Viele herzliche Grüße bis bald, Deine Diethild
Nach der Facharbeiterprüfung begann Wolfgang seine Fahrt durch Westdeutschland und schrieb viele Ansichtskarten an Diethild.
Köln, den 17. 4. 53, Liebe Diethild!
... Gestern Abend habe ich einen Bummel am Rheinufer entlang gemacht, und dieser breite, ruhige Strom hatte in der Dunkelheit eine ganz eigenartige Wirkung auf mich. Ich war wie verzaubert und musste die Hände falten und danken, dass ich leben und hier stehen darf. Wie groß und gewaltig ist doch Gottes Schöpfung und Güte! In einer Woche bin ich in Stuttgart und freue mich mächtig, Dich zu sehen.
Lass Dich ganz herzlich grüßen von Deinem Wolfgang
Als Wolfgang Samstag abends in Stuttgart ankam, begrüßte Diethild ihn freundlich und sagte, sie habe sich sehr auf seinen Besuch gefreut. Sonntag gingen sie tanzen. Beim ersten Walzer verging alles andere für Wolfgang – endlich konnte er sie wieder in den Armen halten und fühlte sich viel mehr zu ihr hingezogen, als früher in Zehlendorf. Auch sie schaute ihm in einer Weise in die Augen, wie er es noch nie erlebt hatte. Als sie sich zum Abschied die Hände fest drückten, fiel ihnen beiden die Trennung schwer. Ganz leicht strich Diethild ihm über das Haar, dann war sie schnell im Haus. Wolfgang lag noch lange wach, tief in seiner Seele wusste er, dass ihm dieses Mädchen so viel bedeutet, wie kein Mensch bisher in seinem Leben! Noch verdrängte er den Begriff „Liebe“, er durfte doch als Pfadfinder kein Mädchen lieben, aber was zog ihn denn sonst zu ihr? Und er hatte auch gemerkt, dass er ihr so wenig gleichgültig war, wie sie ihm. „Gott, gib, dass wir näher zueinander finden“, war sein Nachtgebet.
Schramberg, den 2. 5. 53, Meine liebe Diethild!
Ich möchte Dir herzlich zu Deinem 20. Geburtstag gratulieren und Dir alles Gute wünschen. Viel Glück und Freude mögen Dich begleiten, wo Du auch immer bist. Ich habe Dir noch ein kleines Geschenk zugedacht, das bringe ich im Sommer mit. Ich besuche Dich nämlich auf jeden Fall, wenn ich dann in die Schweiz fahre.
Von Freiburg aus wanderte ich ganz alleine und brachte die letzte Nacht in einer unbewohnten Hütte zu. In solcher Situation merkt man erst, was wirklich alleine sein heißt. Ein Gedicht fiel mir ein:
Allein bin ich in tiefer Nacht;
weiten Weg hab ich heut gemacht.
Die Hütte steht am Waldesrand –
allein bin ich – in Gottes Hand.
Allein bin ich, weil ich es will;
die Menschen fragten mich zu viel.
So zieh ich schweigend durch das Land –
allein bin ich – in Gottes Hand.
Allein bin ich, heut und auch morgen;
ich weiß noch, dass sich um mich sorgen,
die Freunde, die mich gut gekannt –
und doch: allein in Gottes Hand.
Weißt Du, ich habe viel an die schönen Stunden gedacht, die wir in Stuttgart zusammen verbrachten. Ich denke täglich immer wieder an Dich und freue mich schon mächtig auf den Sommer, wenn wir uns wieder sehen. ... Schreib mir recht oft, wenn ich wieder in Berlin bin und sei vielmals recht herzlich gegrüßt von Deinem Wolfgang
Stuttgart, den 11. 5. 53, Lieber Wolfgang!
Jetzt will ich Dir erst mal für alles, alles danken. Ich habe mich ja so über Deinen Besuch gefreut. Ebenso freue ich mich schon auf das nächste Mal, wenn Du wieder herkommst. Auch für die vielen Reisegrüße bin ich Dir dankbar, weil ich doch sonst in punkto „Post erhalten“ wirklich nicht verwöhnt bin. ... Mutti sagte, ich hätte mich sehr verändert, besonders wegen meiner spontanen Einsicht, dass ich in Hauswirtschaft schnellstens meine Bildungslücken füllen müsste. Ich sei auf dem besten Wege, eine biedere, hausbackene Schwäbin zu werden. Das ist so ziemlich das Schlimmste, was man mir sagen kann. Bitte, lieber Wolfgang, schreib‘ mir doch mal Dein ehrliches Urteil, denn noch ist es Zeit, umzubiegen. Ich möchte doch kein Spießbürger werden, auch, wenn ich ab 4. 5. Hausgehilfin bin. Ich glaube, dass Du mir in dieser Sache am besten helfen kannst, und ich bin Dir dankbar, wenn Du mir mal darüber schreibst.
Nun alles Gute und viele herzliche Grüße! Deine Diethild
Berlin, den 19. 5. 53, Meine liebe Diethild!
