubam endlich Befehle brüllten und die ganze Gruppe zu der verschütteten Grabungsstelle scheuchten, um sie wieder freizulegen.
Es fühlte sich an, als fiele Sarah eine Zentnerlast von den Schultern. Aufatmend setzte sie sich vor ihrem Zelt in den Schatten und vertiefte sich in ihre Bücher, die sich mit der Mythologie Ägyptens beschäftigten. Aber obwohl sich niemand mehr im Lager befand, hatte sie ständig das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie konnte sich kaum konzentrieren, sah immer wieder von den Seiten auf, spähte argwöhnisch in die Berge. War da nicht eine schnelle Bewegung auszumachen? Sarah war sich nicht sicher. Es hätte ein Tier sein können, eine optische Täuschung, weil ihre Augen sich nicht schnell genug auf die Entfernung einstellen konnten – oder aber die Banditen, die sie überfallen hatten, waren immer noch da und würden sie diesmal nicht so glimpflich davonkommen lassen.
Ein Schauer überlief die junge Frau, und sie stand abrupt auf und ging in ihr Zelt. Hier konnte sie wenigstens niemand beobachten!
Bis es dunkel wurde, kam Sarah nicht mehr heraus, hob erst den Kopf, als András Esubam sich am Zelteingang räusperte. Er lächelte sie an, hatte offensichtlich nach der Grabungsarbeit gebadet, denn es war kein Staubkorn an ihm zu sehen.
»Darf ich dich zum Abendessen in mein Zelt bitten, liebste Sarah? Ich dachte, du möchtest auf die Anwesenheit unserer neuen Helfer vielleicht lieber verzichten.«
»Wie gut du mich kennst, András.«
Grinsend schlug Sarah ihr Buch zu und erhob sich, folgte dem Professor in sein Zelt, wo ein flacher Tisch zwischen zwei Korbstühlen stand, auf dem bereits das Abendessen duftete. Mit Heißhunger langte Sarah zu. Ägypten hatte sich ihr bisher nicht von seiner besten Seite gezeigt, aber für die exotische Küche war sie schon jetzt bereit zu töten!
Esubam sah ihr belustigt zu.
»Wie ich sehe, hat die Hitze deinem Appetit nicht geschadet! Wie kommst du mit deinen Studien voran?«
»Sehr gut. Es ist faszinierend, wie die alten Dynastien dachten und was sie Großes erreicht haben!«
Sarahs grüne Augen glänzten.
»Ich kann es kaum erwarten, etwas davon zu sehen.«
András lächelte.
»Ich werde hoffentlich bald etwas Zeit erübrigen können, um dir die alten Wunder, die bereits entdeckt wurden, zu zeigen. Falls wir vorher nicht unser eigenes Wunder zu Tage fördern.«
Die Unterhaltung plätscherte munter und ungezwungen dahin, bis der letzte Krümel verzehrt und der letzte Schluck getrunken war. Dann, als Sarah sich erhob und für die Nacht verabschieden wollte, hielt Esubam ihre Hand fest und zog sie zu sich hin.
»Sarah … würdest du dich nicht sicherer fühlen, wenn du das Zelt mit mir teilst?«
Die Rothaarige wusste nicht, ob sie empört oder amüsiert sein sollte. Schon seit geraumer Zeit war ihr klar, dass der Expeditionsleiter sich nicht nur für ihre medizinischen Kenntnisse interessierte. Sanft, aber bestimmt entzog sie ihm die Hand.
»Oh, ich bin mir sicher, dass Adils zuverlässige Helfer mich auch in meinem eigenen Zelt hervorragend schützen werden. Oder sollte ich da etwa Grund zur Sorge haben?«
Sie hob leicht spöttisch die Augenbrauen, legte besondere Betonung auf die »zuverlässigen Helfer« und brachte András damit in Verlegenheit. Er räusperte sich und straffte seine Gestalt.
»Natürlich. Du hast absolut keinen Grund, dich zu fürchten. Träum süß, Sarah.«
»Gute Nacht, András.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, küsste ihn flüchtig auf die Wange und kehrte dann in ihr Zelt zurück.
Horatio lag wieder auf seinem Beobachtungsposten. Mittlerweile waren aus der Oase einige Männer eingetroffen, die in der Nähe eine Höhle so weit hergerichtet hatten, dass man es einige Tage gut darin aushalten konnte.
Diese Höhle war vom Wadi aus weder zu sehen noch ohne weiteres zu erreichen. Aber man konnte in einer Minute auf dem Posten sein, um das Camp zu beobachten.
Neben Horatio lag ein Gewehr. Es war eine moderne Waffe, bereits mit Repetiertechnik und gut in Schuss. Er hatte nicht gefragt, woher es stammte. Aber er war froh, nicht mehr unbewaffnet zu sein. Hier kam auch seine Militärausbildung wieder zum Tragen, er kannte sich mit Waffen bestens aus und fühlte sich in der Lage, von seiner Position aus einen Mann im Lager durchaus von den Beinen holen zu können, wenn es erforderlich sein würde. Doch er hoffte, dass dies nicht nötig werden würde. Sarah sah immer wieder in seine Richtung. Sie schien seine Nähe zu spüren, eine andere Erklärung gab es nicht. Irgendwann verschwand sie in ihrem Zelt.
Im Lager wurden Fackeln angezündet und einige Männer bezogen Wachpositionen. Es schien, als ob sie sich darauf gefasst machten, dass in der Nacht vielleicht die Besucher erneut auftauchen könnten. Aber das würde nicht geschehen, es war zu riskant.
Esubam kam aus dem Zelt, in dem er zu wohnen schien, und ging zu dem von Sarah. Gemeinsam kehrten sie dann zu Esubams Wohnstatt zurück. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie wieder erschien. Horatio knirschte mit den Zähnen. Hatte sie etwa mit diesem Ekel …? Das konnte, das wollte er sich nicht vorstellen.
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