Wenn ich mir den Brief so durchlese, merke ich, viel „Salz“, viel tiefer Gehalt ist nicht drin. Aber ich glaube, das liegt auch am Thema. Wir werden auch wieder tiefgründigere Briefe schreiben. Ich habe Dich ja immer gleich lieb, und meine Gedanken sind oft, oft bei Dir, Deinem Leben, Deinen Problemen und Deiner Arbeit. Meine liebe Diethild, der Tag und die Briefbogenränder gehen langsam aber sicher zur Neige. Ich grüße Dich von Herzen. Du weißt, wie sehr ich Dich liebe. Alles, alles Gute, Dein Wolfgang
Stuttgart, den 10. 9. 53, Mein Freund und Kupferstecher!!
Jetzt muss ich Dir doch mal die etappenweisen Reaktionen beim Lesen Deines Briefes schildern. Erst nach einer ganzen Weile konnte ich mich für in mein Gemach stehlen und mit schlechtem Gewissen den ersten Satz lesen. Da war ich doch drauf und dran, Dich ausnahmsweise mal ernst zu nehmen. Mein erster Gedanke war: „Du meine Güte, was hab ich da nur angestellt!“ Während der nächsten Stunde schimpfte ich teils auf mich, teils auf Deine scheinbare Empfindlichkeit. Dann erst konnte ich wieder einen illegalen Abstecher machen und die erste Seite fertig lesen. Ich muss sagen, ich war bedient und wollte Dir den Brief postwendend zurück schicken. Mir wurde ganz schlecht angesichts solcher vielen Schandtaten. Aber freu Dich nur nicht zu früh, meinst Du, ich hätte nicht bemerkt, wie froh Du warst, dass Du ein so harmloses Scherzchen von mir dazu gebrauchen konntest, Deine moralisch unmöglichen Ausschweifungen rechtfertigen zu können? Dass Du armer Schmetterling ruhelos von Blume zu Blume irren musstest, lag ja wohl daran, dass die richtige Blume nicht zu finden war. So langsam legte sich dann beim weiteren Lesen Deines Briefes der Sturm im Wasserglas, und ich habe jetzt auch genug geschimpft. Ich freue mich riesig, dass Euer Fest so nett geworden ist, und dass alles geklappt hat.
Nun noch viele liebe Grüße, Deine Diethild
Berlin, den 12. 9. 53, Meine liebe Diethild!
Gestern habe ich mich auf Pfiffis Klassenfest mächtig geärgert: Ich habe nur 20 Tänze mitgemacht, die einzigen, die als Tänze zu erkennen waren, alles andere schrägster Boogie. Leider fehlte auch die Art Mädels völlig, die uns liegt. Entweder waren es trübe, Tassen oder Pöbel. Ich habe mich in der letzten Zeit wohl selten so nach Dir gesehnt, wie auf diesem „Fest“. Draußen war ein herrlicher Sturm. Wenn ich es gar nicht mehr aushielt, ging ich hinaus, und ließ meine Gedanken in die Ferne reiten. Weißt Du, wohin sie ritten?
Mein liebes Mädel, viele liebe Grüße, Dein Wolfgang
Stuttgart, den 14. 9. 53, Mein lieber Wolfgang!
... Dass Pfiffis Klassenfest nix war, tut mir für Euch leid. Ich kann Euch das gut nachempfinden, wie enttäuscht Ihr gewesen seid. Deshalb habe ich ganz still gehalten und weiter gelesen, als Du auspacktest. ... Neulich traf ich den älteren Bruder meiner Mutter, der Gärtner ist. Er ist durch einen Unfall heute noch etwas sonderbar. Ich möchte am liebsten alle Menschen gern haben und ihnen helfen, aber man lebt so schnell aneinander vorbei. Man müsste sich die Ruhe nehmen, sich in den anderen Menschen hinein zu versetzen, dann findet man so vieles, was ihn liebenswert macht. Rein gefühlsmäßig fällt es mir ja nicht bei allen Menschen so leicht, sie zu lieben und zu verstehen wie Dich. Man müsste sich gegenüber anderen Menschen die guten Vorsätze vergegenwärtigen und den Egoismus abstellen. ...
Sei vielmals herzlich gegrüßt von Deiner Diethild
Berlin, den 16. 9. 53, Mein liebes Mädel!
... Ich war sehr froh, dass heute Dein Brief kam, denn gestern Abend war wieder Tanzstunde und irgendwie wirbelt mich solch ein Abend mehr auf, als gut ist. Du schreibst, man müsse alle Menschen gern haben und verstehen, ob sie einem sympathisch sind oder nicht. Gewiss, das ist schwer, aber umgekehrt ist es auch schwierig. Es ist das Problem, dass sich in einem, wenn man einer sympathischen jungen Dame gegenüber tritt, immer wieder der Eros meldet. Das geht mir erst so, seit ich mit Dir zum ersten Mal ein weibliches Wesen erkannt habe.
