„Geht es wieder?“, fragt mich Vroni freundlich.
Ich nicke. „Geht schon, aber wir werden jetzt auch fahren.“
„Ok…schade, ihr kommt uns doch wieder besuchen?“
„Sicher.“ Ich sehe Maxi an. „Schon oder?“
Der nickt und lächelt auch wieder. Dann gehe ich zum Wagen und mache ihn im Kindersitz fest. Anton sieht über den Hof zu mir, aber ich ignoriere ihn. So wird das nicht funktionieren. Schnell steige ich ein und fahre los. Er winkt mir zwar zu als ich an ihm vorbei fahre und ich erwidere es auch, mein Blick dürfte meine Stimmung jedoch recht gut zur Geltung gebracht haben.
Zu Hause angekommen, ist Maxi auch wieder ganz vergnügt, so als wäre nichts gewesen. Leopold steigt gerade in den Traktor.
„Darf ich mit Onkel Leopold mitfahren?“, fragt er mich beim Aussteigen.
„Ich weiß nicht, tut es gar nicht mehr weh?“, meine ich schmunzelnd und zeige auf sein Knie.
Er schüttelt den Kopf.
„Ich mag nicht wenn du mich trittst Maxi. Das tut mir weh.“ Sanft streiche ich durch seine Haare.
„Ich weiß…“, sagt er leise.
Schnell nehme ich ihn in den Arm. „Sollen wir Leopold fragen ob er dich mitnimmt?“
Er nickt und reibt seine Wange an meiner, ich winke meinem Bruder, er hält neben mir.
„Kannst du Maxi mitnehmen?“
„Ja sicher, er ist doch mein wichtigster Helfer.“
Maxi strahlt, ich gebe ihm noch einen Kuss, bevor ich ihn zu Leopold hochhebe. Ich brauche jetzt erst einmal eine Dusche. Während ich das warme Wasser über meine Schultern laufen lasse denke ich nach. Ich will nicht, dass sich jemand in die Erziehung von meinem Kind einmischt, schon gar nicht so. Er wird kein Weichei werden, nur weil ich liebevoll mit ihm umgehe. Ich steige aus der Dusche und trockne mich ab, dann schaue ich in den Spiegel. Was will ich denn eigentlich? Keine Ahnung, aber ich weiß, dass ich genau jetzt endlich etwas loswerden muss. Ich binde meine Haare zusammen, schlüpfe in meine weiße Jeans und ein passendes Shirt und gehe nach unten.
„Ich muss noch wohin, Maxi ist mit Leopold unterwegs, kannst du auf ihn aufpassen falls ich später noch nicht zurück bin?“, frage ich Mama die gerade Rechnungen studiert.
„Ja sicher. Lass dir Zeit.“
Ich steige ins Auto und fahre los. Ohne weiter darüber nachzudenken. Es muss jetzt sein. Sehr überzeugt das jetzt durchzuziehen, steuere ich den Wagen vorbei am Badesee den Berg hinauf. Kurz bevor ich ankomme packen mich aber dann doch die Zweifel. Ich halte an und schließe meine Augen. Will ich wirklich mit ihm reden? Alles aussprechen worüber ich seit Tagen nachdenke? Ihm endlich ordentlich die Meinung sagen? Allein beim Gedanken an ihn kribbelt es in meinem Bauch. Sooft war ich in diesem Haus da oben. Einen Sommer lang. Bis mit einem Schlag alles vorbei war. Ich erinnere mich an das letzte Mal als ich als ich gemeinsam mit ihm dort oben war.
Es war wieder ein Montag. Ich kam aus der Dusche in ein Handtuch gewickelt in Markus Zimmer. Es war kurz nach acht Uhr morgens glaube ich. Er lag im Bett und schlief immer noch, nicht ganz zugedeckt, bei dem Anblick wäre ich am liebsten wieder zu ihm hinein gekrabbelt. Ich öffnete den Vorhang, er streckte sich durch und blinzelte in den hellen Raum.
„Aufstehen Schlafmütze!“, rief ich euphorisch.
Ich beugte mich über ihn und küsste ihn sanft. Schnell zog er mich zu sich und schob seine Hände unter das Handtuch. Kichernd wehrte ich mich.
„Nein…das geht jetzt nicht…Ich muss heute ein paar Sachen erledigen und ich hab schon geduscht…“
Er vergrub seine Nase in meinen Haaren und ließ mich nicht los.
„Ahhh…du riechst so gut…ist doch egal…duschen wir eben noch einmal gemeinsam…“, murmelte er in meinen Hals.
