NARANARI
Mehr als Glückseligkeit
Daniela Jodorf
IMPRESSUM
Text
© Copyright by Daniela Jodorf 2021
Umschlag
© Copyright by Daniela Jodorf 2021
Lizenzfreies Coverfoto und Design mit Dank an Canva.com
Verlag
Daniela Jodorf
Leonhard-Kraus Str. 23
53604 Bad Honnef
dj@daniela.jodorf.de
veröffentlicht durch
epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Danksagung
Mit besonderem Dank an alle, die bei der Entstehung dieses
Buches mitgewirkt haben:
Monika Winterstein
Serga Falck
Bianca Dauber
Monika Jodorf
NARANARI ist unser gemeinsames Werk.
Schön, dass es Euch gibt!
Disclaimer
Alle in diesem Roman vorkommenden Figuren, Schauplätze und Organisationen sind rein fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind vollkommen zufällig und beruhen allein auf der Tatsache, dass in dieser Erzählung allgemeingültige Verhaltens- und Erfahrungsmuster zu den Themen Guru-Abhängigkeit und spiritueller Missbrauch dargestellt werden, die sich zu verschiedenen Zeiten an ganz unterschiedlichen Orten und zwischen völlig anderen Menschen ereignen können und trotzdem fast identisch wirken.
Für Menschen, die selbst die Abhängigkeit von einem Guru, einer spirituellen Institution oder Tradition oder spirituellen Missbrauch in körperlicher, sexueller, seelischer oder anderer Form erlebt haben oder gerade erleben, kann dieser Roman triggernd wirken. Er bietet aber auch die Möglichkeit, die Muster der Guru-Schüler-Dynamik zu verstehen und die eigenen Schatten zu erkennen und zu integrieren.
Es ist nicht die Absicht der Autorin, mit dieser Erzählung in irgendeiner Form Heilwissen anzubieten. Dieser Roman soll lediglich auf die Gefahren und Illusionen auf dem spirituellen Weg hinweisen und so die Möglichkeit zu einem ehrlicheren, realistischeren Umgang mit dem Thema Spiritualität eröffnen, der auch die negativen Seiten mit einschließt und den Leser zu einem kritischen Bewusstsein ermutigt, das ihn in die Lage versetzt, sich selbst vor leidvollen spirituellen Begegnungen zu schützen.
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Die Schatten auf dem spirituellen Weg
sind lang und unsichtbar
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Die richtigen Dinge sind immer einfach,
aber die einfachen Dinge nicht immer richtig
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MEERA
Die saftig grüne, tropische Landschaft flog mit der gemächlichen Geschwindigkeit des alten rostigen Taxis an Meera vorüber. Sie konnte kaum fassen, dass sie endlich hier war. Wie viele Jahre hatte sie von Goa geträumt. Wie oft hatte sie sich vorgestellt, hier mit Janaka herzukommen, sich von ihm alle Orte zeigen zu lassen, die ihn berührt und inspiriert hatten; die Orte, an denen er erwacht war, die ihm seinen Weg und seine Mission enthüllt hatten. Nun war sie hier, doch der Sitz neben ihr leer. Tränen rollten über ihre Wangen, als sie sich sein schönes Gesicht vorstellte. Er fehlte ihr so.
Das Taxi wurde im Laufe der Fahrt immer schneller, als hätte es sich erst vom Rost befreien müssen. Inzwischen düste der Fahrer hastig und eckig um die Kurven. Meera sah angestrengt und konzentriert aus dem Frontfenster, um die Übelkeit zu bekämpfen. Trotz der wunderschönen Umgebung wanderten ihre Gedanken immer wieder zurück zu Janaka und seinen bunten, ausgeschmückten Erzählungen von seiner Zeit in Indien.
In ihr regte sich unendliche Traurigkeit. Sie hätte ständig weinen können. Um Janaka, der so tief gefallen war. Und auch um sich, weil sie geglaubt hatte, alles gefunden zu haben, wonach sie sich gesehnt hatte, nur um am Ende alles wieder zu verlieren. Der Schmerz saß tief und schien unheilbar. Sie war unerträglich verletzt, furchtbar verstört und verwundet. Sich das einzugestehen, war ihr so schwer gefallen, dass sie mehr als zehn Jahre dafür gebraucht hatte. Jahre, in denen sie sich täglich eingeredet hatte, dass alles in Ordnung war, obwohl gar nichts in Ordnung gewesen war.
