Dabei griff er in das Fleisch ihres Rückens, presste dann ihre Schenkel an sich.
„Lass mich eine Weile so auf dir liegen, Julius!“ verlangte Ilona.
„Und alles, was deine Hände mit mir machen, ist wunderschön; ich halte sie nicht mehr auf.“
Da hatte Julius aber auch schon damit begonnen, den Bund ihres Slips über ihre Hüften hinabzuschieben. Ilona hob dafür ihr Becken an und sank dann zurück.
„Julius“, murmelte sie, „deine Hände sind ja kalt. Komm ins Warme?“
I.
In dem Appartementhaus am Gansforth gab es ein ständiges Kommen und Gehen. Selten verging ein Monat, ohne dass nicht wenigstens an ein oder zwei Tagen der Aufzug des 10stöckigen Gebäudes für einige Zeit blockiert war. Umzugkartons und Kleinmöbel sammelten sich im Flur des Erdgeschosses und verschwanden dann nach und nach; ein Klingelschild wurde ausgewechselt.
Gestern hatte Ute sich auf diese Weise in der dritten Etage niedergelassen und anschließend unternehmungslustig eine Erkundung in alle Nischen und Ecken des Gebäudes gestartet. Die Architektur ihrer Etage sah der darüber und der darunter zum Verwechseln ähnlich und nirgendwo zeigten sich nennenswerte Spuren von Leben. Im Keller gelang es ihr schließlich, erste Anzeichen menschlicher Zivilisation aufzuspüren; im Waschmaschinenraum gurgelten zwei Geräte vor sich her und in der Ecke hockten zwei kaugummikauende Barbiepuppen und tratschten. Ute sah ihre kommunikative Ader von zähen Ablagerungen der Einsamkeit bedroht.
II.
Als Ute nach einer Woche den Zeitpunkt gekommen sah, selbst im Kellerverließ eine erste Ladung schmutziger Wäsche einer Waschtrommel anzuvertrauen, stieß sie dort auf den ersten männlichen Mitbewohner.
Das Haus der 60 Einzelzellen war seit zwei Jahren Helges Stützpunkt für sein improvisiertes Leben. Seine langjährigen Erfahrungen als Einsiedlerkrebs schlossen immer noch nicht die Bewältigung aller alltäglichen Routineübungen ein. Zum Beispiel Wäsche waschen nach den Regeln der Schadensbegrenzung.
Der mürrische Typ, der mit einem Brummen auf Utes heitere Begrüßung geantwortet hatte, machte sich unverzüglich und hemmungslos ans Verfüllen der nächsten Maschine. Seine sowohl einzigartige als auch eigenartige Methode bestand darin, seine Kleidungsstücke wahllos und ungeordnet nach Materialien und Farben zusammenzustopfen.
„Machen Sie das immer so?“ fragte Ute voller Verblüffung, weil sie ihren Augen nicht traute. Und als er sich schweigend abwandte, versuchte sie es mit einem freundlichen Rat.
„Sie werden sehen, dass die weiße Wäsche länger weiß bleibt, wenn sie das Farbige separat waschen!“
An seinem darauf folgenden Blick erkannte sie schon, was er von ihrer Empfehlung hielt; aber er verzichtete dennoch nicht darauf, ihr seine Meinung um die Ohren zu hauen.
„Ihre klugen Sprüche können Sie ruhig für sich behalten. Darauf kann ich gern verzichten!“
III.
Nach dieser Begegnung legte sie verständlicherweise keinen Wert darauf, ihn so bald wiederzusehen. Am nächsten Tag jedoch hatte sie keine Chance, ihm aus dem Weg zu gehen. An einer scharfen Kurve hinter der Fleischtheke kam es nach einem Beinahe-Zusammenstoß zum Showdown. Die Gänge beim größten Discounter des Viertels waren nun einmal sehr eng geschnitten, und so kam es zur gegenseitigen Blockierung ihrer Einkaufswagen. Helge erstarrte, Ute zuckte die Schultern.
Auch beim anschließenden Rangieren ähnelten ihre Entwirrungsversuche eher dem Duell zweier Auto-Scooter-Piloten.
Nebenbei bemühte sich Ute, ihr Befremden über das Chaos in seinem Einkaufswagen, über die Menge der Fertig- und Tiefkühlprodukte zu verbergen.
Er hatte jedoch ihren missbilligenden Seitenblick aufgefangen und trat ihr ergrimmt entgegen.
