1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 »Bitte!«, flehte der Blondschopf erneut. Obwohl er versuchte, sich mit Schwimmbewegungen über Wasser zu halten, drang immer wieder etwas davon in seinen Mund. Seine Worte wurden deshalb immer wieder von Husten und Spucken unterbrochen. »Wenn du mir hilfst, werde ich mit dir zurückgehen, ohne Widerstand zu leisten.«
Tissha dachte über sein Angebot nach. Die Versuchung in ihr, ihn einfach absaufen zu lassen, war angesichts seiner unverschämten Taten natürlich groß. Andererseits wollte sie nur ungern mit leeren Händen vor ihre Mutter treten und ein lebendiger Mann war wesentlich leichter aus einem Sumpfloch zu bergen als eine Leiche. Zudem würde sie ein lebendiges Haustier nicht schleppen müssen. Was sie mit dem impertinenten Knaben anstellen würde, wenn sie erst mal wieder zu Hause waren, diese Frage ließ sie für den Moment offen.
»Also gut«, entschied sie deshalb. »Ich hol dich da raus, obwohl du es nicht verdient hast. Solltest du diesen Akt der Barmherzigkeit nicht zu schätzen wissen, werde ich die Bäume ringsum mit deinen Innereien schmücken.«
Mit kleinen, vorsichtigen Schritten arbeitete sich Tissha an das Sumpfloch heran. Dieses war begrenzt von einem etwa drei Meter breiten Streifen aus zähem Schlamm, der unter ihren Füßen sofort nachgab. Sie trat deshalb wieder zurück und schätzte die Entfernung zu dem im Wasser planschenden Burschen sorgsam ab. Dessen Sprung hatte ihn über den Schlammstreifen hinweg noch ungefähr zwei Meter weiter ins Wasser befördert. Die Amazone nahm dies mit einer gewissen Achtung zur Kenntnis. Die Leistungsfähigkeit seiner Beine überstieg die seines Gehirns scheinbar erheblich.
Dies gereichte ihm allerdings nun zum Nachteil, denn ohne Hilfsmittel würde ihn Tissha nicht aus seiner Notlage befreien können. Sie sah sich nach einem geeigneten Gegenstand um, fand jedoch nur einen dicken, etwa zweieinhalb Meter langen Ast. Wenn sie ihn damit aus dem Wasser ziehen wollte, würde sie den Rest der Distanz mittels Körpereinsatz überwinden müssen.
»Ich fasse es nicht«, knurrte sie leise, während sie ihre Waffen ablegte. Dann ließ sie sich bäuchlings in den Matsch nieder, um ihr Gewicht darauf möglichst gleichmäßig zu verteilen. »Alles nur wegen einem dämlichen, ungehorsamen Haustier.«
Den Ast in ihrer Linken haltend und begleitet von einem schmatzenden, schlürfenden Geräusch schob sie sich langsam vorwärts, dem Wasser entgegen. Ein Versinken in der breiigen Masse verhinderte sie so, doch als sehr angenehm empfand sie diese Art der Fortbewegung nicht. Der nasse, kühle Schlamm heftete sich an ihre Haut und drang in den Ausschnitt ihres Mieders. Dann schob er sich zwischen ihre Brüste, wo er als dicker, feuchter Klumpen hängen blieb. Diese Methode der Brustvergrößerung sagte Tissha überhaupt nicht zu, zumal sie so etwas ganz und gar nicht nötig hatte.
Kurz bevor sie das Wasser erreichte, hielt sie erschrocken inne. Ein paar Luftblasen waren einige Meter hinter dem blonden Burschen aufgestiegen. Die Amazone glaubte, dort auch eine Bewegung unter der Wasseroberfläche gesehen zu haben. Soweit es ihr möglich war, richtete sie ihren Oberkörper auf, um besser und weiter sehen zu können. Ein großer Schatten, der nahe der Oberfläche durch das Wasser glitt, bestätigte ihren Verdacht: Eine unangenehme und höchstwahrscheinlich hungrige Überraschung näherte sich von dort. Das kurz darauf auftauchende, gelbgrüne Paar Reptilienaugen überzeugte sie vollends von der Notwendigkeit, sich von dem Männchen verabschieden zu müssen. Da sie unbewaffnet und nicht sicher war, ob ein so mageres Kerlchen einem Krokodil als Hauptspeise genügen würde, trat sie den Rückzug an.
»Ist wohl nicht dein Tag heute!«, rief sie derweil dem ahnungslosen Blondschopf zu.
Dieser sah sie nur verständnislos und aufgrund ihres Rückzugs äußerst beunruhigt an. Von der eigentlichen Gefahr hatte er noch gar nichts mitbekommen. Tissha ersparte es sich, ihn über diese zu informieren. In wenigen Augenblicken würde er ohnehin darüber Bescheid wissen. Sie konzentrierte ihre Bemühungen lieber darauf, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, was ihr auch recht schnell gelang.