Sie mahnte sich zur Disziplin. Wenn sie einigermaßen heil in ihrem Hotel ankommen wollte, dann durfte sie jetzt nicht darüber nachdenken. Sie musste sich konzentrieren. Auf das Hier und das Jetzt. Jetzt saß sie in einem Taxi in Goa und schwitzte. Jetzt freute sie sich auf Ferien am Strand. Jetzt schien die Sonne. Jetzt spürte sie Durst. Es gelang ihr, die Vergangenheit auszublenden, sie rigoros auszuschließen aus ihrem Erleben.
Der Fahrer deutete auf einen Tempel und rief begeistert: „Shiva Temple, Madame. Sehr heilig.“
Er konnte nicht wissen, dass sie auch das an Janaka erinnerte, wie eigentlich alles die schmerzlich geliebten Erinnerungen hochspülte. Hatte sie überhaupt ein Leben ohne ihn, fragte sie sich verzweifelt und ein bisschen wütend. Würde sie jemals wieder ein Leben ohne ihn haben?
Der Fahrer wartete offenbar auf ihre Reaktion, denn er starrte sie im Rückspiegel erwartungsvoll an. Sie nickte freundlich. „Ja, ich kenne Shiva. Sehr, sehr heilig“, antwortete sie, und endlich blickte der Fahrer wieder auf die holprige Straße vor ihnen, die in Richtung Ashvem Beach im nördlichen Teil Goas führte. Er konnte nicht wissen, wie verbunden sie mit Shiva war, was er ihr bedeutete, obwohl sie Deutsche war. Auch Shiva verband sie mit Janaka, mit ihrem geliebten Lehrer, der ihr alles, was sie über die geistige Welt wusste, beigebracht hatte. Der ihr vor allem zuerst das Vertrauen in die Existenz der geistigen Welt gegeben hatte. Sollte das alles Illusion gewesen sein? Sie konnte und wollte das nicht glauben. Was war überhaupt noch wahr in einer Welt, in der die Menschen nicht das waren, was sie zu sein vorgaben? Was war wirklich, in einer Welt, in der man dem, den man am meisten liebte, nicht vertrauen konnte? Wieder begannen ihre Tränen zu fließen und diesmal ließ sie es geschehen.
„Traurig, Madame?“, fragte der Fahrer mitfühlend und starrte wieder nur in den Rückspiegel, statt die Straße im Blick zu behalten.
„Nein, sehr glücklich“, log sie, um ihn dazu zu bewegen, nach vorne zu sehen. „Ich wollte schon so lange herkommen.“
Der Fahrer freute sich und lachte. „Goa sein beste Platz von India! Alles hier: Meer, Strand, Kultur, Musik, Party, Yoga, Tempel, Gewürze, Ayurveda… Alles.“
Sie nickte wieder und war froh, dass er ihre Gedanken nicht hörte. „Ja, alles ist hier, aber nicht das, was ich mir am sehnlichsten wünsche.“
Der Taxifahrer spürte, dass er sie nicht aufmuntern konnte und schwieg den Rest der Fahrt. Sie fuhren jetzt auf kleineren Landstraßen kreuz und quer durch Palmenhaine, kleine Siedlungen, vorbei an einer schneeweißen christlichen Kapelle, über Brücken und Flüsse. Goa war so schön. Meera atmete tief durch, als sie ein überraschender Hoffnungsschimmer mitriss.
„Vielleicht finde ich hier doch die Erlösung, die ich suche“, dachte sie. „Aber was, wenn nicht“, durchfuhr sie gleich wieder der alte, grauenvolle Schrecken. Was, wenn sie keinen Weg fand, mit dem Schmerz und der Enttäuschung, die sich tief in ihr Herz gegraben hatten, zu leben? Was, wenn sie keinen Weg fand, mit ihrer eigenen Vergangenheit zu leben?
Nach etwa eineinhalb Stunden bog der Fahrer in der ihm eigenen zackigen Weise in eine von hohen Kokospalmen gesäumte, enge Straße ein. Er deutete nach vorne auf ein schwarzes Eisentor, das von einem bewaffneten Mann und einem schlafenden, beigefarbenen Hund bewacht wurde.
„Hotel Cozy Yoga, Madame! Sehen Sie. Sie haben geschafft Reise und jetzt an Ihre Ziel!“
Wie schön wäre es, wenn sie ihre Reise wirklich endlich geschafft, wenn sie ihr Ziel erreicht hätte. Sie war jetzt Mitte Dreißig und von sich selbst und der Verwirklichung ihrer Ziele vielleicht so weit entfernt wie niemals zuvor. Einst hatte sie gehofft, dass Janaka sie zu ihrer Berufung führen würde, dass er ihr zumindest helfen würde, sie zu entdecken. Aber es war alles ganz anders gekommen.
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