„Wahrscheinlich wissen Sie auch hier alles besser! Sie kennen nicht nur die Rezepte für die perfekten Waschmethoden, sondern werden mir wohl gleich einen Vortrag über die richtige Ernährung halten. Alles in allem wären sie sicher die perfekte Frau für jemanden wie mich! Was gäbe es denn sonst noch, das sie zu meiner Vervollkommnung beitragen könnten?“
„Der Typ ist ja völlig verkarstet!“ dachte Ute. Sie schwankte kurz zwischen Mitleid und Empörung; dann aber lief das Fass bei ihr über.
Sie konnte auch anders und zeigte dies mit einem Steilangriff unter die Gürtellinie, um diesem Gorilla seine Unverschämtheiten heimzuzahlen.
„Wenn Sie nicht so ein Brechmittel wären, gäbe ich Ihnen ein paar gute Tipps, wie sie es einer Frau fantastisch besorgen könnten. Ich wette, dass es da bei Ihnen auch nicht zum Besten steht.“
Drei Kundinnen an der Fleischtheke hatten diese saftige Tirade Wort für Wort mitbekommen und prusteten gleich darauf begeistert los.
Helge aber fand eine Lücke neben dem Tresen und machte sich wagenklappernd aus dem Staub.
Früher hatte sich Helge noch nie so aufmerksam und vorsichtig zwischen seiner Wohnungstür und dem Parkplatz vor dem Haus bewegt wie in den Tagen danach. Dieser Megäre wollte er unter gar keinen Umständen zufällig über den Weg laufen.
Einmal bewältigte er sogar die 124 Stufen zu seinem Appartement zu Fuß, da Ute zur gleichen Zeit mit dem Fahrstuhl einige Regalbretter und Polsterteile nach oben beförderte.
IV.
Es gab eine Zeit, wo solch eine Treppenbesteigung für ihn eher eine Auflockerungsübung war. Da war er in den Kampfstätten der Leichtathleten in ganz Europa zu Hause und zählte meist zu den Favoriten. Dann passierte in Barcelona die katastrophale, völlig verdrehte Landung in der Sprunggrube. Nach Krankenhaus und Reha brach die Zeit an, wo mehr als fünf Stufen für ihn nicht ohne Schmerzen zu bewältigen waren.
Mittlerweile konnte er den Weg hinauf zu seinem Appartement wieder problemlos bewältigen. Aber er wollte mehr!
Noch hegte Helge die Hoffnung, der Muskel wäre später einmal wieder voll belastbar und seine Weitsprungleistungen könnten wieder das europäische Niveau erreichen. Er wehrte sich noch beständig gegen den Gedanken, die schwere Muskelverletzung am Oberschenkel vor zwei Jahren wäre möglicherweise das Ende seiner sportlichen Karriere.
„Wir brauchen dich hier im Verein!“ versicherte ihm Matthias, der führende Konditionstrainer im größten Sportverein vor Ort, unter dessen Leitung Helge die Betreuung des Gymnastik-Trainings in die Hand genommen hatte.
Als Helge am Mittwochabend die Sporthalle betrat, erfuhr er als Erstes, dass die Frauengymnastik-Gruppe Zuwachs bekommen hatte.
Er traute seinen Augen nicht! Alle Bemühungen waren vergeblich gewesen.
Sie stand mitten in der Gruppe und schaute ihm ganz unbefangen entgegen. Und als er sich zur Kiste mit den Sprungseilen hinunterbeugen wollte, tat sie schnell ein paar Schritte auf ihn zu und stand vor ihm.
„Hallo“, sagte sie, „ab heute mache ich hier mit.“
Es blieb ihm gerade die Zeit einmal durchzuatmen.
„Ich heiße Ute; die anderen haben mir schon gesagt, dass du Helge heißt!“
Helge war zwar verunsichert, überspielte die Situation jedoch geschickt und mit charmanter Grimmigkeit.
„Willkommen bei uns, Ute!“ sagte er routiniert. Und dann sehr viel leiser: „Du hast mir hier noch gefehlt!“
In sein ein wenig starres Lächeln hinein flüsterte Ute zu seiner größten Verblüffung: „Frieden?“
V.
Helge tat es manchmal gut, wenn hin und wieder eine der Frauen in seiner Gymnastikgruppe ein vorsichtiges Interesse für ihn signalisierte, -für ihn als Mann. Den unauffälligen Blicken und Berührungen begegnete er einfühlsam mit Gesten, die weder als Ermunterung noch als Zurückweisung verstanden werden konnten. Seine Hilfestellung bei der Einübung neuer Bewegungsfolgen war sparsam bemessen und gleichmäßig auf alle Frauen verteilt.
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