»Sie haben noch vier Wochen. Sollten bis dahin nicht genug Freiwillige und auch nicht genug Gefangene vorhanden sein, werden wir uns nach jemandem umsehen müssen, der die Vorgaben erfüllt.« Er beugte sich vor, sah Pendleton in die Augen. »Und dann hilft Ihnen weder Cromwell noch Gott, glauben Sie mir, Sir. Es heißt, dass Oliver Cromwell mit Versagern nichts anfangen kann. Ich hoffe für Sie, dass Sie nicht seekrank werden. Gute Nacht, Sir.«
Mit Schwung drehte er sich um, stapfte aus dem Haus, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Nach den letzten Sätzen, die er zu Pendleton gesagt hatte, fühlte er sich wesentlich besser.
Churchtown, County Cork, September 1652
Die Glocken der Kirche von Churchtown hatten längst zu läuten aufgehört. Die meisten Dorfbewohner hatten den Friedhof bereits wieder verlassen. Laoise jedoch blieb auch dann noch an dem schmucklosen Grab stehen, als die Grube aufgefüllt war und selbst der Totengräber seine Schaufel schulterte und davon ging.
Sie starrte auf den Erdhügel, der jetzt ihren Verlobten bedeckte. Den einzigen Menschen, den sie auf dieser Welt noch gehabt hatte. Laoise war froh, dass Regen über die Ebene peitschte. Kalt liefen die Tropfen über ihr Gesicht und so musste sie nicht erklären, warum sie nicht weinte. Laoise hatte keine Tränen mehr.
Sie wusste nicht, wie viele Tage und Nächte sie durchgeweint hatte, nachdem sie die Conors´ Leiche gefunden hatten. Eigentlich wusste sie gar nicht so genau, wie viel Zeit vergangen und was in dieser Zeit passiert war. Alles lag wie im Nebel und in ihrem Inneren war es kalt und leer. Das Herz war zu Stein geworden. Es war ja auch niemand mehr da, den es hätte lieben können. Ihre Seele fühlte sich zerfetzt an, als hätte man ihr einen Teil davon bei lebendigem Leib herausgerissen. Sie atmete, sie aß, sie trank. Manchmal schlief sie sogar ein wenig. Aber sie lebte nicht mehr. Es war, als wäre sie mit Conor gestorben.
Die Murphys waren die Letzten, die noch am Tor des Kirchhofs standen und zögerten zu gehen. Sie hatten Skrupel, die junge Frau ganz allein zu lassen.
Schließlich gab Gail Murphy, Seans Frau, sich einen Ruck und ging zu ihr hin, legte einen Arm um die schmale Taille des Mädchens.
»Komm, Kind. Du kannst nicht hierbleiben.« Mit sanfter Gewalt führte sie Laoise, die immer noch steif und wie erstarrt wirkte, von Conors Grab weg. Als sie an Sean vorbei kam und sicher sein konnte, dass er es hörte, fügte sie mit Nachdruck hinzu: »Du kommst erst einmal mit zu uns. Bis du dich gefangen hast und weißt, wie es weitergehen soll.«
Sean biss die Zähne zusammen. Sie konnten jetzt schon kaum die Familie ernähren. Noch jemanden durchzufüttern kam eigentlich nicht in Frage. Aber als guter Katholik wäre ihm nicht in den Sinn gekommen, eine Nachbarin abzuweisen, die Hilfe brauchte.
Wenig später saßen die Murphys um den Küchentisch ihres schäbigen Hauses. Im Ofen brannte ein Feuer, Gail hatte jedem Tee eingeschenkt und die Kälte wich langsam aus allen Knochen.
Laoise jedoch fror immer noch. Weil die Kälte, die sie empfand, aus dem Inneren kam. Immerhin aber lichtete sich langsam der Nebel, der ihre Gedanken umfangen hatte, sodass sie hörte, wie Sean sie ansprach.
»Hast du dir Gedanken gemacht, wie es weitergehen soll, Laoise? Ich meine … du bist ja so jung und kräftig. Du könntest in die Stadt gehen, dort Arbeit finden. Alleine wirst du den Hof nicht halten können und Hilfskräfte kann sich hier niemand leisten.«
»Hörst du jetzt auf, du ungehobelter Klotz!« Es klatschte vernehmlich, als Gail ihrem Mann auf den Hinterkopf schlug. »Das Mädchen hat gerade ihren Verlobten verloren, eine Familie hat es auch nicht und du versuchst schon, es loszuwerden?« Beruhigend tätschelte sie Laoises Schulter. »Mach dir keine Sorgen, mein Kind, du kannst so lange bei uns bleiben, wie du willst!«
»Bring mir schießen bei.«
Sean verschluckte sich an seinem Tee. Urplötzlich hatte Laoise ihm in die Augen gesehen und ihre Forderung kam emotionslos und bestimmt. Er keuchte, stellte seine Tasse ab.
