Die Ablage in der kleinen Küche war mit schmutzigem Geschirr vollgestellt, das anschließende Bad roch muffig, danach folgte ein Raum mit einer Sitzgruppe, wohl der bevorzugte Aufenthaltsort für die Wachleute. Rasch kehrte er zurück zu Henry und gemeinsam verschnürten sie mit den mitgebrachten Textilklebebändern die drei bewusstlosen Männer, vergaßen auch nicht, sie sorgfältig zu knebeln. Danach gingen sie recht sorglos die Treppe hoch ins Obergeschoss.
»Noch drei Minuten«, sagte Jules nach einem Blick auf seine Armbanduhr zu Henry, denn sie hatten zuvor vereinbart, sich nicht länger als fünf Minuten im Gebäude aufzuhalten.
Oben betrat jeder von ihnen einen anderen Raum und sie begannen mit der Durchsuchung nach interessanten Akten oder Belegen. Rasch fanden sie heraus, dass die Personal Computer mittels Netzwerk mit einem Server verbunden waren. Jules fand ihn in einem der Nebenräume, schraubte ihn auf und entnahm die vier Festplatten, ließ sie in einem mitgebrachten Leinenbeutel verschwinden.
Einen stählernen, fast mannshohen Tresor ließen die beiden Männer unbeachtet. Es hätte viel zu lange gedauert, sein Schloss oder seine Panzerung zu knacken. Stattdessen wandten sie sich den vielen Schränken und Schubladen zu, rissen sie auf, wühlten darin herum und packten zusammen, was ihnen von Interesse schien. Auch Henry hatte einen Beutel dabei, der sich rasch füllte.
»Noch eine Minute, Abmarsch«, rief Jules laut, worauf sich Henry sogleich zu ihm gesellte. Gemeinsam knüllten sie irgendwelches Papier zusammen, warfen es auf einen Haufen. Darüber legten sie weiteres, brennbares Material, zwei Bürostühle, Aktenordner, einen wollenen Teppich. Jules zündete ein Streichholz an. Rasch züngelten Flammen empor, leckten nach den Sitzflächen der Stühle, die auch schon zu qualmen begannen.
Ohne Eile gingen die beiden Europäer die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Die drei Geknebelten waren mittlerweile erwacht und blickten ängstlich zu ihnen hoch. Jules holte ein Teppichmesser aus seiner Hosentasche und durchschnitt bei allen dreien die Klebebänder an den Fußgelenken. Die Wachposten taumelten mit ihrer Hilfe hoch und wurden von Henry und Jules widerstandslos nach draußen und auf die Gasse dirigiert. Hinter den Fenstern im Obergeschoss loderte bereits ein Flammenmeer. Eines davon stand offen und dichter, schwarzer Rauch quoll aus ihm heraus und in den Himmel empor. In der Ferne ertönte näherkommender Lärm einer Sirene. Ein aufmerksamer Nachbar hatte wohl bereits die Feuerwehr alarmiert.
Henry und Jules ließen die drei Mexikaner einfach stehen und machten sich mit ihrer Beute davon. Und während sie an der Mündung der Gasse zur Lerdo aus dem Blickfeld der Wachleute verschwanden, versuchten die drei immer noch, mit ihren Zähnen das Klebeband um ihre Handgelenke durchzunagen.
*
Auf ihrem Rückweg zum Café von Rodrigez betraten Henry und Jules ein recht nahe gelegenes, modernes Wohnhaus, in dem ihnen Manuel ein Appartement angemietet hatte. Sie zogen ihre Baumwollsachen und die Sandalen aus, schminkten sich ab und verwandelten sich zurück in europäische Weiße. Dazu gehörten sportliche Anzüge und polierte, schwarze Lackschuhe. Sie packten die gestohlenen Unterlagen in zwei Aktenkoffer und verließen das Haus wenig später in einem gemieteten schwarzen Mercedes mit amerikanischen Kennzeichen über die Ausfahrt der Tiefgarage.
Sie fuhren über die Good Neighbor International Bridge zurück in die USA. Die Zollbeamten prüften ihre Ausweise sehr genau, denn die beiden Europäer sahen mit ihren tiefschwarz gefärbten Haaren doch recht verändert zu den Abbildungen aus. Doch die Kontrolle der Passnummern über den Computer förderte nichts Negatives über die beiden an den Tag und so wurden sie durchgewunken.
Sie hatten sich am Tag zuvor ein Zimmer im Plaza Hotel genommen. Dort schlüpften sie erst einmal in bequeme Freizeitkleidung. Erst danach begannen die beiden, den Inhalt der beiden Aktenkoffer zu sichten.
