Thomas Niggenaber
Barbaren
am Rande des
Nervenzusammenbruchs
Roman
Impressum
Texte: © 2021 Thomas Niggenaber
Umschlag: © 2021 Thomas Niggenaber
Verantwortlich
für den Inhalt: Thomas Niggenaber
Stockumer Str.12
44225 Dortmund
Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
1
Erst nach vielen Stunden brachialer Gewalt fand die Schlacht an den Reißzahn-Bergen am späten Nachmittag ihr Ende.
Dort, wo in den frühen Morgenstunden die Armee der Barbaren auf das Heer der Orks geprallt war wie Brandung auf Fels, kehrte nun eine unheimliche Ruhe ein. Statt des Kampflärms war nur noch das Klagen der Verletzten und das Wimmern der Sterbenden zu hören, welches vom leisen Rauschen des Windes begleitet wurde.
Von den beiden einstmals gewaltigen Streitmächten vermochte es nur noch eine Handvoll Krieger, sich aus eigener Kraft fortzubewegen. In den meisten darniederliegenden Leibern steckte noch nicht einmal mehr ein Rest von Leben, was sie zu einer üppigen Mahlzeit für jeden Aasfresser machte.
Der Gestank von Blut und Tod lockte auch schon bald unzählige Krähen herbei. Ein schmackhaftes Stück toten Gedärms oder den ein oder anderen delikaten Augapfel wollten sich selbige freilich nicht entgehen lassen. Einem gewaltigen schwarzen Schleier gleich senkte sich dieser Schwarm auf die weite Ebene am Fuße des Gebirges nieder. Jedwede Tischmanieren vermissen lassend nahm sich die Vogelschar dann umgehend der vielen Leichen menschlicher und orkischer Krieger an.
Nur einer der dunkel gefiederten Gesellen – ein Exemplar, das aufgrund seiner Größe auch ein Rabe hätte sein können – stürzte sich nicht sofort auf die erst kürzlich dahingeschiedenen Leckerbissen. Er ließ sich auf dem kahlen Ast eines abgestorbenen Baumes nieder, der inmitten der kargen, mit blassbraunem Steppengras bewachsenen Landschaft stand. Aus tiefschwarzen, seltsam intelligent wirkenden Augen beobachtete er von hier aus seine Artgenossen bei ihrem grausigen Festschmaus.
Von den wenigen Überlebenden, die sich mühsam humpelnd, auf allen vieren oder sogar auf dem Bauch kriechend ihren Weg vom Schlachtfeld suchten, ließen sich die gefiederten Leichenfledderer nicht stören. Unbeeindruckt und gierig pickten sie an den toten Körpern herum, die sich hier und da sogar zu kleinen Hügeln häuften.
Auf einen dieser blutigen Leichenhaufen stieg Zorm der Zerfetzer, Heerführer der Nordland-Barbaren und einer der bekanntesten und gefürchtetsten Krieger Archainos. Selbst in den entlegensten Winkeln dieser Welt kannte man seinen Namen und seinen Ruf als grausame, gnadenlose und unbesiegbare Kampfmaschine. Wenn er guter Laune war – so erzählte man sich –, riss er seinen Gegnern Arme und Beine mit bloßen Händen aus. War seine Laune schlecht, fügte er ihnen meist sogar ernsthafte Schmerzen zu.
In seiner Rechten hielt Zorm sein mächtiges Breitschwert, dessen Klinge nahezu vollständig bedeckt war mit dem Blut seiner erschlagenen Feinde. Sein massiger, nur aus steinharten Muskeln bestehender Leib war ebenso blutbesudelt, was der Reinheit seiner Garderobe natürlich sehr abträglich war. Da diese jedoch ohnehin nur aus einem Lendenschurz und Fellstiefeln bestand, schenkte er diesem Umstand keinerlei Beachtung.
Auf dem Gipfel des Leichenhügels blieb der Zerfetzer stehen. Während seine lange, blonde Mähne im Wind wehte, blickte er mit grimmiger Miene und aus stahlblauen Augen gen Süden.
Von dort näherte sich langsam eine Gestalt, die ebenso beeindruckend und ehrfurchtgebietend war wie Zorm, wenn nicht vielleicht sogar noch ein wenig imposanter, massiger und blutbesudelter.
Es war Morack Meuchelhammer, Hordenführer der Bergorks.
In Sachen Grausamkeit war Morack dem Barbaren wohl mehr als nur ebenbürtig. Seine Halskette aus menschlichen Ohren und die vielen, ebenfalls menschlichen Skalps, die er an seinem Gürtel trug, legten davon Zeugnis ab. Manch Barde sang Balladen darüber, wie der Ork seinen Opfern manchmal die Därme aus den Körpern riss, um sie damit zu erdrosseln. Diese Lieder gehörten jedoch zu den gemäßigteren Stücken über Morack, die man auch schon mal auf Familienfeiern vortrug.
