„Mama…“, murmelt Maxi am Rücksitz.
„Wir fahren schon…“, beruhige ich ihn.
Anton streicht über meinen Oberarm. „Bis bald.“
„Ja…bis bald.“
Dann steige ich ein und fahre los. Nach der ersten Kurve ist Maxi schon eingeschlafen. Nach dem Kuss waren Anton und ich ein Paar. Ich war knapp siebzehn. Ein paar Wochen später haben wir dann auch miteinander geschlafen, es war mein erstes Mal. Es war nicht so toll. Anton war recht schnell fertig und ich geschockt weil es ziemlich weht tat. Fast sechs Jahre waren wir dann zusammen. Mit Hochs und Tiefs. Vielen Tiefs. Vor allem die letzten zwei gemeinsamen Jahre waren echt schlimm. Zumindest habe ich das so in Erinnerung. Bis das Arschloch Marco kam. Ich habe Anton betrogen, heute tut mir das Leid, was auch immer zuvor war, er hatte es nicht verdient, niemand hat so etwas verdient, es war sehr dumm von mir. Keine Ahnung wonach ich suchte, eventuell nach der Leidenschaft, die er mir gegenüber nicht aufbringen konnte. Womöglich auch nach der großen Liebe, doch die gibt es nicht. Vielleicht sollte ich wirklich einmal vernünftig sein und über sein Angebot nachdenken. Wenn es schon nicht die große Liebe ist, er wäre mit Sicherheit zuverlässig und würde sich bestimmt gut um uns kümmern. Ich schüttle den Kopf.
„Mein Gott was ist denn mit dir Resi…“, murmle ich für mich selbst, während ich einparke. Leopold kommt gerade aus dem Weinkeller.
„Na da hat aber einer ordentlich gefeiert, was?“ Er schaut schmunzelnd auf den schlafenden Maxi. „Ich nehme ihn“, bietet er mir sofort an.
Heute fällt das Baden und Zähneputzen ausnahmsweise aus. Leopold legt ihn ins Bett und ich ziehe ihm die Decke über die Schulter. Er schläft so fest und bekommt davon gar nichts mit. Ein paar Augenblicke schaue ich ihn noch an, dann lösche ich das Licht und gehe ins Badezimmer. Unter der Dusche denke ich über Antons Worte nach, doch ich kann nicht nachdenken, nicht so lange mir ständig Markus Lächeln in meinen Gedanken einen Strich durch die Rechnung macht. Wieder sind die Szenen des gemeinsamen Sommers allgegenwärtig. Es war ein traumhafter Sommer. Mit ihm. Wir trafen uns sooft es ging, auch wenn er immer wieder irgendwelche Ausreden bei seinem Vater erfinden musste um das Training zu schwänzen. Zumeist am Wochenende, manchmal aber auch unter der Woche. Ganz oft haben wir die Sonntagabende und den Montag gemeinsam verbracht. Montags war der Frisiersalon geschlossen und ich hatte frei. Wir kochten gemeinsam und er versuchte mühsam mir das Kraulen im Badesee beizubringen, leider relativ erfolglos. Ich war ein hoffnungsloser Fall was das Erlernen dieser Technik betraf. Manchmal lagen wir auch einfach nur im hohen Gras und redeten über alles Mögliche, dann kuschelte ich mich ganz fest an seine Brust. Die Nächte waren kurz und intensiv, ich konnte nicht genug von ihm bekommen und ich glaube ihm ging es auch nicht anders. Jede seiner Berührungen und Zärtlichkeiten war perfekt. Niemals hatte ich das Gefühl er könnte etwas tun das mir nicht gefällt. Alles gefiel mir. Einfach alles. Er gefiel mir. Seine Art, sein Wesen, sein Lächeln, sein Humor, seine Schüchternheit, sein Körper, all das und noch viel mehr. Ich war verliebt. Unglaublich verliebt. Oft erwischte ich mich dabei darüber nachzudenken, was nach diesem Sommer sein wird. Dann bremste ich mich selbst ein. Ich nahm mir vor es auf mich zukommen zu lassen, ich wollte ihn einfach nur fühlen, spüren und lieben. Und ich wollte ihn auch nicht fragen, ob er das Gleiche für mich empfindet. Ich hatte Angst vor seiner Antwort und wollte nicht enttäuscht werden. Für den Augenblick war es gut so wie es war, auch wenn ich viel mehr wollte, doch ich wusste nicht was er wollte.
Ich drehe das Wasser in der Dusche ab. „Es war gut….Es war gut…“, seufze ich und trockne mich ab.
