Mit müden Schritten ging sie in die Küche, setzte sich auf die Bank, barg ihr Gesicht in den Händen. Ihr langes, weißblondes Haar fiel ihr wie ein Vorhang vor die Augen. Farrell schob einen Stuhl nach hinten, nahm schwer darauf Platz.
»Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als nach Cork zu gehen.«
»Ach und was sollen wir da? Betteln? Stehlen? Oder als Tagelöhner unser Dasein fristen?«
»Bitte, Bidelia. Ich habe es dir doch mehrmals erklärt.«
Sie sah auf, schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Dann erklär es mir eben nochmal!«
»Sieh, in der Neuen Welt werden dringend Arbeiter gebraucht. Farmer, so wie du und ich.«
»Und wie sollen wir dahinkommen? Schwimmen? Wir haben kein Geld für die Passage. Wir können noch nicht einmal die Pacht für dieses traurige Stück Land und das Haus bezahlen. Ich weiß nicht, ob wir bei George Fannagan noch einmal einen Aufschub bekommen.« Sie zögerte, aber mittlerweile war sie an einem Punkt angekommen, an dem ihr alles egal war. »Außer du willst, dass ich auf sein Angebot eingehe und mich von ihm besteigen lasse.«
»WAS?«
»Ja. Er hat mir beim letzten Mal deutlich zu verstehen gegeben, dass er uns, wenn ich mit ihm ins Bett gehe, die Pacht erlässt. Das wäre es ihm wert, hat er gesagt.« Sie schluckte, unterdrückte ihre Tränen. »Ich würde es tun, damit wir überleben«, fügte sie leise hinzu.
Kalte Wut stieg in Farrell auf. Fannagan, dieser Dreckskerl! Farrell hatte Bidelia nie ein schönes Leben bieten können, aber auf gar keinen Fall würde er erlauben, dass sie sich prostituierte!
»Das lasse ich nicht zu. Pass auf, Bidelia. Die Engländer, ich weiß, es sind Schweine, aber sie bieten jedem, der sich freiwillig meldet, um in Virginia zu arbeiten, eine freie Überfahrt an, dazu fünf Tagwerk Land nach Ablauf von fünf Jahren, in denen man dort auf einer Plantage arbeitet.«
»Ach und das einfach so?«
»Sie bezahlen einen Lohn, aber einen Teil davon behalten sie ein und davon kann man das Land kaufen. Es ist gutes Land, fruchtbar, nicht wie hier mit Steinen durchsetzt.«
Bidelia runzelte die Stirn.
»Das hört sich zu gut an.«
»Ich habe mit einem der Anwerber gesprochen. Wir können mit dem nächsten Schiff hinüberfahren. Und da wir zu zweit sind, können wir zehn Tagwerk Land bekommen. Weißt du, was das heißt?«
»Zehn Tagwerk! Herr im Himmel! Das schaffen wir ja alleine fast gar nicht.«
»Ich habe es mir genau überlegt. Wenn wir während der fünf Jahre, die wir dort arbeiten, sparen und dann am Anfang nur das bearbeiten, was wir schaffen und den Überschuss gut verwalten, können wir Leute anstellen. In zehn Jahren können wir reich genug sein, um weiteres Land zu erwerben. Und dann lassen wir arbeiten und sitzen im Lehnstuhl auf der Veranda, kümmern uns nur darum, Kinder in die Welt zu setzen und unser Geld zu zählen.«
Jetzt musste Bidelia lachen.
»Du bist ein Träumer, Farrell McGrath. Doch gerade darum liebe ich dich so sehr.« Sie legte den Kopf schief. »Und ich würde diesen schmierigen Mistkerl Fannagan niemals an mich ranlassen. Das darfst nur du!«
Farrell lächelte.
»Das hast du schön gesagt. Aber was ist nun mit Virginia? Hier werden wir verhungern.«
Bidelia sah sich in der schäbigen Küche um. Hier gab es nichts, was sie hielt. Als sie Farrell vor drei Jahren geheiratet hatte, da war das Haus blitzblank gewesen, sie hatten ein wenig Geld gehabt und genug Vorräte und Saatgut. Doch zwei Missernten und dann die Engländer hatten alles aufgezehrt, was sie zur Seite gelegt hatten. Jetzt, wo sie beide gerade 25 geworden waren, besaßen sie im Grunde genommen nur noch das, was sie auf dem Leib trugen.
Die blonde Frau stand auf, zog ihren Mann auf die Füße und legte die Arme um seinen Hals.
