Rainer Zak
Der lange und der kurze Weg
-Neue erotische Utopien-
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Inhaltsverzeichnis
Titel Rainer Zak Der lange und der kurze Weg -Neue erotische Utopien- Dieses ebook wurde erstellt bei
Edition Edition Paradice Band 3
Die Männerversteherin
Spagat
Ein Fall für Hendrik
Schwarze Schafe
Die Zelte der Cevennen
Kettenreaktion
Notquartier
Nicht sein Typ
Der lange Weg
In der Fremde zuhause
Im Trainingscamp
Desmond im Feldversuch
Der kurze Weg
Lauter Überraschungen
Reife Leistung
Laufsteg
Canossa und zurück
Fernbus
Springflut
Mann im Angebot
...und zum Letzten
Porno für Adorno
Impressum neobooks
Paradice
Band 3
Der lange und der kurze Weg
-Neue erotische Utopien-
mit Illustrationen
von
Dita Zak
I.
Die Autotür musste dafür büßen, dass Ilona genug vom ewigen Promi-Gefasele hatte. Sie knallte die Fahrertür ihres City-Flitzers mit zusammengekniffenen Lippen das zweite Mal ins Schloss, weil nach dem ersten Mal noch eine große Portion Unzufriedenheit übrig geblieben war.
Fast wäre noch der Saum ihres halblangen Rockes eingeklemmt worden. Sie strich ihn an Bauch und Hüfte glatt.
Vor einem Jahr war sie mit aller Entschlossenheit an der lukrativen Falle vorbeigesteuert, als eine der großen Kultzeitschriften für das Prominentenwesen sie als Chefreporterin engagieren wollte. Im Normalfall für eine Jungjournalistin wenige Jahre nach der Ausbildung unwiderstehlich.
Kollegen und Freunde waren fassungslos, als sie den Job umgehend ablehnte und sich dabei eine Begründung sparte.
Heute, in ihrem neuen Wirkungskreis, einer kleinen aber kritischen Zeitschrift, traf sie bei ihren Interviews fast täglich auf schillernde interessante Typen, die sie häufig mehrere Stunden befragte und daraus brillant formulierte Reportagen verfertigte.
Aber jetzt hatte Ilona der Horror der Yellow Press wieder eingeholt, auch wenn es sich nur um eine einzige Reportage handelte, die ihr Blatt von ihr verlangte.
‚Leben Schauspieler ihre Rollen?’ lautete die Leitfrage für ihre Arbeit und als Interviewpartner hatte ihr Chef den Schauspieler Julius Hertram ausgewählt, der in seinen letzten Filmen den Herzensbrecher gab. Er kreuzte dynamisch den Lebensweg aufstrebender Frauen, köderte sie mit dem Versprechen eines Lebens in Wohlstand und brachte sie dann zu Fall.
Julius Hertram spielte dort einen schlampigen aber wohlhabenden Mittvierziger, der seine Scheußlichkeiten eiskalt plante, zudem seine Opfer auch noch verhöhnte.
Nachdem sich Ilona ein wenig an ihrer Autotür abreagiert hatte, machte sie sich eilig auf den Weg.
„Bringen wir es hinter uns“, dachte sie bei sich, „frauenverschlingende Monster warten nicht gern.“ Für sie war das Interview insgeheim schon gelaufen.
„Also: Leben Schauspieler ihre Rollen?“
Jedenfalls dürfte es unmöglich sein, als Engel ein Monster darzustellen; das stand für sie fest.
II.
In der Gartenwirtschaft, wo sie mit ihrem Interviewpartner verabredet war, entdeckte sie unter den Sonnenschirmen niemanden, der dem Bild entsprach, das sie sich nach seinen Filmauftritten von Julius Hertram gemacht hatte.
Als sie das Areal zum zweiten Mal vergeblich durchstreifte, erhob sich etwas entfernt ein leger gekleideter Mann, etwas älter als sie, und gab ihr ein Zeichen.
„Na ja“, dachte sie, „der sieht im richtigen Leben ja viel jünger aus, zwar nicht gut aussehend aber interessant.“
Ilonas Erfahrungen mit allzu attraktiven Männern waren nicht die besten, mit deutlich älteren allerdings noch schlechter.