Ich kehre gerade von einem langen Spaziergang gemeinsam mit Maxi zurück. Heute habe ich ihn einmal nur für mich ganz allein. Wir haben die Pferde auf der nahegelegenen Koppel besucht und jetzt bekommen die Schafe noch ein bisschen altes Brot. Ich überlege schon den ganzen Tag, ob ich nicht doch zu Markus fahren soll, aber ich weiß nicht was es bringt wenn wir reden und in der Vergangenheit wühlen. Es ist vorbei. Lange vorbei. Ich mag mich nicht mehr kränken und darüber nachdenken.
„Mama schau…der Anton…“, Maxi zupft an meinem Shirt.
Anton steuert über die große Wiese auf uns zu. Er meint es also wirklich ernst, anders ist seine permanente Anwesenheit in unserer Nähe nicht zu erklären. Ich weiß allerdings noch nicht ob ich das gut finden soll. Es ist eher so, dass ich mich überrumpelt fühle.
„Hey ihr zwei!“, ruft er uns entgegen.
„Hallo…“, begrüße ich ihn nicht besonders euphorisch.
„Schlechte Laune?“, fragt er mit hochgezogenen Augenbrauchen.
Ich schüttle den Kopf und versuche zu lächeln.
„Ich habe deiner Mutter das bestellte Fleisch vorbei gebracht und da dachte ich Maxi hat vielleicht Lust ein bisschen Fußball zu spielen?“
Jetzt ziehe ich die Augenbrauen hoch, aber Maxi ist sofort begeistert. Ich seufze für mich selbst. Na dann…Ich hasse Fußball spielen, wenigstens muss ich mich dann nicht an den Ball. Anton und Maxi gehen voraus, ich hinterher. Ein paarmal dreht Anton sich um und lächelt mich an. Ich erwidere es, auch wenn es bei mir nicht die vermutlich von ihm gewünschten Gefühle weckt. Inzwischen die beiden spielen hänge ich noch die Wäsche auf und nehme die bereits getrocknete ab. Er kann wirklich gut mit Maxi umgehen, so viel steht fest. Sie haben viel Spaß, sogar Leopold spielt mit. Nachdem bis auf Maxi alle völlig außer Puste sind, bringt Leopold zwei Bier. Maxi fährt mit dem neuen Fahrrad, das er zum Geburtstag bekommen hat, im Hof herum. Ich beobachte alles aus sicherer Entfernung und falte dabei die Wäsche. Braucht Maxi einen Vater? Bis jetzt brauchte er keinen. Ich schaffte das allein. Doch wenn ich ihn so glücklich sehe überlege ich schon ob ein männlicher Part nicht doch wichtig für ihn wäre. Wenn ich mir einen Ruck gebe und mich öffne, könnte es vielleicht klappen. Ich mag Anton, und ich kenne ihn und er mich. Ja ich mag ihn und das ist der Punkt. Keine Ahnung ob ich ihn jemals wieder lieben könnte, ich weiß ja nicht einmal ob ich ihn jemals richtig geliebt habe, das ist alles so lange her. Doch was ist schon Liebe? Liebe bringt auch immer Leid mit sich. Womöglich ist eine Beziehung in tief verbundener Freundschaft viel mehr wert. Plötzlich steht Mama neben mir.
„Wie oft legst du das Handtuch jetzt noch neu zusammen?“, sie sieht mich schmunzelnd an.
Verlegen lege ich es zur Seite und lasse mich auf die Gartenbank fallen.
„Ich hab nachgedacht.“
Sie setzt sich zu mir. „Worüber denn?“
Ich zucke mit den Schultern.
„Ob Maxi einen Vater braucht“, murmle ich.
Sie lehnt sich zurück. „Anton und du?“
„Ich weiß es nicht Mama. Das ist alles lange her.“ Ich reibe mir die Stirn. „Vielleicht war es ein Fehler mich von ihm zu trennen. Damals hab ich eine ziemlich blöde Zeit durchgemacht.“
„Denk nicht über die Vergangenheit nach. Schau in die Zukunft und überleg was für euch gut ist. Nur wegen Maxi musst du das nicht tun. Du selbst solltest einmal glücklich sein.“
Ihre Worte überraschen mich. Ich war mir sicher sie würde eine Vernunftbeziehung mit Anton sofort befürworten.
„Ja du hast Recht Mama…Ich brauch ein bisschen Zeit.“
Inzwischen ist auch mein Vater nach Hause gekommen und hat sich zu den Männern gesellt.
„Machen wir für die Männer eine Jause. Du hast doch nichts dagegen wenn ich Anton zum Abendessen einlade?“
Ich schüttle den Kopf. Der freut sich natürlich über die Einladung meiner Mutter und spielt noch ein bisschen mit Maxi, während ich Mama helfe. Immer wieder beobachte ich die zwei im Garten durch das Küchenfenster. Irgendwie hat er sicher verändert. Er ist ruhiger geworden. Ich habe mich auch verändert.
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