Der Bunker KEROMAN III hatte in der Mitte eine große Box, die für drei U-Boote ausgelegt war. Sie war komplett für diesen Sonderauftrag reserviert worden. Seit Tagen liefen die Vorbereitungen.
Hans und Dieter waren verantwortlich dafür, dass die auszuführenden Arbeiten den termingerechten Einsatz sicherstellten. Bereits vor einer Woche war ein Trupp ihrer Mitarbeiter nach Lorient geflogen, um alles vorzubereiten. Eine weitere Woche früher war die für diesen Einsatz vorgesehene A4-Rakete verladen und per Eisenbahn auf den Weg nach Frankreich gebracht worden. Die starken Luftangriffe der vergangenen Monate hatten viele der Bahnstrecken und Straßen zerstört. Für die letzten Kilometer nach Lorient musste die Rakete auf Lastwagen verladen werden, da die Eisenbahnlinie kurzfristig nicht mehr repariert werden konnte. Unter massiven Sicherheitsvorkehrungen hatte sie aber noch rechtzeitig den Hafen erreicht, sodass der eng gesetzte Terminplan bisher gehalten wurde.
Die Luft im hinteren Teil des Bunkers war wirklich schlecht. Was durch die großen Öffnungen am gegenüberliegenden Ende hereinströmte, reichte nicht aus, um gegen den vorherrschenden Mief anzukommen.
Sie gingen an drei Boxen vorbei, die mit U-Booten belegt waren. Von den Seitenwänden strahlten starke Scheinwerfer die stählernen Körper an, doch das dunkle Grau des Metalls, das Schwarz des Wassers und die Betonwände schluckten einen Großteil des Lichts. Vor den hellen Bunkeröffnungen in 140 Metern Entfernung hoben sich die Bootstürme gespenstisch in die Höhe. Überall wurde intensiv gearbeitet, auf mehreren Arbeitsbühnen standen Arbeiter, die die teilweise stark beschädigten Boote reparierten. Zu Hans Überraschung hatten einige der Männer für die Schweißarbeiten nicht einmal Schutzbrillen angezogen. Stimmen und Befehle versuchten, sich über die vielfältigen Arbeitsgeräusche hinwegzusetzen. An jeder Ecke standen SS-Soldaten, die die Anwesenden im Auge behielten.
Die vierte Box war ihre. Sie war deutlich breiter, der Platz für die U-Boote war hier mit fast einhundert Metern aber nur geringfügig länger, als in den anderen.
»Höchste Zeit, dass ihr kommt.«
Oberingenieur Fritz kam ihnen entgegen. Er trug einen verdreckten Blaumann und dicke Schuhe mit glänzenden Stahlkappen. Sein Gesicht war verschmiert, die Augen zierten dunkle Ränder. Mit einer kurzen, ruckartigen Bewegung des Kopfs beförderte er eine lange Haarsträhne nach hinten und klemmte sie mit der Hand hinter sein rechtes Ohr. Er war ein begnadeter Wissenschaftler und Ingenieur, der sein Leben ganz der Arbeit gewidmet hatte. Obwohl er etwas schmächtig gebaut war, konnte er gut zupacken und scheute sich nicht vor körperlichem Einsatz. Er liebte es gleichermaßen, im Büro am Konstruktionsbrett zu sitzen wie auch in der Produktion mit anzupacken, wenn es darum ging, vorhandenen Schwierigkeiten bei der Fertigung auf den Grund zu gehen.
Er schüttelte beiden die Hand.
»Es gibt Probleme«, kam er direkt auf den Punkt. »Einige der Steckverbindungen passen nicht, mehrere Leitungen sind zu kurz und können nicht an die Steuertafel angeschlossen werden. Darüber hinaus hängt überall die SS rum und meint alles überwachen zu müssen. Das nervt gewaltig.«
»Wie kann das sein? Die Stecker und Kabel wurden doch schon unzählige Mal getestet?«
»Ja, bei dem VIIC, weniger bei dem XXI.«
»XXI, ich dachte, die sind noch gar nicht einsatzbereit? Für den Einsatz war doch immer das VIIC vorgesehen.« Hans war überrascht.
