Es überraschte Sarah völlig, als András auf sie zu trat und ihre Hände nahm.
»Und nicht nur für die Expedition bist du wichtig, Sarah. Auch für mich. Du bist eine faszinierende Frau, schon als ich dich das erste Mal gesehen habe, war ich vollkommen in deinem Bann. Schon deshalb werde ich dich hüten wie meinen Augapfel.«
Als er sich auf sie zubeugte, wusste Sarah sofort, dass András sie küssen wollte. Sie stand da wie gelähmt und wusste selbst nicht recht, ob sie sich nicht rühren konnte oder wollte. Es fiel ihr immer schwerer, sich der Anziehungskraft des Professors zu entziehen.
Sarah spürte schon seinen Atem auf den Lippen, als es erneut an der Tür klopfte. Sie fuhr zurück, spürte, wie ihr die Verlegenheitsröte in die Wangen schoss, und bat den Gast herein, ohne nach seiner Identität zu fragen.
Es war Andrew, und als er Esubam im Zimmer seiner Tochter sah, verschlossen sich seine Züge sofort mit Misstrauen.
»Professor, Sie hätte ich zu dieser Stunde nicht bei meiner Tochter erwartet.«
Trotz der Hitze schien die Kälte in seiner Stimme dazu geeignet zu sein, Eisblumen am Fenster entstehen zu lassen. András konnte sein Missfallen über die Störung nicht völlig verbergen, hatte sich aber gut im Griff und zauberte sogar ein Lächeln auf sein Gesicht.
»Ich wollte mich nur noch einmal vergewissern, dass es Sarah gutgeht. Die neue Expeditionsgruppe ist vollständig, und ich möchte spätestens übermorgen aufbrechen.«
Dass es so bald schon sein sollte, jagte Sarah einen kleinen Schauer der Angst über den Rücken, aber sie ließ es sich nicht anmerken und straffte ihre Gestalt, nickte.
»Das wird kein Problem sein. Ich bin bereit.«
Sie wurde von Esubam mit einem strahlenden Lächeln belohnt und er verbeugte sich leicht, hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken.
»Ich habe gewusst, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
Zu Andrew gewandt fügte er hinzu:
»Sie haben wirklich eine erstaunliche Tochter! Sie müssen stolz auf sie sein.«
Damit verließ er das Zimmer. Andrew blickte ihm unwirsch nach.
»Das bin ich. Auch wenn ich manchmal wünschte, du wärst weniger wie deine Mutter. Dann würde ich nicht hier in der Wüste sitzen und müsste mir keine Sorgen machen.«
Sarah lachte und nahm ihn in die Arme.
»Aber dein Leben wäre auch entschieden langweiliger!«
Horatio fand keinen Schlaf. Er wälzte sich hin und her. Auf einmal klirrte es leise. Er richtete sich auf. Ein erneutes Klirren. Er stand auf, ging zur Balkontür und öffnete sie. Davor lagen einige kleine Kieselsteine. Er beugte sich über das Geländer und erschrak, als eine Gestalt sich darüber schwang.
»Aset! Was willst du mitten in der Nacht hier?«
Die Frau lächelte ihn an und ließ ihre Augen über seinen Körper gleiten. Horatio hatte völlig vergessen, dass er nackt geschlafen hatte. Schnell schlüpfte er in eine Hose.
»Schade«, murmelte Aset. »Vergiss nicht, ich habe dich schon nackt gesehen.« Sie grinste dabei.
»Hör auf damit«, brummte Horatio. »Du weißt, dass dein Vater mich kastriert, wenn ich dich anrühre.«
»Das wäre schade«, erwiderte sie lachend.
Horatio wurde rot. Seit Sarah war er nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen. Die Natur forderte, wie auch Aset wohl unschwer erkannt hatte, ihr Recht. Doch die Ägypterin war tabu für ihn. Nicht nur ihres Vaters wegen. Als er England fluchtartig verlassen hatte, war es sein Schwur gewesen, keine Frau mehr anzurühren. Er liebte Sarah. Und nur sie wollte er noch in den Armen halten. Auch, wenn es aussichtslos schien.
»Warum bist du hier?«, brummte er.
»Ich soll dir eine Botschaft von meinem Vater überbringen.«
»Und wie lautet sie?«
Aset trat auf ihn zu, mit wiegenden Hüften.
»Du sollst unbedingt auf die Frau mit den flammenden Haaren achten. Egal, was passiert. Sie ist wichtig.«
Horatio kratzte sich am Kopf.
»Und warum?«
Aset trat noch einen Schritt auf ihn zu.
