Sei herzlich gegrüßt von DeinemWolfgang
Berlin, den 23. 8. 53, Meine liebe Diethild!
... In den letzten Tagen habe ich alle Deine früheren Briefe noch mal gelesen. Aber obwohl sie alle notwendig sind als Glieder in einer Entwicklung, atmen sie noch unsere Pfadfinderkameradschaft, wenn sie auch etwas enger geworden war. Dieser Abend in Endorf, dieser wunderbare Abend heute vor zwei Wochen – mir ist, als lägen Monate dazwischen – war ja noch nicht gekommen. Diese Briefe sprechen von diesem und jenem, sie sprechen vielleicht sogar von der Sorge um den anderen, aber sie sagen nichts von unserer Liebe. Und diese wird jetzt über jedem Brief stehen, ja durch sie wird es jedes Mal ein Fest sein, wenn wir wieder einmal zusammen sein dürfen.
Wir beide wissen, dass wir uns gerne haben, dass wir über die Pfadfinderkameradschaft hinaus gewachsen sind. Doch müssen wir auch sehen, dass unsere Liebe noch wachsen und immer stärker werden muss, damit sie allen Bewährungsproben standhält. Ich meine, dass in der Zeit, die vor uns liegt, unsere Liebe immer wieder auf die Probe gestellt werden wird. Eine große Zerreißprobe ist schon, dass wir so weit voneinander entfernt sind, dass wir uns kaum einmal zu Gesicht bekommen. Aber ich glaube, und Du weißt ja, dass mir nichts so fern liegt, wie das Unken, dass dies nicht die einzige Probe bleibt. Erstens werden an jeden von uns Anfechtungen heran treten, die etwas ins Ohr flüstern. Und zweitens wird es Menschen genug geben, die unsere Verbindung verurteilen. Ganz sicher weiß ich, ich habe Dich fest im Herzen. Und ich bin Dir unendlich dankbar, dass Du Dich dafür gegeben hast.
Ich kann heute Abend nichts anderes mehr schreiben, ich kann Dich nur bitten: bete für mich. Es ist so schön zu wissen, dass ein geliebter Mensch für einen betet. Ich tue es für Dich schon lange. Ich weiß nicht, ob morgen Post von Dir kommt, ich schreibe dann noch mal. Heute voll tiefer Liebe Dein, immer DeinWolfgang
Endorf, den 25. 8. 53, Mein lieber, lieber Wolfgang!
Nachdem ich heute Deinen lieben Brief erhielt, für den ich Dir so dankbar bin, habe ich keine Ruhe mehr, ich muss Dir heute Abend noch schreiben. Ich habe Dich ja so lieb und möchte Dir nie wehtun. Könntest Du doch all die Gedanken empfinden, die immer, immer zu Dir gehen! Es fällt mir doch so schwer, über mein Innerstes zu sprechen und zu schreiben. Weißt Du, es ist alles so nie bisher gekannt, so neu. Eines weiß ich ganz gewiss, dass ich keinen Menschen so liebe oder geliebt habe wie Dich. Ich kann mir auch nichts denken, was mächtig genug wäre, die Liebe zu Dir aus mir heraus zu reißen, solange Du Dir treu bleibst. Und das wirst Du, das glaube ich ganz fest. Und auch Du wirst mir immer unsichtbar zur Seite stehen, wenn ich einmal in eine Versuchung komme.
Ich liebe Dich schon sehr lange, freilich nicht so tief wie heute. Damals hielt mich immer eine Scheu davon ab, Dir einen noch so kleinen Einblick in mein Innenleben zu geben. Ich meine, zu der wahren, echten Liebe gehört doch auch die Sorge für den anderen, die Du als ein Stück Kameradschaft ansiehst. Wer soll denn sonst für Dich sorgen? Ich bin doch in Gedanken immer wieder bei Deinen Problemen.
Wenn ich denke, dass die Zehlendorfer Pfadfinderinnen Dich jeder Zeit sehen können, kann ich nur mit Mühe den Neid unterdrücken. Ich muss wohl noch viel lernen, Geduld zu haben. Ich möchte Dir immer mehr von mir geben, aber ich habe kaum noch etwas, das Du nicht schon besitzt. Dass Du für mich betest, erfüllt mich mit Freude und Dank. Was kann mir noch Schlimmes widerfahren? Der Gedanke daran macht mich ruhig und zuversichtlich. Ich bete auch schon lange für Dich. ... Ich habe Dich immer lieb und bin nur DeineDiethild
Berlin, den 29. 8. 53, Mein liebes Mädel!