»Wir haben es auch erst gestern Nachmittag erfahren und am Abend war es dann schon da. Der Führer hat kurzfristig angeordnet, dass wir mit dem neuen XXI fahren sollen. Also musste das von uns vorbereitete Boot raus aus dem Bunker und dafür kam U-2500. Alles so geheim, dass es keinerlei Informationen zu dem Bootswechsel gab. Zum Glück wurde die Mannschaft auf beiden U-Boot-Typen trainiert, sodass wir damit keine Probleme haben. Nur das mit den Steckverbindungen ist verdammt ärgerlich. Ich habe schon neue Stecker angefordert, nur ob wir die noch rechtzeitig bekommen, konnte mir natürlich keiner sagen. Ansonsten prüfen wir gerade die Kontrolltafeln, in der Hoffnung, dass das Problem nur bei den Steckern liegt. Mittlerweile spricht man schon von Sabotage. Deshalb rennt hier auch so viel SS rum.«
»Wie sieht es mit der Rakete aus?«
»Das Baby ist in Ordnung, haben wir schon durchgecheckt. Es wird morgen auf den Hänger verladen. Der flüssige Sauerstoff und der Äthylalkohol sind auch eingetroffen. Aus Sicherheitsgründen aber noch in getrennten Bunkern untergebracht. Ansonsten läuft alles nach Plan.«
Sie standen auf einer kleinen Plattform. Vor Ihnen erstreckte sich die Box, in der eine große Zahl von Männern mit den Vorbereitungen für den Einsatz beschäftigt waren. Rechts war das neue U-Boot U-2500 festgemacht. Der lange, schlanke Bootskörper mit dem schnittigen Turm hinterließ gegenüber dem älteren Typ VIIC einen modernen und fortschrittlichen Eindruck. Das Boot hatte eine Länge von fünfundsiebzig Metern und war aus insgesamt acht Sektionen zusammengebaut worden. Diese wurden auf verschiedenen Werften in Deutschland gefertigt und anschließend zusammengesetzt. Die Entwicklung dieser neuartigen Boote war notwendig geworden, nachdem die Alliierten die U-Boot-Jagd immer effektiver gestalteten und mit neu entwickelter Technik wie Radar und Unterwasserortungsgeräten ihrem Gegner das Leben schwer machten. Seit etwa einem Jahr waren aus den Jägern endgültig die Gejagten geworden und die Verluste sprunghaft in die Höhe geschnellt, während die Versenkungsziffern immer weiter zurückgegangen waren. Mit diesem neuen Typ war eine wesentlich schnellere und längere Unterwasserfahrt möglich, was die Deutschen in die Lage versetzte, auch unter Wasser die Verfolgung eines Geleitzugs aufzunehmen, ihren Jägern zu entkommen und ungefährdeter die U-Boot-Basen an der Atlantikküste anzufahren.
Hans Blick wanderte nach links zu der schwimmenden Abschussrampe für das A4, die von den Männern einfach nur »Hänger« genannt wurde. Dieser Transport- und Verschussbehälter hatte eine Länge von siebenunddreißig und einen Durchmesser von fünfeinhalb Metern und die enorme Wasserverdrängung von 500 Tonnen. Im Schlepp von U-2500 rechnete man mit einer möglichen Geschwindigkeit von zwölf Seemeilen. Der Hänger war in der Stettiner Vulcanwerft erbaut worden.
Die Idee, dass ein U-Boot tauchfähige Schwimmkörper ziehen konnte, entstand im letzten Jahr und bald darauf ergab sich die Frage, ob es auch möglich sei, das A4 von See her zu verschießen. Eilig wurde das Projekt Schwimmweste aus dem Boden gestampft. Tests in der Ostsee zeigten nur befriedigende Ergebnisse und auch hier lief den Deutschen die Zeit davon. Trotz mehrfacher Überarbeitung des Schwimmkörpers und der Abschussvorrichtung war das Vorhaben noch nicht vollends einsatzreif, als der Befehl des Führers zu diesem Sonderauftrag eintraf.
Die Rakete war im vorderen Teil untergebracht, ebenso die großen Tanks für die flüssigen Treibstoffe. Der Hänger war mit dem Boot durch starke Stahltrossen verbunden, über armdicke, wasserdichte Schläuche wurden die Verbindungen für die Technik hergestellt, die in einer eigenen Steuerwand im ziehenden U-Boot endeten. Diese Anschlüsse wurden aber erst kurz vor dem Abschuss zusammengesteckt, lediglich das Kabel, das für die Steuerung des Hängers benötigt wurde, blieb natürlich ständig mit diesem verbunden.
Sie gingen in eine kleine, zur Bunkerinnenseite verglaste Kabine an der Betonwand. Hier waren ein Schreibtisch und vier Stühle untergebracht, an der Wand präsentierten mehrere offene Schränke eine große Zahl von Ordnerrücken. Auf dem Tisch lagen Pläne eines U-Boots ausgebreitet, neben Detailzeichnungen und Schaltplänen des Hängers.
»Wir prüfen gerade folgende Steckverbindungen.« Fritz beugte sich über die Zeichnungen und wies mit dem Finger auf die entsprechenden Stellen. »Hier, hier und hier. Es ist wichtig, dass keine Probleme auftreten. Wir nehmen jedes einzelne Kabel noch einmal unter die Lupe. Ich habe Anweisung gegeben, dass wir die vorhandenen Stecker des VIIC selbst umbauen auf das XXI. Für den Fall, dass das Werk uns die Richtigen nicht mehr rechtzeitig liefert«, erklärte Fritz den aktuellen Stand. »Ich kann mir das nicht erklären. Fast die Hälfte der Kontakte ist betroffen.«
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