„Am Freitagnachmittag. Haben Sie Ihre Frau nicht vermisst?“
„Natürlich habe ich sie vermisst. Sie ging ab und zu mit einer Freundin weg, außer ihr hatte sie keine sozialen Kontakte. Die Kathi musste ab und zu raus, sich amüsieren, unter Leute gehen und etwas anderes sehen und hören, das habe ich immer verstanden und auch unterstützt. Sie hätte es gerne gehabt, wenn ich sie begleitet hätte, aber das war mir zu anstrengend, ich war einfach zu müde dazu. Ich gönnte ihr die Auszeit und vertraute ihr, oft war sie ja nicht weg. Und natürlich nur, wenn meine Mutter im Bett war, sonst hätte die wieder geschrien und gezetert. Ich habe gehofft, dass meine Frau sich irgendwann einlebt und mich versteht, dass ich einfach nicht anders kann. Am Sterbebett habe ich meinem Vater versprechen müssen, dass ich mich um den Hof und um die Mutter kümmere. So ein Bauernhof ist nicht leicht zu führen. Morgens früh raus, den ganzen Tag schuften – da ist man am Abend müde und will nur noch seine Ruhe. Wenn ich ehrlich bin, habe ich davor Angst gehabt, dass sie irgendwann wieder geht, denn ich konnte sie verstehen. Das war kein Leben für sie. Sie war sehr belesen, liebte klassische Musik und war früher als Kind mit ihren Eltern weit gereist. Sie kannte Länder, von denen ich noch nie gehört habe und hat mir stundenlang mit leuchtenden Augen davon erzählt. Ich habe längst begriffen, dass die Kathi für ein anderes Leben geboren war, nicht für das Leben auf einem Bauernhof. Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Das Leben, das sie verdient hätte, konnte ich ihr nicht bieten. Immer nur die schwere Arbeit und kein Vergnügen, die Kathi war ja erst 30 Jahre alt und für dieses Leben viel zu gescheit und viel zu jung.“
„Zu jung? Des Flitscherl wollt ned arbeiten, war ein faules Weib. Mi hat doch früher auch keiner gfragt, ob i arbeiten will. Und als i den Vater gheiratet hab, war ich erst 21 Jahr alt.“
„Sie halten jetzt den Mund,“ schrie Hans die Alte an, dem nun endgültig der Kragen platzte. „Ihr Geschwätz ist ja unerträglich. Haben Sie denn überhaupt keinen Anstand oder einen Funken Verständnis für den Schmerz Ihres Sohnes? Er hat gerade erfahren, dass seine Frau ermordet wurde und sie reden nur dummes Zeug! Wenn Sie jetzt noch einen unqualifizierten Kommentar von sich geben, werde ich Sie auf der Stelle verhaften. Haben Sie mich verstanden?“
„Schon gut, ist ja schon gut, ich sag ja nichts mehr. Die Wahrheit will man nicht hören, das kenne ich schon von meinem Sohn. Aber wenn Sie wollen, bin ich halt ruhig.“
„Wir haben die Information, dass Sie Ihre Frau über eine Partnervermittlung kennengelernt haben?“
„Ja, ich weiß, wie das klingt und was man in Kastl für Blödsinn erzählt. Es ist nicht so, dass ich mir meine Frau aus dem Katalog rausgesucht hätte und sie dann sofort geheiratet und mit auf den Hof gebracht habe. Ich habe meine Frau geliebt, von ganzem Herzen – und meine Frau mich auch, da bin ich mir sicher. Niemals hätten wir geheiratet, wenn wir uns nicht lieben würden.“
„Wie lief das ab? Wie müssen wir uns das vorstellen? Wie sind Sie auf diese Partnervermittlung gekommen?“
„Bei einem Zusammentreffen des Bauernverbandes kam ich mit einigen Kollegen ins Gespräch. Wir haben uns darüber unterhalten, wie schwer es ist, als Bauer eine vernünftige Frau zu finden. Natürlich gibt es viele heiratswillige Frauen auf den Nachbarhöfen, aber auch wir wollen nicht irgendeine Frau, sondern eine fürs Herz und auch fürs Auge. Sie glauben ja nicht, welche Krautscheuchen rumlaufen, schrecklich!“ Bei dem Gedanken schüttelte es Sepp Zirbner und Leo musste aufgrund der Bezeichnung schmunzeln. „Einer der Kollegen,“ fuhr Zirbner fort, „hat mich dann zur Seite gezogen und mir von dieser Partneragentur in Waldkraiburg erzählt. Zuerst fand ich die Idee total verrückt und dachte ähnlich wie Sie und alle anderen. Die Vorstellung, dass man sich eine Frau quasi aus dem Katalog aussucht ist doch vollkommen irre. Aber die Idee keimte in mir und irgendwann war ich so weit, dass ich mir die Adresse der Agentur von dem Kollegen besorgt habe. Ich hab dort angerufen und wurde sofort freundlich eingeladen. Am nächsten Tag bin ich nach der Arbeit nach Waldkraiburg gefahren. Es war schon spät, aber die