„Wenn Ihr Notebook Pause macht, möchte ich Sie zu einem Besuch im Filmstudio einladen, am liebsten noch heute. Eine der letzten Chancen, mich als den Bösewicht der Frauenwelt zu erleben.“
Noch unentschlossen hielt sie sich mit der rechten Hand am Notebook fest, während er ihre andere Hand immer noch nicht losgelassen hatte.
„Ich glaube“, -sie kam aus dem Staunen über sich selbst nicht heraus-, „ich glaube, die Pause hat schon begonnen.“ Dann klappte sie das Notebook zu.
III.
Julius hatte dafür gesorgt, dass die Präzision ihrer Wahrnehmung heute schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Davon zeugte nicht nur, dass seine Einladung erst im zweiten Anlauf zu ihr durchgedrungen war.
Der gemeinsame Rückweg zu ihrem City-Flitzer wurde eine kleine Odyssee zwischen Suchspiel und Schnitzeljagd; Ilona hatte im Gewirr der Altstadtgassen die Orientierung verloren.
Julius aber nahm dies nicht zum Anlass, sich darüber lustig zu machen, sondern spendete ihr Trost mit seinen Worten und seinen Händen, bis sie überraschend über den gelben Flitzer stolperten.
Aber als sich beide in den Kleinwagen gezwängt hatten, machte sich der Wagenschlüssel selbstständig und verschwand im Pedalraum. Bevor sie Julius daran hindern konnte, hatte er sich über sie gebeugt und angelte mit einer Hand nach dem Schlüsselbund.
Jedoch sein erster Fund zwischen Gashebel und Bremse war ganz anderer Art.
Sie spürte seine Hand, die sich vom Knöchel her hinaufschob und unter ihrem Rock den Weg bis weit über das Knie fand, wo sie zum Halt kam. Sein Griff war sanft und besitzergreifend zugleich.
„Haben Sie gefunden, was Sie suchen?“ fragte sie lächelnd.
„Aber ja“, antwortete er, „Suchen ist eine meiner großen Leidenschaften. Es fällt mir häufig schwer, so ganz einfach damit aufzuhören.“
„Die Schlüssel!“ murmelte Ilona.
Er verstand dieses Signal; die Suche hatte ein Ende gefunden!
Auf dem Weg ins Studio versuchte Julius anscheinend, diese kleine Zurückweisung zu verarbeiten. Er hielt ihr einen Vortrag über den Kleinwagen als dem größten Feind der Erotik.
„Zu nichts taugt er, wenn es darum geht, die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau enger zu gestalten! Von Anfang bis Ende: es taucht ein Hindernis nach dem anderen auf!
Eine erste spontane Begegnung des Paares scheitert daran, dass Frauen sich in solchen Kisten nicht trauen Männer als Anhalter mitzunehmen.
Wenn man sich dann aber schon näher gekommen ist, möchte man keine Gelegenheit zum Knutschen auslassen.
In diesen Sardinenbüchsen aber verlässt einem dazu das Verlangen, wenn im entscheidenden Moment der Zärtlichkeit der Ellbogen mit dem Lenkrad kollidiert.
Über die ausbleibende Lust beim herbeigesehnten Schenkelverschränkungsspaß brauch ich ja wohl kaum viele Worte verlieren.“
IV.
Im Filmstudio schleuste er sie problemlos in seine Garderobe ein.
„Sie wollen’s doch so authentisch wie möglich?“ suchte er bei ihr die Absolution für diese Zumutung, die er ihr damit bot. Denn das Chaos, welches sie durchschritt und in dem sie auf einem blanken Hocker Platz nahm, hatte Charme, aber wohl nur für ihn. Es schien so, als gestalte er auf diese Weise eine ganz besondere Art von Ordnung, denn mit nur einem Griff fand er jeweils die Utensilien, welche er genau in diesem Augenblick brauchte.
Ilonas Faszination wuchs in dem Maße, wie seine unprätentiöse Art des Umgangs mit den Dingen für sie Gestalt annahm.
Sie dachte zurück an seinen witzigen Verriss der Kleinwagen-Erotik. Mittlerweile konnte sie nicht mehr glauben, dass er damit wirklich seine eigene Auffassung wiedergegeben hatte. Solch ein Auto ermöglichte nämlich in Wirklichkeit ein großes Maß an Intimität, war ein Ort der Nähe und der Vertrautheit.
Für sie beide wäre ihr Mini sicher das wunderbarste Liebesnest geworden, wenn sie ihn einfach aufgefordert hätte, den Weg seiner Hand ungehindert fortzusetzen und weit über ihr Knie hinaus sein zärtliches Spiel voranzutreiben.
