»Die Zimmer hier, die sind die ganze Zeit reserviert. Sie stehen leer, wenn wir im Wadi sind, oder?«
»Ja, Sidi.«
»Also, wenn ich hierbleibe, dann werden sie nicht umsonst gezahlt. Sarah wird euch begleiten, ich habe mit ihr gesprochen.«
Adil nickte.
»Sidi, wenn das Euer Wunsch ist.«
»Ja, ist es. Und jetzt sieh zu, dass du der Frau das erklärst. Danach suchst du diesen irren Professor und sagst ihm das.«
Er drehte sich um und steuerte die Bar an.
»Und Gnade euch allen Gott oder Allah oder von mir aus auch die Königin der Waldameisen, wenn es hier jetzt keinen ordentlichen Scotch gibt.«
Horatio grinste erst. Das war Andrew. Aber dann begriff er, was geschehen war. Esubam hatte erreicht, dass sich Sarah und ihr Vater trennten. So konnte er in Ruhe mit der schönen Rothaarigen alleine sein, ohne dass ihr alter Herr wie ein Racheengel über ihnen schwebte.
»Verdammt, wo ist Tante Margret, wenn man sie braucht?«, flüsterte er.
Tante Margret war die Schwester von Sarahs Mutter, die bei der Geburt ihrer Tochter gestorben war. Margret hatte es Andrew nie verziehen, dass er seine eigene Frau nicht hatte retten können. Doch sie hatte ihrem Schwager und Sarah den Haushalt geführt und wie ein Drache über ihre Nichte gewacht. Horatio wünschte sich, dass sie hier wäre, dann würde Esubam verzweifeln. Aber, abgesehen davon, dass er nicht wusste, ob sie noch am Leben war – sie würde sich niemals in die Wüste begeben und in einem Zelt schlafen. Horatio konnte sich vorstellen, wie Margret die beiden in London bearbeitet haben musste.
Doch Horatio hatte jetzt ein Problem. Sefus Anweisung war deutlich. Er musste bei Sarah bleiben. Also brauchte er jemanden, der ein Auge auf Andrew warf.
Er legte die Zeitung weg und schlich sich wie ein Schatten aus dem Hotel.
Als sie sich zum zweiten Mal auf den Weg in den Wadi machten, kam Sarah die Reise weit weniger unerträglich vor. Zum einen war es nicht so heiß – hohe Schleierwolken hatten sich vor die Sonne gelegt und sorgten dafür, dass sie nicht wie Nadelstiche auf der Haut zu spüren war. Zum anderen wusste die Engländerin jetzt, wie weit es war und wo ihr Ziel lag und sie erkannte auch einzelne Punkte am Weg wieder. So konnte sie ungefähr sagen, wie viel der Strecke sie schon hinter sich gebracht hatten. Da sie bereits vor Sonnenaufgang aufgebrochen waren, würden sie ihr Ziel vor der größten Mittagshitze erreichen.
Was allerdings mehr als nur irritierend war, waren ihre neuen Begleiter. Der größte Teil der Gruppe war schon gestern losgezogen, um die Vorräte ins Lager zu bringen und die zerstörten Zelte zu ersetzen. Es reisten lediglich drei Männer mit ihnen, um ihre Sicherheit zu garantieren. Adil hatte Sarahs Blicke bemerkt, als sie die Wachen zum ersten Mal gesehen hatte, und sich beeilt zu versichern, dass es sich bei den Männern um absolut zuverlässige Söldner handelte, die im Notfall vor nichts zurückschreckten. Nun, Letzteres glaubte Sarah sofort. Sie zweifelte allerdings an dem »zuverlässig«. Vorgestellt hatten die Männer sich nicht selbst, das hatte Adil übernommen, und sie Walid, Serhat und Nermin genannt. Sarah hatte sich noch nicht ganz entscheiden können, wen sie am unheimlichsten fand.
Serhat war der größte Mann, den sie je in ihrem Leben gesehen hatte, beinahe sieben Fuß groß und so breit, dass er sich nicht nur bücken musste, um durch eine Tür zu kommen, sondern wahrscheinlich auch nur seitlich hindurchpasste. Er schien Nubier zu sein und war der erste und einzige Mann, den sie bisher mit freiem Oberkörper herumlaufen sah. Dieser Umstand trug zu seinem respekteinflößenden Äußeren noch bei, da er nur aus Muskeln, überzogen von einem Aderngeflecht, zu bestehen schien. Außerdem schaute er niemanden direkt an, sein Blick ging stets ausdruckslos auf Augenhöhe geradeaus in die Ferne.