Herzlichen Dank für Deinen Brief. Er erwartete mich, als ich gestern Abend nach Hause kam, und es war wirklich das Schönste am ganzen Abend, dass unter der vielen Post auch etwas von Dir war. ... Zu der Beurteilung Deiner Mutter: Ich habe Dich in Stuttgart nur in einer Beziehung verändert gefunden, Du bist ruhiger und überlegender geworden. Aber gerade das halte ich für äußerst wertvoll. Jungen gibt es nämlich genug, da braucht nicht noch ein Mädchen ein halber Junge zu sein. Das warst Du aber in Berlin. Ich bemerkte diese Veränderung schon aus Deinen Briefen. Deshalb setzte ich alles daran, nach Stuttgart zu kommen, und deshalb freue ich mich so sehr auf unser nächstes Zusammensein, weil ich Dich als Mädel schätze und – liebe. ...
Was die Hauswirtschaft anbetrifft, als Kindergärtnerin brauchst Du sie bestimmt. Aber ich glaube, Du willst nicht als alte Jungfer sterben, sondern selbst einmal einen Haushalt führen. Wenn Du jetzt gründlich Haushaltsführung lernst, kannst Du das im Leben mindestens ebenso gut gebrauchen wie Kinderpsychologie. Es ist natürlich schwer für Dich, jetzt Dienstmädchen zu spielen, das ist aber ein Kurzschluss. Auch mir ging es bei Siemens gegen die Ehre, als Abiturient ebenso mit „Du“ angeredet zu werden, wie die anderen Lehrlinge, die „nur“ die Volksschule besucht hatten. Doch dann merkte ich, dass diese Volksschüler mich verdreschen konnten, dass sie im Praktischen zum Teil besser waren als ich und dass einige von ihnen prima Kameraden waren. Und heute freue ich mich, dass ich diese Lehre gemacht habe. Denn ich kenne die Probleme und Sorgen dieser Leute, wenn ich später mal Betriebsingenieur bin. Deswegen bin ich für diese Zeit so dankbar, wenn ich auch offen sage, dass ich sie nicht noch einmal machen möchte. Doch genug davon. Ich wollte Dir nur sagen, dass ich Dich als Kindergärtnerin ebenso gern habe wie jetzt als Dienstmädchen. Und Du hast ja auch mit mir getanzt, als ich noch Lehrling war.
Schreib mir nur recht oft, denn ich freu’ mich doch so toll über jede Nachricht von Dir. Ich denke immer an Dich und unser Zusammensein. ... Meine liebe Diethild, sei recht herzlich gegrüßt von Deinem Wolfgang
Stuttgart, den 25. 5. 53, Lieber Wolfgang!
... Ich glaube, Du hast mich ein bisschen falsch verstanden, wenn Du glaubst, ich hielte mich zu fein für die Arbeit. Es ist nur verletzend, wenn man nur als minderwertiger Mensch, als blöde Unschuld vom Lande angesehen wird. Dabei könnte ich es geistig mit allen Frauen in unserem Hause aufnehmen, nur in Haushaltsführung nicht. Ich bin so froh, dass ich jemanden wie Dich habe, dem ich alles auspacken kann, weil ich das Gefühl habe, Du verstehst mich.
Heute war ich wieder mal wütend: Wir haben abscheuliches Regenwetter, und der Gärtner, ein alter Mann von 65 Jahren bekam bei uns Mittag. Frau Barth sagte zu mir: „Sehen Sie doch mal nach, ob es gerade regnet, sonst bringen Sie ihm die Suppe hinaus.“ Stell Dir vor, in der Nässe und Kälte auf so ‘nem dreckigen triefenden Gartentisch sollte der alte Mann essen. „Er sitzt doch sonst auch an dem Tisch“, hieß es. Und warum das alles? „Er hat so dreckige Schuhe.“ Da solltest Du mal sehen, mit welchen Dreckquanten die Kinder durch die frisch geputzte Küche latschen. Und wie sorgfältig der alte Mann seine Stiefel an einem Bodenlappen abputzt. Ich glaube, ich muss wieder in die DDR, wenn ich ab und zu solche kommunistischen Anwandlungen bekomme.
Viele herzliche Grüße und viele gute Wünsche Deine Diethild
Berlin, den 6. 6. 53, Meine liebe Diethild!
... Am Abend hatten wir ein edles Lagerfeuer mit Erzählungen von Fahrten und dann ging ich drei Stunden mit Kaekke durch die Gegend. Weißt Du, es ist schön, solch einen Freund zu haben. Und wir hatten uns viel zu erzählen, ich von meiner Fahrt und von Dir, ich hatte ja nicht nur viel gesehen und erlebt, sondern vor allen Dingen viel nachgedacht, auch über Dich und mich. Kaekke hatte in dem Heim, wo er hospitiert, so viel gesehen und erlebt, dass er den Entschluss gefasst hat, Pfarrer zu werden. Du wirst Dir denken können, dass die drei Stunden wie im Fluge vergingen. Aber solche Abendstunden, wo man hinterher nicht mehr weiß, wer gesprochen hat, der Freund oder ich, gehören zu den schönsten Erinnerungen. ... Sei ganz herzlich gegrüßt von Deinem Wolfgang
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