Mein Mädel, wenn alles gut geht, komme ich im Oktober mal übers Wochenende – mit einem geliehenen Motorrad. Ich halte es einfach nicht mehr aus, noch 2½ Monate zu warten. Drück beide Daumen, die Sache ist sehr unbestimmt.
Nun alles, alles Gute und viele liebe Grüße, Dein Wolfgang
Stuttgart, den 21. 9. 53, Mein Lieber!
... Ich muss Dir etwas sagen, was sicher hart für Dich ist. Schlage Dir die Sache mit deinem Besuch im Oktober bitte aus dem Kopf! Freilich wäre es schön, wenn wir uns so bald wieder sehen könnten. Aber sieh, es liegen noch mindestens drei Jahre vor uns, die wir getrennt verbringen müssen. Da müssen wir sehr stark und tapfer sein, wenn es auch schwer ist. Und was soll aus uns werden, wenn Du es jetzt schon nach sechs Wochen nicht mehr aushältst? Je länger und tiefer wir uns lieben, desto stärker wird in uns die Sehnsucht, und wir dürfen nicht nachgeben, wenn wir auch meinen, es nicht mehr aushalten zu können. Ein anderer Grund ist, dass Dein Studium jetzt wirklich vor allem geht. Ich freue mich ja so, dass Du im Oktober anfangen darfst. Du brauchst Deine ganze Zeit und Kraft für den Start, und durch Deine abendliche Nebenarbeit wirst Du schon mehr als genug abgelenkt.
Ich bitte Dich, glaube nicht, ich wollte Dich nicht hier haben! Sondern gerade, weil ich Dich so lieb habe, möchte ich Dir Enttäuschungen und Verluste fern halten. Wenn Du erst von einer geordneten Tätigkeit gefesselt wirst, wird Dir die Wartezeit auch kürzer erscheinen, bis wir uns wiedersehen. Für dieses Mal viele gute Wünsche und herzliche Grüße, auch an das übrige Volk, In Liebe, Deine Diethild
Berlin, den 27. 9. 53, Meine liebe Diethild!
Hab vielen, vielen Dank für Deinen lieben Brief. Ich muss schon sagen, ich war erst mal geklatscht, als ich ihn gelesen hatte. Nicht vor Ärger oder Enttäuschung, nein, weil ich mich schämte. Mit meinen eigenen Worten hast Du mir das gesagt, was nötig war: Unsere Liebe muss immer tiefer und stärker werden, deshalb dürfen wir nicht nachgeben. Jetzt, wo Du mir geschrieben hast, ist es auch leichter zu warten, aber ich habe manchmal so Stimmungen, wo ich wirklich denke, es geht nicht mehr. Ich kann mir denken, wie schwer es Dir geworden ist, das zu schreiben, und weil Du so viel tapferer bist, will ich auch folgen. Also: Hab Dank, dass Du mir das so offen geschrieben hast. ... Ich bin ja gespannt, wie die Schule wird. Was werden mir diese 3 Jahre bringen? Es ist alles offen, aber ich mache mir absolut keine Sorgen. Pass auf, in drei Jahren wundern wir uns, wie schnell die Zeit herum ist.
Nun sei von Herzen gegrüßt von Deinem Wolfgang
Stuttgart, den 1. 10. 53, Mein lieber Wolfgang!
Nun hast Du ja den Start ins Studium schon hinter Dir. Da bin ich in Gedanken bei Dir und hoffe, dass alles klappt. ... Heute erhielt ich einen Brief von Tina, den ersten aus Kleinmachnow. Und nun habe ich ein Attentat auf Dich vor: Tina wohnt doch in der DDR und kann daher nicht so frei erzählen. Kannst Du Dich nicht mal mit ihr treffen? Bei der Gelegenheit würdest Du dann auch meine beste Freundin kennen lernen. Für den Fall, dass es klappen sollte, muss ich Dir noch eine Warnung geben: Tina knackt mühelos die Herzen von Chefs, Kollegen, Nachbarsbuben. Also, Vorsicht ist geboten, wenn meine Wäsche schön trocken bleiben soll. ... Sei nun recht herzlich gegrüßt und wisse, dass ich Dich immer lieb behalte. Mit vielen guten Wünschen, Deine Diethild
Berlin, den 8. 10. 53, Meine liebe Diethild!
Wenn Du doch wüsstest, wie sehr ich mich jedes Mal über Post von Dir freue! Aber Du weißt es ja! Vielen herzlichen Dank für den letzten Brief. ... Nun gehe ich schon eine Woche zur Schule. Es ist ganz interessant, so eine Mischung zwischen Universität und Oberschule, halb Vorlesung, halb Schulbetrieb. Ich bin ja weiter gespannt. ... Über Deine Warnung vor Tina habe ich herzlich gelacht. Weißt Du, ich spiele eigentlich ganz gerne mit dem Feuer. Ich bin jedenfalls bannig gespannt auf das „Herzen knacken“. Sie müsste dann ja noch ein gut Teil raffinierter vorgehen, als Du es getan hast. Mein liebes Mädel, sei ganz herzlich gegrüßt von Deinem Wolfgang.
Читать дальше