Beim Pflügen und Sähen war mehr Genauigkeit erforderlich, das ließ sich der Vater nicht nehmen. Es war auch die Zeit, in der der Maisanbau aufkam. Die Rheinebene war das Maisanbaugebiet schlechthin und ist es heute noch. Vielen Einheimischen ist das ein Dorn im Auge, den Naturschützern sowieso. Wegen Arten-Armut. Aber keinem Bauern kann man einen Vorwurf machen, dass er mit Mais das meiste Geld verdient. Allerdings benötigen die Bauernhöfe heute, um überleben zu können, fünfzig bis hundert Hektar Fläche.
Es gab für uns Jungs auch mal nichts zu tun. Dann waren wir auf der Pirsch, suchten seltene Pflanzen und versuchten Tiere aufzustöbern. Alex kannte ein paar Orchideen und tat ganz wichtig. Die seien selten und deshalb wertvoll. Einen Graureiher dagegen hielten wir für einen Kranich. Störche gab es noch, sie waren beim Heuen ständige Begleiter. Einige Jahre später waren sie genauso aus der Landschaft verschwunden wie viele Greifvögel. Da steckte das krebserregende Insektizid DDT dahinter, das sich in der Natur angereichert hatte.
Wenn wir in ein Feldgehölz stiegen, konnten wir sicher sein, dort auf Rehe zu stoßen. Eine Sensation war es, wenn wir im Mai junge Füchse beim Spielen beobachten konnten. Und eine Mutprobe war es, obwohl sie nicht beißen, eine Ringelnatter zu fangen. Denn wenn man eine Ringelnatter in die Hände nimmt, entleerte sie sich sofort. Und das stinkt penetrant. Wer Pech hatte, bekam den weißlichen Dünnpfiff nicht nur auf die Hände, sondern auch auf die Klamotten. Die Schlangenkacke stank so sehr, dass nur noch ausziehen half. Die Hände musste man, um den Geruch restlos loszuwerden, dreimal waschen.
Alex‘ Vater hätte gerne einen eigenen Weinberg gehabt, um abends ein Viertele schlotzen zu können, wie er meinte. Sein Wunsch erfüllte sich nicht. So blieb es beim selbstgebrannten Schnaps nach dem Essen. Entlang der Feldwege standen diverse Obstbäume als Bienenweide, um Schatten zu spenden und um Früchte zu produzieren. Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen, Mirabellen und sogar die zuckersüßen Renekloden wurden weniger gegessen oder eingemacht, als zu Schnaps gebrannt. Bäume schütteln und Obst auflesen war im Herbst die große familiäre Gemeinschaftsarbeit. Im Winter wurde dann aus der Maische der Schnaps gebrannt. Dabei machte ich meine erste Bekanntschaft mit Alkohol. Alex´ Vater ließ mich probieren. Sofort wurde mir warm und stieg mir der Schnaps zu Kopf. Beeindruckt von der plötzlichen Wirkung, hätte ich am liebsten einen Zweiten getrunken. Doch der Bauer war nicht dumm. Er konnte schlecht den jüngsten Sohn eines Anwalts betrunken machen und ihn dann auch noch nach Hause radeln lassen. Den Winter nutzte Alex‘ Vater auch zum Körbe flechten, derweil durften wir Buben die Gülle und den Mist auf die Felder fahren. Um Traktor fahren zu können taten wir alles.
Das einzige Hobby des Vaters war die Bienenzucht. Die Bienenvölker produzierten so viel, dass noch Honig verkauft werden konnte. Ab Hof wurden auch Milch, Butter, Eier und Schnaps verkauft, manchmal auch Wurst und Speck. Schlachttag war Festtag. Was mich immer wieder schockierte war, wenn die schon tote Sau mit brühheißem Wasser übergossen wurde und nochmals zu toben anfing. Das Metzgen kannte ich aber schon aus der Altstadt.
Auf die Jagd gingen Alex und ich auch. Wir jagten die Bisamratten am Kanal, Wildkaninchen und Feldhasen. Gefangen haben wir nie etwas. Als dann die Myxomatose durchs Land zog, saßen die Wildkaninchen völlig zahm mit zugeschwollenen Augen auf den Feldern und Wegen. Da verging uns die Jagd und wir verlegten uns aufs Schwarzangeln. Mit selbstgebastelten Angelruten, Haken und Netzen belagerten wir den Kanal und den etwas entfernteren Bach. Unser Angelzeug taugte aber nichts. So wie wir mit unendlicher Geduld Frösche und Eidechsen von Hand fingen, lernten wir auch, Fische und Krebse von Hand zu fangen.