Während sich dieser grünhäutige Kampfkoloss gemächlich seinen Weg über das Schlachtfeld bahnte, erlöste er im Vorbeigehen noch so manch Sterbenden von seinen Qualen. Ganz gleich war es ihm, ob es sich dabei um Mensch oder Ork handelte. Ein kurzer Hieb mit seiner riesigen, mit spitzen Metalldornen bestückten Keule ließ die Lebenslichter beider Rassen gleichermaßen schnell erlöschen. Ob man von diesen armen Seelen vielleicht noch einige hätte retten können, tangierte Morack selbstverständlich überhaupt nicht. Ihr erbärmliches, unverschämt leidvolles Stöhnen entsprach einfach nicht seinem Sinn für Heldentum und Tapferkeit. Es nervte ihn deshalb in hohem Maße.
Als er sich dem Zerfetzer bis auf wenige Meter genähert hatte, breitete er seine muskelbepackten Arme aus und lachte laut. Das Dröhnen seiner Stimme scheuchte nun auch endlich die gefräßigen Krähen auf. Lauthals krächzend beschwerten sie sich über die Störung ihrer Mahlzeit, während sie erbost davonflogen. Nur der schwarze Bursche auf dem Baum blieb einsam sitzen und beobachtete weiter das Geschehen.
»Was für ein herrlicher Tag!« Der Ork grinste breit. Seine prächtigen Hauer, die aus seinem vorstehenden Unterkiefer hinauf bis zu seinen Augen ragten, glänzten dabei strahlend weiß im Licht der tief stehenden Sonne.
»Was für eine glorreiche Schlacht! Der Boden getränkt vom Blut der Erschlagenen, Hunderte von zerschmetterten Leibern und kaum ein Krieger, der noch aufrecht gehen kann – was kann man vom Leben mehr erwarten? Und nun folgt als krönender Abschluss das epische Gefecht der zwei mächtigsten Krieger des Landes. Lass uns beginnen, Zorm, die Götter wollen Blut sehen!«
Zur Überraschung des Orks machte der Zerfetzer keinerlei Anstalten, dieser Aufforderung nachzukommen. Er stand nur reglos, irgendwie erstaunlich unheldenhaft da und ließ die breiten Schultern kraftlos herabhängen. Noch verblüffter war Morack von dem Ausdruck der Bestürzung, der urplötzlich die Miene des Barbaren prägte.
»Das … das ist ja alles so furchtbar«, murmelte dieser leise. »All diese Toten, all diese bedauernswerten Kreaturen.« Mit gesenktem Kopf blickte er um sich. »Schau mich doch mal an – ich stehe auf einem Berg aus Leichen und bin von Kopf bis Fuß mit Blut beschmiert. Das ist doch krank!«
Der Ork stutze. »Hä, was stimmt denn mit dir nicht? Was soll denn an einem Haufen Kaputter so schlimm sein? Und Blut ist doch ungemein dekorativ, solange es nicht das eigene ist. Und jetzt lass uns endlich loslegen, daheim wartet mein Abendessen auf mich.«
Der Barbar schüttelte sein noch immer gebeugtes Haupt. »Nein, keine weitere Gewalt mehr! Ich ertrage dieses Morden und endlose Blutvergießen nicht mehr. Tun dir die vielen Gefallenen denn nicht auch leid? Empfindest du denn kein Mitleid für all diese armen Wesen? Nur weil wir sie in den Kampf geschickt haben, mussten sie alle sterben. Welch gigantische Schuld haben wir damit auf unsere Schultern geladen?«
Morack Meuchelhammer grunzte verächtlich. »Was erzählst du denn da für einen Kappes? Das war doch ein 1A-Gemetzel! Unsere Leute haben über Stunden fröhlich aufeinander eingedroschen. Sie sind voller Stolz und Elan in den Tod gegangen, haben alles gegeben, so wie es sich für echte Krieger geziemt. Nur dafür haben sie gelebt, nur dafür wurden sie geboren!«
»Also ich weiß ja nicht.« Zorms Stimme klang beinahe schon weinerlich. »Das kann doch nicht der Sinn unserer Existenz sein. Es gibt doch so viel Schönes auf dieser Welt, für das es sich zu leben lohnt: Freunde, ein bisschen Frieden, ein hübsches Zuhause und eine glückliche Familie.« Mit merkwürdig sanftem Blick sah er sein Gegenüber an. »Hast du Familie, Ork?«
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