„Geh Markus…das geht nicht… ich muss um neun bei meiner Tante sein, du weißt doch die Dauerwelle…“
Einerseits war ich froh meiner Verwandtschaft die Haare machen zu können, das war eine tolle Zusatzeinnahmequelle und bei meinem gestressten Budget sehr hilfreich, aber ich wäre wirklich lieber wieder mit ihm ins Bett gegangen. Fast klappte es auch. Das Handtuch nahm er mir schon erfolgreich weg, ich schmiegte mich an seinen nackten Körper, aber als er mich schon auf sich ziehen wollte, sprang ich schnell aus dem Bett.
„Du bist echt unersättlich…“, mahnte ich ihn gespielt und schnappte mir sein Shirt neben dem Bett in das ich schnell schlüpfte.
Er zog sich die Decke über den Kopf und seufzte laut.
„Los ab unter die Dusche mit dir, ich mach Frühstück“, befahl ich und kitzelte ihn am Zeh.
„Ich kann so nicht aufstehen, ich muss erst das Zelt unter der Decke wieder abbauen.“
Schnell zog ich ihm die Decke weg.
„Du bist so ein Blödmann…“, lachte ich und hopste in die Küche.
Ich war so gut drauf, so glücklich und ausgelassen. Alle Sorgen und Probleme der vergangenen Monate waren ganz weit weg. Markus konnte sein Zelt scheinbar erfolgreich abbauen, ich hörte das Wasser in der Dusche laufen und ihn ein Liedchen pfeifen. Ich machte das Radio an und kochte Kaffee. Gerade als ich in den Kühlschrank schaute, traf mich fast der Schlag.
„Guten Morgen.“
Ich drehte mich langsam um. Hinter mir stand ein geschätzt fünfundvierzig Jähriger dunkelhaariger Mann im Anzug und sah mich befremdlich an. Er schien genauso überrascht über meine Anwesenheit in diesem Haus zu sein, wie ich über seine. Immer noch erschrocken fiel mir ein, dass ich lediglich Markus Shirt trug, ich war mir nicht sicher wieviel man von meinem nackten Unterleib sehen konnte. Verlegen zupfte ich am T-Shirt und war bestimmt dunkelrot im Gesicht.
„Guten Morgen…“, stammelte ich und konnte ihn vor lauter Scham gar nicht ansehen.
„Und sie sind?“, fuhr er fort.
„Teresa…Teresa Lorenz.“
Plötzlich hörte ich Markus durch den Flur kommen, was mich ziemlich erleichterte.
„Papa?“
Er stand in ein Handtuch gewickelt in der Tür, zum Frottieren seiner Haare hatte er wohl keine Zeit, denn ihm tropfte das Wasser vom Kopf. Schnell nutzte ich die Chance und lief aus der Küche, vorbei an Markus, der auch ziemlich überrascht aussah. Ich verschwand in seinem Zimmer und zog mich an. Draußen hörte ich Markus Vater reden. Erfreut meine Bekanntschaft gemacht zu haben schien er nicht. Sein Ton Markus gegenüber klang eher vorwurfsvoll, aber er sprach leise, also konnte ich nicht wirklich etwas verstehen. Er hatte scheinbar irgendwelche Unterlagen vergessen und war deshalb gekommen. Schnell packte ich meine Sachen zusammen und ging etwas nervös aus dem Zimmer. Wieder sah mich Herr Strasser sehr musternd an. Ich ging zu ihm und reichte ihm höflich die Hand.
„Entschuldigung. Teresa Lorenz.“
Ich lächelte freundlich, seine Miene blieb allerdings eisig. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Ich überlegte kurz, aber es fiel mir nicht ein. Er war ein großer Mann mit furchteinflößendem Blick. Das gute Aussehen hatte Markus zwar von ihm geerbt, seine Art aber zum Glück nicht.
„Ich geh jetzt besser“, sagte ich zu Markus, der nichts zu entgegnen wusste und nur nickte.
Wieder fielen mir die abfälligen Blicke seines Vaters auf, als ich das Haus verließ. Das sollte der letzte Besuch in Ferienhaus der Familie Strasser gewesen sein. Danach änderte sich ganz schlagartig alles.
„Ich kann das nicht…“, sage ich für mich selbst und starte den Motor.
Gerade als ich wenden will erscheint auf einmal Markus im Rückspiegel. So wie es aussieht kommt er gerade vom See. Er quält sich sehr mühsam den Berg herauf, sein Knie scheint ordentlich wehzutun. Ich reibe mir die Stirn.
„Scheiße…“, murmle ich für mich selbst.
Da steht er auch schon neben dem Wagen und klopft an die Scheibe. Ich atme durch und öffne sie.
„Du fährst aber nicht schon wieder, oder?“
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