„Bei mir sind Sie richtig“, begrüßte er sie, „ich bin Julius Hertram.“
Nur widerstrebend gestand sie sich ein, dass sein Händedruck warm und einfühlsam war.
„Sie sind also das Monster aus ‚Gleiches mit Gleichem’?“
„Höchstpersönlich! Soll ich mal mein gemeinstes Gesicht machen?“
Darauf blinkte er ihr komplizenhaft mit geneigtem Kopf zu und wirkte dabei nicht im Geringsten gemein sondern unglaublich komisch.
Und im nächsten Augenblick, wieder völlig entspannt, machte er Ilona seine Rechnung auf.
„Was ich in diesem Film bin und verbreche ist zu 50% Maske plus Kostüm, zu den anderen 50 % ist es die Performance und zu 0% bin ich es selbst.“
Für einen Moment vergaß Ilona ihren Auftrag, denn sie spürte, dass er sich ihr gegenüber nicht verstellte. Er suchte nicht nach wohlformulierten und druckreifen Plattitüden, um diese irgendeiner Interviewerin in das Notebook zu diktieren. Alles, was er wollte, war, sich von dem Druck der klischeehaften Rolle zu befreien, sich einer Frau gegenüber unmissverständlich aber aufrichtig zu offenbaren.
Ilonas unterkühlte Selbstsicherheit begann zu flattern und die Alarmglocken klangen nur noch wie aus weiter Ferne.
„Pass auf, Ilona, das ist genau die Masche wie in seinen Filmen! Und wenn er in dir sein nächstes Opfer sucht?“
Sie riss sich zusammen.
„Aber es heißt doch, zu der wirklich brillanten Darstellung eines Schauspielers gehört, dass er die Rolle lebt.“
Obwohl sie sich selbst eine große Portion Misstrauen und Angriffsfreude schuldig war, erschreckte sie sogleich über ihre eigenen Worte und bereute sie sofort. Denn er zeigte sich sichtlich getroffen, zog sich augenblicklich und deutlich spürbar zurück.
„Wo haben Sie denn diesen Quatsch aufgeschnappt? Vielleicht gibt’s mal den einen oder anderen Kollegen, bei dem mir dieser Gedanke auch nicht fremd ist.
Für mich kann ich nur sagen: ich liebe die Frauen, aber ich benutze sie nicht.“
„Aber warum stellen Sie sich dann für die Rollen solcher Frauenvernichter zur Verfügung?“
„Nennen Sie es Karrieregeilheit oder Existenzangst. Sie haben mit Ihren Bedenken schon recht; diese Rollen waren zuletzt für mich unerträglich; ich bereue sie sehr. Auch wenn ich wenigstens inzwischen meine horrenden Schulden aus früheren Jahren dadurch abtragen konnte.“
Ilona hakte sofort erleichtert ein.
„Dann hätte Ihnen ja wohl auch das Geld zum Frauenködern gefehlt!“
Da erst merkte sie, dass sie die Rolle der alles verstehenden Anwältin bei ihm eingenommen hatte; die zweifelnde Journalistin war anscheinend irgendwann in den letzten Minuten in der Versenkung verschwunden.
„Hoffentlich hat er es nicht bemerkt!“ ging es ihr durch den Kopf.
„Langer Rede, kurzer Sinn“, schloss er ab, „unter das Ganze mache ich in zwei Monaten einen Schlussstrich und wechsele zum Theater, zur klassischen Bühne. Das tut einfach gut und ich kann dann zum Beispiel im echten Leben einfach mal eine aufregende Frau fragen: Haben Sie nach dem Interview Zeit für mich?“
Ilona blickte von ihrem Notebook auf, überlegte kurz und sah ihn erstaunt an.
„Ach“, warf sie ein, Sie haben heute noch ein weiteres Interview?“
Sie hatte den Sinn seines letzten Satzes nicht verstanden; vor allem hatte sie nicht verstanden, dass seine Frage ihr selbst galt.
Er klopfte auf ihr Notebook, zog ihre Hand von der Tastatur weg zu sich hin und wurde deutlicher.
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