»Was sagst du?«
»Bring mir Schießen bei«, verlangte sie erneut. »Ich weiß, wozu ihr die Waffen habt und ich werde mich dieser Sache anschließen. Die elenden Engländer haben mir meine Zukunft genommen. Und bevor sie mir auch mein Leben nehmen, werde ich so viele von ihnen mitnehmen, wie ich kann!«
Cork, Oktober 1652
» Dort müsst ihr beide euch melden.« Der Sergeant der kleinen Truppe zeigte auf eine Tür. »Der Stadtkommandant wird dann alles Weitere in die Wege leiten.«
Farrell ließ die Zugriemen des Karren von den Schultern gleiten. Seine Schultern schmerzten von den Riemen und der Anstrengung. Er war erschöpft, sehnte sich nach einem Bett, doch er riss sich zusammen.
»Danke, Sir.«
»Nichts zu danken, Mister. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Frau viel Erfolg in Virginia.«
Bidelia nahm die Hand ihres Mannes. Sie war, genau wie Farrell, erschöpft, aber glücklich, endlich in Cork angekommen zu sein. Dass sie den Trupp Soldaten getroffen hatten, war ein Glücksfall gewesen.
Man hatte sie drei Tagesmärsche vor Cork angehalten. Bidelia hatte Angst gehabt, dass man ihnen das Letzte, was sie noch hatten, auch wegnehmen würde, aber der Sergeant war sehr freundlich gewesen.
»Wohin des Weges?«, hatte er sich erkundigt.
»Nach Cork, Sir, wir wollen uns dort einschreiben, um nach Virginia zu reisen.«
»Dann wollen Sie also dort als Siedler neu beginnen?«
»Ja, Sir.«
»Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn wir Ihren Karren durchsuchen. Nicht, dass wir Ihnen nicht trauen, aber es ist Vorschrift.«
Bidelia hatte zu zittern begonnen, als sie sah, wie drei mürrisch aussehende Soldaten sich näherten.
»Sir, ich verstehe Ihre Bedenken und auch die Vorschriften, aber wir sind nur Siedler auf dem Weg nach Cork.«
»Sehen Sie, Mister, ich persönlich würde Ihnen glauben, aber ich muss mich an das halten, was man einen Befehl nennt. Und glauben Sie mir, wir werden behutsam vorgehen und darauf achten, dass Ihrer Habe nichts geschieht.«
In der Tat wurde der Karren zwar gründlich, aber auch sehr vorsichtig durchsucht. Bidelia war nur froh, dass das Geld, das sie unterwegs verdient hatten, in ihrem Mieder steckte. Sie traute den Engländern nicht.
»Nun, Mister, es wäre uns eine Freude, Sie und Ihre bezaubernde Gattin nach Cork zu begleiten. Wir sind auf dem Rückmarsch und so sind Sie vor vagabundierenden Rebellen geschützt.«
Mit Freuden hatte Farrell zugestimmt. Sie hatten sich den Soldaten angeschlossen und waren so ohne weitere Zwischenfälle nach Cork gelangt.
Als die Soldaten abgezogen waren, sah Bidelia ihrem Mann in die Augen.
»Jetzt wird es also ernst, oder?«
Farrell nickte.
»Ja.«
Er sah sich um. Vor der Tür standen zwei Wachen, von denen sich eine näherte.
»Kann ich behilflich sein, Mister?«
»Nein. Ja. Vielleicht«, stammelte Farrell.
Der Mann lachte.
»Können Sie sich nicht entscheiden? Ich habe mitbekommen, dass Sie sich als Siedler für Virginia vorstellen wollen.«
»Ja, das wollen wir.«
»Nun, Mister, dann müssen Sie dort hinein. Wenn Sie sich um Ihre Habe sorgen, dann kann ich Sie beruhigen. Stellen Sie den Karren dort«, er zeigte auf eine Stelle neben dem Haus, »ab, dort haben wir ihn im Auge und ich versichere Ihnen, dass nichts abhandenkommen wird.«
Wenig später standen Bidelia und ihr Mann im Büro von Walther Pendleton. Die junge Frau fühlte sich in Gegenwart des fetten Mannes unwohl, der sie mit einem seltsamen Glitzern in den Augen ansah. So, als wenn er sie mit Blicken ausziehen wollte. Unwillkürlich begann sie zu frösteln.
»Sie möchten also als Siedler nach Virginia?«
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