»Er hat mich eingeweiht. Es steht geschrieben, dass nur ein Fremder mit dem Kopf voller Feuer den Atem des Nophta bändigen kann. Und nur dann, wenn es aus freien Stücken geschieht. Es kann nur diese Frau sein, Vater ist sich ganz sicher. Niemand darf sie zwingen, es zu tun. Nur, wenn sie mit reinem Herzen und ohne Zwang die Zeremonie durchführt, wird der Atem des Nophta für immer ruhen. Wird sie gezwungen, so wird ein großes Elend über die Welt kommen.«
Jetzt stand Aset direkt vor Horatio. Er konnte ihren Duft riechen, wie Honig und Jasmin. Er sah in ihre braunen Augen, die zu leuchten schienen.
»Aset. Nicht!«, murmelte Horatio. Sie lächelte und trat zurück.
»Du bist stark, Inglis! Doch wie lange kannst du mir noch widerstehen?«
Horatio wusste keine Antwort. Sie hatte Recht. Irgendwann würde sein Widerstand brechen. Und was dann kam, das wollte er eigentlich nicht wissen. Aset nahm seine rechte Hand, führte sie zu ihrer Brust, legte sie darauf.
»Inglis, wenn du willst, dann wird mein Vater zustimmen. Du wirst mein Mann sein. Und wir werden das Erbe meines Vaters antreten. Du wirst an meiner Seite die Bruderschaft leiten.«
»Nein, Aset! Das geht nicht«, rief er halblaut, riss sich los.
Sie sah ihn enttäuscht an.
»Du liebst sie, nicht wahr? Die mit den Haaren wie Flammen.«
Er nickte. Sie sah ihn zornerfüllt an.
»Dann wirst du verbrennen.«
Sie drehte sich um und verschwand wie der Blitz. Und Horatio hatte das Gefühl, gerade einen nicht mehr gutzumachenden Fehler begangen zu haben.
Die Stadt Luxor erwachte früh am Morgen zum Leben, noch bevor die ersten roten Streifen der Sonne am Horizont erschienen. Die Menschen nutzten die Gelegenheit, die schwerste Arbeit des Tages hinter sich zu bringen, bevor die größte Hitze begann. Im Fackelschein zogen die Markthändler auf die Straßen, bauten ihre Stände auf und legten die Waren aus. Bauarbeiter begannen ihr Tagwerk, gingen in die Steinbrüche, besserten Straßen aus und zogen immer neue Gebäude hoch. Schon vor sechs Uhr am Morgen war die Stadt voll von Menschen und niemand achtete auf den dunkel vermummten Reiter, der etwas abseits des Winter Palace Hotel abwartete und beobachtete.
András Esubam hatte einen riskanten Plan. Er hatte nicht die geringste Ahnung, ob er funktionieren würde, weil es einfach viel zu viele Variablen gab. Aber er musste es zumindest versuchen. Andrew O’Leary war ihm ein Dorn im Auge. Der Arzt störte. Immer erschien er zum falschen Zeitpunkt, wenn András gerade dachte, Sarah genau an der richtigen Stelle zu haben, um sie verführen zu können. Er konnte ihn im Wadi el Muluk nicht gebrauchen.
Es wäre einfach gewesen, O’Leary zu verletzen oder mittels eines Giftes erkranken zu lassen. Skrupel kannte András Esubam nicht. Aber er war klug genug, um zu wissen, dass dann auch Sarah nicht von seiner Seite gewichen wäre und ihn nicht in die Wüste begleitet hätte. Also schied diese Möglichkeit aus. Er musste Andrew einen Grund geben, in Luxor zurückzubleiben, der Sarah nicht in Sorge versetzte. Und da gab es nicht viele Wege. Genau genommen fiel Esubam nur dieser eine ein.
Morgenlicht schien auf den Nil und ließ ihn glitzern wie einen Diamanten. Mittlerweile war die kleine Promenade, die sich zwischen dem Fluss und dem Vorgarten des Hotels hinzog, voll mit kleinen Läden, an denen Händler ihre Waren den reichen Touristen anboten und es wimmelte von Einheimischen.
Und trotzdem schien es lange Zeit, als ob sich keine passende Gelegenheit ergeben würde. Der Professor fluchte bereits innerlich. Da sah er das Kind.
»Willst du wirklich noch einmal in diese verdammte Wüste zurückkehren?«
Sarah musste ihren Vater nicht einmal anschauen, um zu wissen, dass sein Gesicht massive Abwehr ausdrückte. Sie hörte seine Missbilligung deutlich genug in seiner Stimme. Ihre Antwort fiel ruhig und bestimmt aus.
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