Während sie sich abseits des Schlammes wieder erhob und ihre Waffen anlegte, fiel jeglicher Schmutz von ihr ab wie welkes Laub von einem Baum. Die ganz speziellen Naturgesetze ihrer Rasse sorgten dafür, dass sie innerhalb von Sekunden wieder so aussah, als wäre sie soeben einem duftenden Schaumbad entstiegen. Wieder einmal verspürte Tissha in sich diese tiefe Dankbarkeit dafür, dass sie als Amazone auf die Welt gekommen war.
Ein lauter, doch sehr kurzer Schrei lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Geschehnisse im Sumpfloch. Dort, wo vor wenigen Augenblicken nur der Kopf des entflohenen Haustieres aus dem Wasser gelugt hatte, rangen nun zwei seltsam ineinander verschlungene Gestalten miteinander. Sie tauchten ab und wieder auf, drehten sich umeinander wie bei einem wilden Tanz und zerwühlten dabei die schmutzige Brühe um sich herum. Diese schoss in kleinen Fontänen empor und spritzte wirr umher, sodass Tissha die zwei Wesen in ihrem tödlichen Reigen nur undeutlich erkennen konnte. Hin und wieder erspähte sie eine menschliche Hand aus dem Wasser ragen. Dann wieder ein Bein und manchmal auch ein riesiges, weit geöffnetes Maul voller scharfer Zähne oder einen um sich peitschenden, geschuppten Schwanz.
All das dauerte freilich nicht lange. Dann beruhigte sich die Wasseroberfläche wieder, bis auf ein paar Luftblasen, die leise auf ihr zerplatzten. Während das Braun des trüben Wassers sich zusehends in ein dunkles Rot verwandelte, beobachtete die Amazone das Sumpfloch wachsam und mit schussbereitem Bogen. Sie konnte jedoch keinerlei Anzeichen dafür ausmachen, dass dem gefräßigen Reptil der Sinn nun nach einem Nachschlag stand. Stattdessen entschwand es als schemenhaftes Gebilde in den Tiefen des Sumpflochs.
»Na, Weltklasse«, bemerkte Tissha, als sie den Fetzen Stoff erblickte, der von kleinen, roten Wellen getragen langsam auf sie zutrieb. Mehr als dieser Lendenschurz war von dem Haustier ihrer Mutter nicht übrig geblieben. »Dich sammle ich jetzt ganz sicher nicht ein. Ohne Inhalt nutzt du meiner Mutter nämlich herzlich wenig.«
Sie sah noch einmal dorthin, wo sie den blonden Jüngling das letzte Mal erblickt hatte. »Das hast du nun von deinem albernen Freiheitsdrang«, murmelte sie nachdenklich. »Ich würde zu gerne wissen, welcher Irrsinn es war, der diese widernatürliche Sehnsucht in dir geweckt hat.«
Sie wandte sich zum Gehen, doch eine Bewegung, die sie aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm, ließ sie innehalten. Auf einem der Bäume in ihrer Nähe entdeckte sie eine ungewöhnlich große Krähe, die sie aufmerksam zu beobachten schien. Nur ganz selten verirrte sich ein Vogel dieser Art so weit in den Süden. Tissha nahm von seiner Anwesenheit darum auch voller Erstaunen Notiz. Darüber hinaus wurde ihr erst jetzt klar, dass sie sich schon seit einer geraumen Weile beobachtet gefühlt hatte. Aufgrund der sich überschlagenden Ereignisse hatte sie dieses Gefühl jedoch verdrängt.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie sanft. »Folgst du mir schon länger?«
Sie legte ihren Kopf dabei etwas schräg und die Krähe tat es ihr umgehend gleich. Es sah so aus, als würde der Vogel ihre Bewegung imitieren. Die Amazone lächelte. Offenbar war diese Kreatur von einer gewissen Intelligenz beseelt.
»Hast wohl gedacht, hier würden ein paar leckere Stücke Aas für dich abfallen«, vermutete Tissha, die über das Fressverhalten von Krähen selbstverständlich Bescheid wusste. »Da muss ich dich leider enttäuschen – die schwimmende Handtasche hat alles komplett aufgefressen.«
Ihr Gesprächspartner antwortete natürlich nicht. Er senkte seinen Kopf und hob gleichzeitig seine Flügel etwas an, was beinahe einem Schulterzucken glich. Dann breitete er plötzlich seine Schwingen aus und erhob sich in die Lüfte. Ein lautes Krächzen ausstoßend, das wie ein Abschiedsgruß klang, flog er nach Norden davon.
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