»Schwatzhafte, alte Vettel«, zischte Storne leise. »Wir hätten ihr nach dem Tod ihres Mannes schnell einen neuen beschaffen sollen. Das hätte ihre unerträgliche Neugier vielleicht im Zaum gehalten.«
Grahlum stieß ein höhnisches Schnaufen aus. »Sei nicht albern! Das verrottende Gestell hätte doch keiner mehr genommen.«
Er sah der Witwe misstrauisch hinterher. Selbige bewegte sich in einer enervierend mäßigen Geschwindigkeit von ihnen fort und warf immer wieder einen Blick über die Schulter zurück. Glücklicherweise lag die Behausung des Druiden auf halbem Weg zur Rauschhöhle, sodass es tatsächlich so aussah, als würden die beiden Barbaren den Bewusstlosen nun dorthin bringen. Als sie die Hütte erreicht hatten, überzeugten sie sich ausgiebig davon, dass Froengi fort war und auch sonst niemand ihr Tun beobachtete. Da nur die Krähe auf dem Langhaus ihnen weiterhin ihre Aufmerksamkeit schenkte, umgingen sie rasch die Heimstätte des Druiden. Anschließend setzten sie ihren Weg mit beschleunigtem Schritt fort.
Recht schnell und ohne weitere Störungen erreichten sie den kleinen bewaldeten Hügel am Rand des Dorfs, dessen Inneres die Rauschhöhle beherbergte. Deren Zugang war versperrt von einem hohen, massiven Holztor. Wie ein Fallgatter konnte dieses mittels einer dicken, über mehrere Rollen laufenden Kette nach oben gezogen werden. In Gang gesetzt wurde diese aufwendige Vorrichtung durch das Drehen eines großen Handrads, das dem Steuerrad eines Schiffes sehr ähnelte und sich seitlich des Höhleneingangs befand. Zwei oder mehr Personen waren üblicherweise für diesen Kraftakt vonnöten.
Der greise Druide schaffte es jedoch unter großen Anstrengungen auch alleine, das Tor ein wenig zu öffnen. Es hob sich gerade so weit, dass der König den bewusstlosen Körper Zorms davor ablegen und mit seinem Fuß darunter herschieben konnte. Danach ließ Grahlum das Handrad wieder los, woraufhin das Tor wieder nach unten fiel und sich mit einem dumpfen Krachen schloss.
»Das hätten wir«, stellte der Druide zufrieden schnaufend fest. Er schickte sich an, den Heimweg anzutreten, doch sein Begleiter erstarrte plötzlich.
»Moment mal«, sagte Storne. »Mir fällt da gerade etwas ein.«
»Was denn?«, wollte Grahlum wissen.
Der Barbarenkönig verzog sein Gesicht wie unter leichten Schmerzen, dann ließ er die Finger seiner rechten Hand durch die schwarze Mähne auf seinem Kopf gleiten. »Haben wir nicht vor Kurzem auch den Säbelzahntiger dort eingesperrt? Du weißt schon, den kräftigen Burschen, auf den ich letzte Woche im Wald gestoßen bin und den ich mit einem Fausthieb niedergestreckt habe. Ich wollte mir die Bestie doch zum Schoßtier abrichten.«
Im Gesicht des Greisen erschien ein Ausdruck jäher Erkenntnis und Erschreckens.
»Ups!«, machte er, dann hasteten die beiden Barbaren zum Tor.
Mit angehaltenem Atem pressten sie ihre Ohren gegen das dicke Holz und nach nur wenigen Sekunden konnten sie auch schon ein leises Knurren durch selbiges vernehmen. Dieses Knurren näherte sich begleitet vom Tapsen mächtiger Pfoten aus dem Inneren der Höhle. Dann löste ein deutlich wahrnehmbares Schnüffeln dieses Geräusch ab.
»Zorm?« Der König klopfte gegen das Höhlentor. »Zorm, du solltest jetzt vielleicht besser aufwachen!«
»Der rührt sich nicht«, stellte Grahlum fest.
Tatsächlich konnten sie keinerlei Geräusche vernehmen, die auf ein Erwachen des Zerfetzers schließen ließen. Stattdessen wurde es für eine Weile ganz still in der Höhle.
»Vielleicht sollten wir mal nachsehen«, schlug Storne vor.
Der Druide verspürte jedoch keine Lust, den schwergängigen Mechanismus des Tores wieder zu betätigen. Ein weiser Mann wie er war natürlich stets darauf bedacht, unnötige Anstrengungen zu vermeiden.
»Ich habe heute schon genug am Rad gedreht«, stellte er deshalb fest.