Das Licht in der Garderobe war grell und lästig.
Julius hatte damit begonnen sich in den älteren Herrn zu verwandeln, der in seiner Rolle gnadenlos Schrecken bei Frauen verbreitete. Zuvor aber entledigte er sich seiner privaten Attribute, und ohne dass Ilona davon überrascht war, gehörte dazu auch seine gesamte private Kleidung.
Unbefangen wand er sich ihr zu und ebenso unbefangen betrachtete sie ihn, lächelnd und mit Wohlgefallen. Seine Schultern, seine mäßig behaarte Brust, schließlich seine Hüften mit seiner schwach pendelnden Rute im Zentrum.
Sie verzichtete darauf, ihm zu sagen, wie sehr er ihr gefiel. Denn sein Blick sagte mehr als deutlich, dass er dies ohnehin verstanden hatte.
Als auf dem Set die Kameras liefen, kauerte sich Ilona seitlich in eine Ecke und sah ihn kraftvoll agieren, unverkennbar das Ekel, nach dem sie bei ihrem Treffen im Gartenlokal Ausschau gehalten hatte.
Aber sein Spiel war heute doch ein wenig anders als in den Filmen, die sie von ihm kannte. Möglich, dass er die Chance nutzte, seinen Abschied von der alten Rolle in den Schlussszenen des Filmes zum Ausdruck zu bringen.
Julius Hertram spielte sich frei. Und Ilona freute sich auf den neuen Julius.
V.
Nun stand sie in seiner Wohnung und glaubte, sie hätten sich in der Tür geirrt. Das konnte nicht das Domizil des gefragten Filmschauspielers Julius Hertram sein. Ihre Bude während des Studiums war kaum kleiner als dieses Ein-Zimmer-Appartement mit einem großen Fenster.
Er deutete die Ratlosigkeit und die leichte Irritation in ihrem Blick richtig.
„Wer Schulden abtragen muss, kann sich keine Villa leisten; und wer Filmverträge schießen lässt, kann sich auch in Zukunft keinen Bungalow von 200 qm zulegen.“
Sie ließ die frugale Ausstattung der Kleinwohnung amüsiert auf sich wirken: ein Küchenblock, eine Dusche, ein Tisch, zwei schmale Schränke, ein Bett und ein Sessel.
„Gäste haben bei dir die große Auswahl, ob sie auf dem Boden, auf dem Sessel oder auf deinen Knien Platz nehmen wollen, oder?“
Ilona ließ das Bett links liegen und begutachtete den Sessel.
„Immerhin doch ein breit gefächertes und teilweise auch reizvolles Angebot!“ sagte er. „Und hast du dich schon entschieden?“
„Du hast vorhin behauptet, dass du die Frauen liebst, also überlässt du mir den Sessel!“
Doch er schlenderte an ihr vorbei und nahm vor ihren Augen in diesem Sessel Platz.
„Da ich als Schauspieler an Überheblichkeit und Größenwahn leide, kommen nur meine Knie als Liebesbeweis in Frage.“
Sie schaute sich im Zimmer um und tat so, als hätte sie das Bett erst jetzt völlig überraschend entdeckt.
„Bei deinem egoistischen Starrsinn zwingst du mich doch tatsächlich, die Notlösung zu wählen.“
Ilona entledigte sich der Schuhe, schlüpfte aus ihrer Jacke und streckte sich auf dem Bett aus.
„Jetzt gehst du aber doch ein wenig zu weit! Erst den gemütlichen Sitz auf meinen Knien verschmähen und dann mein einziges Bett besetzen! So gehst du mit meiner Gastfreundschaft um!“
Während er die letzten Worte sprach, hatte Julius den kurzen Weg zum Bett zurückgelegt und die andere Hälfte seiner Schlafstätte in Beschlag genommen.
„Sag mal, bist du der heilige Sankt Martin?“, fragte sie, während sie sich auf der Seite liegend an ihn lehnte.
„Weiß nicht“, sagte er nahe an ihrem Ohr, „und wenn doch: so nahe bei dir werde ich nicht lange keusch und heilig bleiben können.“
„Ich frag nur, weil Sankt Martin alles mit den Bedürftigen teilt, zum Beispiel Mäntel, Betten und so weiter.“
Ilona stemmte sich hoch, rutschte zu ihm hinüber und robbte an ihm empor, bis ihr Kopf unter seinem Kinn ruhte.
„Der hat schon Phantasie, dieser Sankt Martin“, flüsterte er, „aber mir fällt da auch einiges ein.“
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