Die vier Festplatten legten sie erst einmal beiseite. Ihr Inhalt war mit Sicherheit mit Passwörtern geschützt, eventuell sogar vollständig verschlüsselt. Ihnen sollte sich in den kommenden Wochen ein vertrauenswürdiger Spezialist in London widmen.
Die gestohlenen Papiere zeigten ihnen ein weites Feld verschiedenster Aktivitäten. Doch erst auf den zweiten Blick trat auch Verdächtiges ins Auge. Jules und Henry fanden Quittungen und Bankauszüge von fünf verschiedenen in Juárez ansässigen Firmen, einem Warenhaus, drei Restaurants und einer Wäscherei. Sie stellten sich gegenseitig Rechnungen aus, wohl zum Zweck der Geldwäsche beziehungsweise deren Vorbereitung. Von den Beträgen und Zeitpunkten her schien es, dass die Gelder ausschließlich von den drei Restaurants über die Wäscherei an das Warenhaus verschoben wurden.
Die mexikanische Steuerfahndung hätte bestimmt Freude an diesen Dokumenten bekundet. Für die Zwecke von Jules und Henry waren sie jedoch völlig wertlos, zeigten sie doch keinerlei Verbindungen hinüber in die USA. Höchsten die Bankverbindungen konnten ihnen unter Umständen nützliche Informationen liefern. Sie lauteten auf eine Filiale der früheren Wachovia Bank in El Paso. Die 1879 gegründete Bank verlor ihre Selbständigkeit im Zuge der Finanzkrise und wurde vor etwas über einem Jahr von Wells Fargo übernommen.
»Vielleicht können wir die Eigentümer der Firmen ermitteln und sehen dann etwas klarer«, meinte Henry aufmunternd.
»Die Hoffnung stirbt zuletzt«, entgegnete Jules ein wenig frustriert, »doch was haben wir von unserem Sonntagsspaziergang auch anderes erwarten können? Die Vielfalt an Indizien zeigt uns zwar, dass es sich um eine recht große Organisation handeln muss. So gesehen passt sie in unser Beuteschema. Doch wir stehen immer noch ganz am Anfang unserer Ermittlungen. Schau dir das hier an«, und damit pflückte er aus den Schriftstücken vor sich eines heraus und hielt es Henry vor die Nase. Auf dem Papier waren von Hand fünf Namen und daneben Beträge notiert.
»Bestechungsgelder?«
»Könnte durchaus stimmen. Wir werden die Liste erst einmal Manuel zeigen. Wer weiß, vielleicht kennt er einige der Leute?«
»Dann war unser Überfall ein Schlag ins Wasser?«
»Das werden wir erst wissen, wenn die Festplatten geknackt und ihre Inhalte analysiert sind. Bis dahin bleibt uns erst einmal wohl nur Manuel mit seinem Wissen und seinen Verbindungen.«
Sie verließen das Hotel zu Fuß, nahmen sich jedoch ein Taxi bis zum Grenzübergang Paso del Norte, gingen zu Fuß und als gewöhnliche Tagestouristen über die Brücke und suchten das Lokal von Manuel auf. Bei ihrem Eintreffen war das Café recht gut besetzt. Mexikanische Familien genossen Kuchen oder Eis, Limonade oder Kaffee, ließen den feierlichen Sonntagnachmittag gemütlich ausklingen. Henry und Jules setzten sich an einen Tisch nahe der Theke und wurden von Manuel erst einmal wie gewöhnliche Gäste mit Kaffee und Torte bewirtet.
Es dauerte über eine Stunde, bis endlich die letzten Einheimischen gegangen waren und sich die drei ungestört unterhalten konnten.
»Und? Hat’s funktioniert?«, die Stimme des ehemaligen Polizeipräfekten verriet neugierige Ungeduld.
Jules zog das Papier mit den fünf Namen und Beträgen aus der Jackeninnentasche und legte es ausgebreitet vor Manuel hin.
Der stierte auf das Blatt und pfiff dann leise durch die Zähne. Dann deutete er auf den ersten Namen, hinter dem ein Betrag von 5’000 Dollar stand.
»Emanuel Hernandoz ist der stellvertretende Bürgermeister von Juárez. Und das hier«, er deutete auf den zweiten Namen der Liste, Oswald della Padrosa, »ist der Polizeikommandant im dritten Revier. Bei den beiden nächsten bin ich mir nicht sicher, doch es könnten zwei Abgeordnete des Stadtrates sein. Doch ihre Namen sind recht häufig in und um Juárez. Dieser Fünfte hier jedoch, Rosaro Alamandera, der mit den siebzigtausend Dollar, den kenne ich nicht.«
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