Ein lautes Fauchen, das urplötzlich die Stille zerriss, ließ sie diesen Vorschlag auch sofort wieder vergessen. Ein gellender Schrei, der sich ganz eindeutig einer menschlichen Kehle entrang, folgte diesem Fauchen. Die zwei erfahrenen Barbaren hatten freilich schon viele Schreie gehört, weshalb sie diesen auch eindeutig als Todesschrei identifizieren konnten. Danach wurde es wieder ruhiger und nur noch ein genussvolles Schmatzen drang durch das Tor aus der Rauschhöhle.
»Jetzt musst du dein zukünftiges Schoßtier zumindest nicht mehr füttern«, stellte der Druide fest. »So ein Bursche wie Zorm sollte für zwei, drei Tage reichen.«
Der König nickte. »Ich hätte ja gedacht, dass ein erfahrener Krieger wie er auch unbewaffnet gegen eine solche Bestie bestehen kann. Denkst du, dass dieser Wahnsinn, der ihn befallen hat, auch seine Fähigkeiten als Kämpfer beeinflusst hat?«
Grahlum der Greise wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Entweder das hat seine Kampfkraft beeinflusst oder der Umstand, dass er noch bewusstlos war.«
»Oder das.« So wie sein Begleiter, so wandte sich auch Storne nun wieder dem Dorf zu.
»Es hätte mich aber schon interessiert, was eigentlich mit ihm los war«, bemerkte Grahlum, während sie nebeneinander hergingen.
»Wir werden es wohl nie erfahren«, seufzte der König etwas enttäuscht. Dann grinste er breit. »Eigentlich könnten wir Zorm den Zerfetzer jetzt in Zorm den Zerfetzten umbenennen.«
Der Druide schmunzelte ebenfalls. »Dein Humor ist so feinsinnig und taktvoll wie immer. Anscheinend hast du dich bei Zorm nicht mit dieser maßlos übertriebenen Empfindsamkeit angesteckt.«
Der Barbarenkönig hielt erschrocken inne. »Glaubst du etwa, dass so was möglich wäre?«
Der Greise zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Spürst du vielleicht das Bedürfnis, über deine Gefühle reden zu müssen?«
Die beiden Barbaren brachen angesichts dieser urkomisch absurden Frage in schallendes Gelächter aus. Sie lachten immer noch, als sie die Hütte des Druiden erreichten. Hier sollten sich ihre Wege trennen.
»Ich muss meinen alten Knochen nun etwas Ruhe gönnen«, sagte Grahlum. »Du solltest es mir gleichtun. Morgen willst du ja gegen die Amazonen ins Feld ziehen und deshalb liegt eine lange, anstrengende Reise vor dir. Falls noch irgendwas sein sollte, weißt du ja, wo du mich findest.«
Storne winkte lächelnd ab. »Was soll heute schon noch passieren? Außerdem bin ich König der Nordland-Barbaren, ich werde mit fast allem alleine fertig!«
Der Druide schlug ihm auf die Schulter. »So ist es, Hoheit. Schlaf gut!«
Nach diesen Worten verschwand er in seiner Behausung, während Storne sich auf den Weg zu seiner Heimstätte machte. Er ließ die Ereignisse des Tages noch einmal Revue passieren, während er durch das Dorf schlenderte, was immer wieder ein unwillkürliches Schütteln seines Kopfes verursachte. Seiner Überzeugung und Weltsicht zuliebe würde er sich darum bemühen, diese seltsamen Sachen zu vergessen, die Zorm der Zerfetzer zu ihnen gesagt hatte. Wie sonst sollte ein anständiger Barbar auch mit solch hanebüchenem Unsinn umgehen?
Derart in Gedanken versunken bemerkte er die Gestalt erst spät, die sich ihm in der Dunkelheit näherte. Er erkannte sie dann jedoch sofort. Es war Vorak der Verstümmler, ein weiterer Heerführer in seinen Diensten, dessen Fähigkeiten jedoch bei Weitem nicht an die des leider verblichenen Zerfetzers heranreichten.
»Ah, Vorak!«, begrüßte Storne seinen Untergebenen fröhlich. »Mein bester Feldherr, wie geht es dir denn so?«
Der rothaarige, bärtige Barbar sah seinen König überrascht an. »Bester Feldherr? Ich dachte, das wäre Zorm.«
»Äh, ja natürlich«, berichtigte sich Storne rasch. »Ich meinte ja auch zweitbester Feldherr. Aber darüber unterhalten wir uns ein andermal. Jetzt verrate mir doch erst einmal, ob deine Männer gut vorbereitet sind für den großen Feldzug gegen die Amazonen.«
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