Nermin hatte sicherlich nicht weniger Körpermaße als Serhat, wuchs jedoch eher in die Breite als in die Höhe. Der komplette Mann wirkte weich und schwammig, sein Gesicht war so aufgedunsen, dass man fast keine Augen darin sehen konnte. Eigentlich rechnete Sarah damit, dass er schon nach hundert Yards in der Wüste tot umfallen musste, aber er verblüffte sie, indem er, wie die beiden anderen auch ein Lastkamel führend und nicht reitend, in strammem Tempo neben ihr herzog und, obwohl der Schweiß in Strömen über sein Gesicht floss, nicht einmal außer Atem kam.
Walid schließlich war rein äußerlich wenig erschreckend. Sarah hätte kaum ein zweites Mal hingeschaut, wenn er ihr auf dem Markt begegnet wäre. Vorausgesetzt natürlich, er hätte sich anders verhalten, als er es tat! Sein Blick, der etwas Verschlagenes hatte, huschte pausenlos hin und her wie eine Ratte in der Falle, und sein Mund stand nie still. Beständig sang der Mann vor sich hin, um dann unvermittelt mit sich selbst zu sprechen oder in halblautes Gelächter auszubrechen. Ziemlich sicher war er nicht ganz richtig im Kopf!
Als András Esubam sein Kamel ein wenig zurückfallen ließ, bis es neben Sarahs ging, wandte sie sich ganz offen an ihn.
»Bist du sicher, dass uns Adil da nicht Begleiter angeheuert hat, die uns bei der erstbesten Gelegenheit den Hals durchschneiden?«
Er lachte, und Sarah spürte fast widerwillig, dass das sorglose Blitzen in seinen Augen ihre Sorgen wegzuschmelzen begann.
»Keine Angst, meine Schöne!«
Er zwinkerte ihr keck zu, und Sarah spürte, wie sie rot wurde.
»Adil kennt Gott und die Welt in Luxor. Er würde uns nie einer Gefahr aussetzen. Außerdem haben die Männer zu Beginn unserer Reise nur sehr wenig Geld bekommen. Sie würden wenig davon haben, uns umzubringen, denn den Rest erhalten sie erst, wenn sie uns wohlbehalten wieder zurückgebracht haben.«
Sarah nickte halbwegs beruhigt und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Umgebung zu. Wieder hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Als lauerte ein Schatten in den Augenwinkeln auf sie, der verschwand, sobald sie ihren Blick in die entsprechende Richtung wandte.
Horatio ritt abseits der bekannten Wege. Immer wieder näherte er sich der seltsamen Karawane, beobachtete, überlegte. Diese Männer, die mit Sarah unterwegs waren, gefielen ihm gar nicht. Nach einer Stunde holte ihn Hanbal ein.
»Inglis, du hattest Recht. Diese Männer dort«, er zeigte zum Horizont in Richtung der Reisegruppe, »sind die übelsten Burschen, die man nur finden kann. Und die anderen, die bereits im Lager sind, die sind nicht einen Deut besser. Diebe, Mörder, Halsabschneider, Vergewaltiger.«
Er machte eine Pause.
»Und Grabräuber. Dieses Schwarzauge weiß nicht, in welche Gefahr er sich begibt. Sobald sie wirklich etwas finden sollten, das den Wert ihres Lohnes übersteigt, werden sie dem Schwarzauge die Kehle durchschneiden. Und was mit dem Feuerhaar geschieht … sie werden sie alle nehmen, nacheinander. Und was von ihr übrig bleibt, werden sie an ein Bordell verkaufen. Wenn sie es überlebt.«
Horatio wurde bleich. Es war noch schlimmer, als er angenommen hatte. Sefus Plan, nur Männer in das Lager zu schicken, welche auf Seiten der Bruderschaft standen, war völlig daneben gegangen. Stattdessen hatte der Professor die übelsten Burschen angeheuert, die man in Ägypten finden konnte.
»Hanbal, reite zu Sefu. Wir müssen uns überlegen, was wir tun sollen. Sie dürfen nichts finden. Wir müssen es verhindern!«
Hanbal verstand. Es ging Horatio nicht darum, dass keine Schätze gefunden werden sollten. Er hatte Angst um die Frau. Er legte dem Engländer die Hand auf den Arm.
»Inglis, als du zu uns kamst, da warst du tot. Ich hätte keinen Dinar mehr auf dich gesetzt. Doch du bist stark. Und du bist schlau.«
Er sah ihm in die Augen.
»Ich weiß, dass Aset dir schöne Augen macht. Jeder weiß es. Auch Sefu. Töchter sind die Strafe Allahs dafür, dass wir Männer sind.«
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