»Farrell McGrath, ich habe geschworen, immer an deiner Seite zu sein. Und wenn du nach Virginia gehst, dann gehe ich mit.« Sie küsste ihn verlangend. »Aber vorher zeigst du mir noch einmal, dass du mein Mann bist.«
Am nächsten Morgen, nach einer Nacht voller Leidenschaft, packten sie und machten sich auf den Weg nach Cork, um dort einen Kontrakt zu unterschreiben, der sie nach Virginia und damit in Reichtum und Wohlstand bringen sollte, wenn sie ihren Träumen Glauben schenkten.
County Cork, September 1652
Die Sonne war bereits vor einer Stunde untergegangen und Conor war immer noch nicht zurückgekommen. Schon als die Dämmerung eingesetzt hatte, waren ungute Gefühle und Sorgen wie Schatten in Laoises Bewusstsein gekrochen.
Mittlerweile war das Abendessen kalt geworden, das Feuer im Kamin heruntergebrannt und die junge Frau fast krank vor Angst. Es musste irgendetwas passiert sein! Conor war nicht der Typ Mann, der bei einem Ausflug zum Markt in einem Wirtshaus verloren ging und erst am nächsten Morgen nach Hause gewankt kam.
Bis vor einer Weile hatte Laoise sich mit dem Flicken ihrer schäbigen Arbeitskleidung ablenken können, aber seit das letzte Licht des Tages am Horizont verschwunden war, konnte sie nicht mehr stillsitzen. Unruhig wanderte sie von einem Fenster zum anderen und spähte hinaus in der Hoffnung, ihren Verlobten über den Hof kommen zu sehen, aber draußen blieb alles dunkel und leer. Schließlich verließ sie das Haus, wanderte den schmalen Weg bis zu der niedrigen Mauer entlang, die ihren Hof vom Umland abtrennte und blickte die Hügel in Richtung Cork hinauf. Aber auch von dort näherte sich keine Fackel.
Der Sturm war stärker geworden, wehte die ersten losen Herbstblätter vorüber und ließ die nahen Bäume knarren. Fröstelnd zog Laoise ihren Umhang enger um die Schultern. Ihr Herz schlug laut in den Ohren, Brust und Kehle waren eng. War ein Rad des Karrens zerbrochen und hielt Conor auf? Oder war gar etwas Schlimmeres passiert? War er gestürzt, lag hilflos irgendwo und konnte nicht mehr aufstehen?
Laoise gab sich einen Ruck. Was auch passiert war, sie musste los und ihm helfen! In fliegender Eile hastete die brünette Frau in die heruntergekommene Bauernkate zurück, die sie mit Conor bewohnte und holte eine Fackel. Der Himmel war wolkenverhangen und sie wollte nicht riskieren, vielleicht ebenfalls zu stürzen.
Sich tapfer gegen den Wind stemmend machte Laoise sich auf den Weg Richtung Cork, obwohl ihr eine Stimme im Hinterkopf zuflüsterte, dass sie vollkommen verrückt war und besser bis zum nächsten Morgen warten sollte. Das aber hätte sie nicht gekonnt! Jetzt, mit dem Gefühl, etwas zu unternehmen, war die lähmende Angst erträglich.
Dann jedoch brach direkt vor ihr ein morscher Ast von einer alten Eiche, die am Weg stand, ab und stürzte ihr vor die Füße. Mit einem erschrockenen Aufschrei sprang Laoise zurück. Das war knapp! Ihr Herz raste und sie begriff, dass sie nicht nur Conors Leben riskierte, wenn sie kopflos allein in die Nacht hinaus ging, sondern auch ihr Eigenes. Sie würde ihm nicht helfen können, wenn ihr bei dem Rettungsversuch etwas passierte und niemand wusste, dass sie hier draußen war.
Ein schwacher Lichtschein, der ein wenig vor ihr links vom Weg flackerte, brachte die rettende Lösung. Laoise hatte in ihrer Angst gar nicht bemerkt, dass sie schon bis zum Hof der Murphys vorgedrungen war.
Die älteste Tochter der Familie, Orla, war in Laoises Alter und die Familien hatten sich immer gut verstanden. Man sah sich seltener, seit es so schwer geworden war, zu überleben, aber wenn Not am Mann war, half man sich noch immer gegenseitig.
Mit schnellen Schritten hastete Laoise auf den Hof zu, klopfte beherzt an die Tür. Eine Weile rührte sich gar nichts und sie fürchtete schon, dass trotz des Lichtes im Innern niemand zu Hause sein könnte. Dann aber wurde die Tür einen winzigen Spalt geöffnet und das Auge von Sean Murphy erschien. Seine buschige Braue zog sich zusammen.
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