Für Deinen Brief zu danken, fehlen mir die Worte. Ich habe ihn immer und immer wieder gelesen, solche Freude brachte er mir. Weißt Du, solche Briefe sind kostbare Perlen. Wenn es aber der Perlen viele gäbe, verlören sie an Wert. Wäre alle Tage Sonntag, wüsste man ihn nicht zu schätzen, aber man liebt sich ja auch die Woche über. Versteh mich bitte recht: Schon die früheren alltäglichen Briefe waren – nur für uns beide erkennbar – Zeugnisse unserer Liebe. Es ist schwer zu sagen, wann ich zum ersten Mal wusste, dass ich Dich liebe. Ich weiß, dass ich früher schon lieber mit Dir tanzte als mit den anderen, ganz bestimmt aber fing ich bei unserem Tanz in Stuttgart Feuer, und klopfenden Herzens hauchte ich zum Abschied einen Kuss auf Deine Lippen. Als Du dann liebevoll meine Wange streicheltest, war ich glücklich. Davon lebte ich bis Endorf, dem Höhepunkt unserer Liebe.
Ich glaube, zur wahren, echten Liebe gehört, dass man sich vollständig kennt, bevor man sich entschließt, ein Leben lang miteinander zu gehen. Und deshalb ist die uns aufgetragene Wartezeit sehr gut. Was weißt Du schon von mir, was weiß ich von Dir? Es gehört sehr viel dazu, sich immer tiefer in das Wesen und die Art des anderen zu versenken, ehe man vor den Altar tritt, um dem anderen auch das letzte, das „Ich“ zu geben. Meine liebe Diethild, hab‘ immer wieder Dank für Deine Liebe. Wenn Du wüsstest, was Du mir damit geschenkt hast.
Ich wünsche Dir weiter alles Gute, ach, wenn ich Dich jetzt nur einmal küssen könnte! In Liebe, DeinWolfgang
Stuttgart, den 31. 8. 53, Mein lieber Wolfgang!
... Wie Du siehst, bin ich wieder in Stuttgart. Der Heimweg im Auto war wunderschön. Es soll ja Menschen geben, die behaupten, die Welt und das Leben seien nicht mehr schön. Die Armen! Es gibt an der Autobahn so viele, viele Schönheiten zu sehen, und ich habe es sehr bedauert, dass wir mit 120 Sachen daran vorbei gebraust sind. ... Jetzt ist es schon wieder 1 Uhr. Für diesmal viele, viele gute Wünsche für alles, was Du tust, und sei vielmals in Liebe gegrüßt von Deiner Diethild
Berlin, den 2. 9. 53, Meine liebe Diethild!
... Die Tanzstunden gehen wieder los. Denkst Du noch an den ersten Tanzkurs, bei dem Ihr uns auf den Leim gingt, und wo wir dann EMP aus Euch machten? ... Übrigens führe ich die Siedlung Ernst-Moritz Arndt wieder, da sie ohne meine Führung noch schlimmer dahin gedümpelt ist als vorher. Wir wollen einen neuen Anfang versuchen. Kaekke gab mir den wesentlichen Rat: „Versuche Schwierigkeiten nicht selbst zu lösen, sondern besprich sie mit uns. Wir stehen zu dir und können dir helfen oder zumindest raten.“ Da begriff ich, was ich bisher falsch gemacht hatte, aus Unsicherheit hatte ich gemauert. Nun von Herz zu Herz liebe Grüße, Dein Wolfgang
Stuttgart, den 4. 9. 53, Mein lieber Wolfgang!
... Du bist, wie eine Mumie, die vor 10.000 Jahren schief gewickelt wurde, sich aber bis heute weigert, sich wieder gerade wickeln zu lassen. Glaubt doch endlich mal, dass es Eurer Tanzstunde nicht bedurft hätte, dass wir EMP wurden. So unwiderstehlich wart Ihr ja nun auch wieder nicht als Tanzstundenjünglinge. ... In Wirklichkeit bin ich ja gar nicht so aggressiv, aber Du hast mich doch mächtig in Harnisch gebracht. Das musste ich erst mal postwendend abreagieren. Also bitte, nimm mir nichts krumm, ich hab Dich ja so lieb! Deine Lästereien nehme ich natürlich auch nicht ernst, wie ich Dich überhaupt nicht ernst nehme, ... Und nun 1.000 liebe Grüße und gute Wünsche, Deine Diethild
Berlin, den 6. 9. 53, Mein liebes Mädel!
Eigentlich wollte ich Dir ja gar nicht mehr schreiben. Du hast mich nämlich in Deinem letzten Brief schwer gekränkt, weil Du neben meinen Lästereien auch mich nicht ernst nimmst. Zuerst wollte ich gleich in die Krumme Lanke gehen, aber dann fiel mir ein, dass ich ja zu dem Fest gebraucht werde, und so beschloss ich, mich furchtbar zu rächen. Ich holte Jutta Kohlmann zum Fest ab, um ihr dadurch für ihre Mühe mit meinem Kostüm zu danken. Sie hat es nämlich genäht. Dann flatterte ich von Blume zu Blume wie ein Schmetterling. Aber damit nicht genug. Ich brachte dann Jutta nach Hause. Und heute Nachmittag hatte sie drei Mitschülerinnen da, mit denen ich mich angeregt unterhalten habe. Mutter Kohlmann plant wieder ein Hausfest mit Tanzabend. Dazu sollen die Mädels kommen und außer mir noch einige Jungen. Du siehst also, dass mich andere ernst genug nehmen.
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