Mehrere Nachmittage in der Woche und in den Ferien sowieso, verbrachte ich auf dem Bauernhof und Konstanze war meistens dabei. Nach Ende der neunten Klasse machten Alex und ich eine Lehre, kamen danach in die Sturm- und Drangphase, und mussten leider noch zur Bundeswehr. Während des Wehrdienstes sahen wir uns anderthalb Jahre lang nur wenig. Als ich nach der Entlassung den stillgelegten Hof besuchte, stand eine bildhübsche Konstanze vor mir. Sie war das letzte verbliebene Kind und lechzte nach Abenteuer und Leben.
Prinzipiell bin ich gegen alles was bequem macht. Angesichts der Bequemlichkeit meiner Mitmenschen kann ich richtig verächtlich werden. Viele sind inzwischen sogar zu bequem, um beim Autofahren zu Blinken. Bequemlichkeit ist einer der Schwachpunkte des Homo sapiens, was ihn empfänglich für Werbung macht, denn diese suggeriert ihm, was man haben muss. Die meisten Menschen gehen ihr auf den Leim und das ständige Verlangen nach Neuem tut das Übrige. Die Deutschen, so empfinde ich, sind konsumvernebelt und vom Wohlstand sediert.
Mit jeder Neuerung stellt sich mir die Frage: Wie modern und elektronisch willst du eigentlich sein und werden? Und: Muss ich jeden Trend und jede Mode mitmachen? Die meisten Kinder und Jugendlichen wollen irgendwo dazugehören und anerkannt sein, haben deshalb den Drang das Neueste zu wollen. Diesen Drang kannte ich nicht. Ich sah mich immer zwischen den Gruppierungen stehen, fühlte mich nirgends zugehörig. Misstrauisch verfolgte ich, was die Gleichaltrigen so trieben und sich anschafften. Selber konnte ich, weil es die jeweiligen Umstände gerade nicht zuließen, weder einen Kassettenrekorder, noch einen Walkman oder iPod gebrauchen. Und zu keiner Zeit meines Lebens wollte ich mir ein Handy zulegen.
Smartphones waren mir von Anfang deshalb unsympathisch, weil viele Menschen ihr Leben nach dem kleinen Gerät ausrichten. Dass man mich jederzeit überall erreichen könnte, wäre mir unangenehm. Ich kann es nun mal nicht leiden, wenn man mir meine Zeit stiehlt. Wer mit mir reden will, muss das über den guten alten Festnetzanschluss machen. Was ich wissen will, erfahre ich aus der Tageszeitung, der Tagesschau und von Wikipedia. Und bin damit weniger angeschmiert als die Handy-Nutzer. Ich wollte schon immer Zeit haben; Zeit für mich war mir von klein auf das Wichtigste. Das haben meine Eltern und meine Geschwister nie begriffen. Einfach Zeit zu verbrauchen ohne sie fürs Weiterkommen zu nutzen, war für die anderen Ludwigs undenkbar. In meinen Augen war die angeblich verplemperte Zeit immer sinnvoll genutzt, denn so wie der Doktor Faust, ( dass ich erkenne was die Welt, im innersten zusammenhält ) versuchte ich, die Welt und die Menschen zu begreifen und dachte dabei vermutlich genauso intensiv nach, wie meine Geschwister im Studium. Doch das wurde mir erst im Erwachsenenalter bewusst.
Außerdem traue ich der Elektronik nicht. Elektronik ist nur so gut, wie die Menschen, die sie anwenden, fähig sind. Deshalb habe ich keine Kreditkarte und mache ich auch kein Homebanking. Bei meinem Lebensstil brauche ich das alles sowieso nicht und es widerspricht auch dem Kerngedanken meiner Philosophie. Der Abneigung gegen Bequemlichkeit.
In meiner Jugend war ich ein eifriger Schallplattenkäufer. Das üppige Taschengeld, um das mich viele beneidet hätten, weshalb ich dessen Höhe lieber für mich behielt, machte es möglich. Die Musik der Beatles setzte in mir eine Euphorie frei, die ich nicht gekannt hatte. Später entdeckte ich Slade, T. Rex und Alice Cooper. Deep Purple mit Made In Japan , brachte mich vollends aus dem Häuschen. Wie war es möglich, eine so kraftvolle und lebendige Musik so perfekt zu spielen? Ohne Noten! Meine Geschwister mussten Klavier spielen lernen, obwohl Gitarre angesagt war. Mich hatte man vergessen, zu Klavierstunden zu nötigen. Oder es ganz einfach unterlassen, weil meinen Eltern die Energie fehlte zu überprüfen, ob ihr Herumtreiber überhaupt zum Klavierunterricht ging.
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