freundliche Frau hat mir versichert, dass sie extra für mich länger da bleibt. Vor der Agentur habe ich lange gezögert, habe all meinen Mut zusammengenommen und bin schließlich rein. Nach einem ausführlichen Gespräch bekam ich eine Mappe mit den hübschesten Frauen, die man sich vorstellen kann. Und alle würden liebend gerne einen deutschen Mann heiraten. Ich konnte mir das überhaupt nicht vorstellen. Jede einzelne dieser Schönheiten könnte ohne Probleme an jedem Finger zehn Männer haben. Aber die Angestellte hat mir versichert, dass das alles heiratswillige Frauen sind, die einen deutschen Mann suchen, da deutsche Männer in Russland einen sehr guten Ruf genießen. Sie gelten dort als ehrlich, liberal und fleißig – und als Garant für einen gesicherten Lebensstandard. Das klang für mich einleuchtend. Warum auch nicht?“ Sepp Zirbner machte eine kurze Pause und besah sich lächelnd seine Hände. „Ich habe mich sofort in das freundliche, hübsche Gesicht von Katharina verliebt. Nachdem ich sie gesehen habe, wurden die anderen für mich uninteressant, ich wollte nur die Katharina haben, sonst keine. Die Agentur hat dann alles in die Wege geleitet. Nach drei Wochen haben sie nochmal bei mir nachgefragt, ob ich immer noch an Katharina interessiert wäre. Und ob ich interessiert war. Ich habe Tag und Nacht nur noch an diese Frau gedacht. Katharina bekam zwischenzeitlich meine Unterlagen und war nach Aussage der Agentur-Mitarbeiterin zu einem Treffen und einem Kennenlernen bereit. Als die Mitarbeiterin der Agentur mir das mitteilte, war ich überglücklich. Ich konnte es kaum erwarten, bis ich sie endlich leibhaftig vor mir hatte und sie kennenlernen durfte. Nachdem alle Formalitäten erledigt waren und ich die Kosten für das Flugticket überwiesen hatte, konnte es endlich losgehen. Ich habe sie am Flughafen in München mit einem riesigen Blumenstrauß abgeholt. Ich weiß noch, dass ich nervös war wie ein Schulbub. Und dann stand sie vor mir und lächelte mich an. Sie war noch schöner als auf den Fotos. Für unser Treffen hat sie sogar einige Worte Deutsch gelernt, ich fand das richtig goldig. Wir mochten uns auf Anhieb und haben zwei Tage gemeinsam in München verbracht. Das war die schönste Zeit in meinem Leben.“
„Und der Karl und i haben die ganze Arbeit allein gmacht. Des erzählst ned, gell? Des is ned wichtig, dass dei alte Mutter zuhaus garbeitet hat, während sich der Herr Sohn mit dem Flitscherl in der Stadt vergnügt hat.“
Hans drohte ihr mit dem Finger und sie war sofort wieder ruhig.
„Wir haben dann einige Wochen fast täglich miteinander telefoniert. Anfangs nur holprig, aber Kathi hat fleißig Deutsch gelernt und so konnten wir uns immer mehr unterhalten. Dann konnte ich sie glücklicherweise dazu überreden, ihre Zelte in Russland abzubrechen und zu mir zu kommen. Als sie nach drei Monaten wieder in München gelandet ist, haben wir sofort geheiratet.“ Die warmen Worte des Witwers wurden durch seine Mutter abermals jäh unterbrochen.
„Sag den Polizisten, was das alles kost hat!“
„Das geht nur mich was an. Und wehe, du sprichst noch einmal über die Kosten. Ich bin alt genug und kann mit meinem Geld anfangen, was ich will. Und die Kathi war jeden Cent wert. Ich habe noch nie einen so lieben Menschen kennengelernt.“ Seine Mutter lachte laut los und schenkte sich ein weiteres Bier ein.
„Welchen Bezug hatte Ihre Frau zu Fasching?“
Die Großmutter holte wieder Luft und wollte erneut etwas sagen, aber Hans Hiebler zeigte ihr die Handschellen, woraufhin sie sofort verstummte.
„Ich weiß es nicht. Vermutlich keinen! Feiert man in Russland überhaupt Fasching? Ich weiß es nicht. Wir hatten so wenig Zeit miteinander, immer war die Arbeit auf dem Hof wichtiger. Für Karl und mich ist die Arbeit kaum zu bewältigen. Die Kathi hat uns zwar etwas entlastet, aber wir brauchen dringend männliche Unterstützung. Ich suche schon lange nach einer zusätzlichen Arbeitskraft, aber niemand möchte die schwere Arbeit machen. Fasching,“ wiederholte er und dachte nach. „Nein, mir fällt dazu nichts ein. Wie kommen Sie auf Fasching? Ist das wichtig?“ Sepp Zirbner sank in sich zusammen und war fix und fertig. Leo entschied, nicht weiter darauf einzugehen.
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