„Und wo ist die Mademoiselle jetzt?“
Eine besorgte Stimme von nebenan antwortete:
„Ich bin hier, mein Lieber!“
Adoree eilte herbei und drückte dem Kranken einen Kuss auf die Stirn.
„Warum habet ihr nichts von eurem Sturz erzählt? Ihr müsst euch nicht schämen! Dass der Hengst im Sprung über den Stamm hängen blieb und strauchelte, war ein schlimmes Unglück. Der beste Reiter hätte sich in dieser Lage nicht halten können! Und nun habt ihr eine ordentliche Gehirnerschütterung.“
Poisson fühlte sich ertappt und unendlich schwach.
„Ihr müsst wohl oder übel ein paar Tage das Bett hüten. Die kurze Nacht, das Verarzten des Pferdes, der Spaziergang und das alles war viel zu viel gewesen. Ihr seid aber auch unvernünftig!“
Sie beugte sich über ihn und zog die Kissen gerade. Poisson konnte direkt in die weiche Spalte zwischen ihren Brüsten sehen. Der Busen wölbte sich ihm entgegen und verbreitete einen vanilleartigen Duft. Er sog sie ein. Kurz schloss er seine Lider. Als er die Augen wieder aufschlug, hielt sie ihm einen Becher mit einem heißen Tee unter der Nase.
„Ihr trinkt das jetzt aus. Das Gebräu beruhigt euren Magen und gibt Kraft!“
Artig tat er, was ihm befohlen.
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* * *
Madame und Adoree waren zuerst im Atelier angekommen. Jetzt, zur sommerlichen Mittagszeit war der Veranda artige Raum in Gänze ausgeleuchtet. Das Licht floss von allen Seiten und von oben in den Anbau. Auf der an der Wand lehnenden hölzernen Dachkonstruktion befanden sich Glasplatten anstelle einer gewöhnlichen Abdeckung, zum Wald hin waren die Glasfronten nur durch Türrahmen unterbrochen. Jede Tür ließ sich öffnen. Das brachte ein wenig Durchzug. Madame schritt auf die Glasfront zu und entriegelte einen Flügel. In diesem Moment betrat Saly den Raum und sah eine durchschienene weibliche Gestalt im Lichtfluss wehen. Der leichte Stoff umspielte transparent Hüfte und Knie. Die Wölbung ihrer Brust wellte in weichen Schatten einen atemberaubenden Faltenwurf. Meine strahlende Göttin in weißem Marmor. Gemeißelt und dennoch bewegt. Das schimmernde Profil der perfekten Kontur. Universelles Antlitz der Schönheit. Diesen Eindruck würde er nie vergessen, ein geprägtes Ideal für die Ewigkeit. Schimmernde Allegorie der schönen Gestalt. Nach einer halben Ewigkeit wandte sich die Madame sich ihm zu:
„Und, wie gefällt euch die Atmosphäre? Das Licht dieser Glasveranda? Die Engländer haben sich das einfallen lassen.“
Saly sah sich benommen um.
„Die Konstruktion nennt man Lean – To- Gewächshaus. Später wird hier ein tropischer Garten Einzug finden.“
Saly stutzte geblendet– das war also nicht sein Atelier, sondern ihr Gewächshaus. Dieses durfte er eine Zeit lang zum Atelier entfremden. Entgegen seiner Hoffnung hatte sie es nicht eigens für ihn bauen lassen. Später, wenn das Werk vollbracht war, würde er also gehen müssen. Saly durchmaß den Raum mit wackeligen Schritten, um die Größe zu messen. Dann begutachtete er die Deckenhöhe. Hier könnten wahrhaftig größere Dinge entstehen. Traumhafte Illusionen. Beim Hochblicken wurde ihm schwindelig.Es war so heiß in diesem Glaspalast. Aus allen Poren brach der Schweiß hervor, rann den Rücken hinab, durchfeuchtete den Stoff. Wieder der erbärmliche Geruch. Saly tupfte sich die Stirn mit ihrem Tuch. Ihr Duft war beinahe verflogen. Wie sollte man hier arbeiten? Hinter dem Glas war es heißer als unter freiem Himmel, es ließ die Sonnenstrahlen durch und schirmte zugleich die Luft ab. Diskret versuchte er, diesen Umstand anzusprechen: „Madame bemerken selber, es ist um die Mittagszeit bei sonnigem Wetter ein wenig heiß hier.“ Adoree nickte zustimmend und fächerte sich mit einem Tüchlein Luft um den Busen. Die Pompadour lächelte:
„Recht habt ihr! Deswegen wurde vorgesorgt. Ich konnte einige Stoffbahnen bestellen, ein ganz besonderes, neues Gewebe. Es heißt Bobinet Tüll, ist leicht und luftig, aber beschattend. Mit einer Schnürenkonstruktion werden die Stoffbahnen waagerecht unter den Glashimmel gespannt. Man kann die Gardinen dann von unten über Seilzüge verschieben und so jene Felder abdecken, die Schatten werfen sollen. Würde das die Lichtverhältnisse trüben?“ Saly war überrascht:
„Nein, keineswegs, Madame. Man wird hier perfekt arbeiten können und sich hier wohl fühlen. Meinen Dank für diesen Komfort, der einen ja nur beflügeln kann.“
Innerlich konnte er jedoch nicht vor sich verbergen, dass er sich weiter gegen diesen Glaskasten wehrte. Der Raum war kein Zimmer. Er war einfach zu durchsichtig. Nicht sicher genug. Es fehlte sozusagen der Paravant, der ihn abschirmte. Auch das Modell durfte nicht von außen sichtbar sein. Es würde Voyeure anziehen, die an den Scheiben klebten. Allein diese Vorstellung reichte aus, ihm klarzumachen, dass er niemals mit ihr allein sein würde. Noch nicht einmal so wie in Versailles. In ihrem Schlafzimmer, unter der Aufsicht von Adoree... Am liebsten hätte er ihren Großmut verspottet und sie für ihre besten Absichten mit Füßen getreten. Weil sie ihn als Künstler zufrieden stellen wollte und ihn als Mann verachtete. Dem König hatte sie gedient. Unerhörte Szenen blendeten sich ein. Eine Ohrfeige vor Allen, ihr Hinterteil. Erschrocken über sich selber und seine rissige Phantasie schämte er sich der Bilder der Bestrafung, die ihm in den Sinn kamen. Er hüstelte, hielt sich das Tuch vor den Mund und schnappte nach Luft. Adoree befreite ihn, indem sie nach draußen drängte: „Oh, was sehe ich dort?“
Sie eilte über die Terrasse zum Park. Saly musste mit der Linken seine Augen vor dem grellen Licht schützen, um weit blicken zu können. Dort, im Garten, stand eine Gestalt. Freudig erregt stellte Madame fest:
„Nun, ihr habt sie schon entdeckt. Dann werden wir justament Bekanntschaft mit ihr schließen.“ Offensichtlich eine lebensgroße Figur. Man ging auf die Statue zu. Saly erfasste sofort das Kleid. Der Faltenwurf, der Fluss des Stoffes, seine Leichtheit. Und auch den Körper. Den hatte er nachgerade im gleißenden Lichte bestaunen können. Es war die Madame selber, die dort stand. Die Gesichtszüge waren kaum ähnlich. Dennoch betörte dieses Werk. Nicht durch das Antlitz, sondern in der Geste. Allein die Haltung des Körpers, unterstützt durch die offenherzige Neigung nach vorn, lud selbstlos und vertrauensvoll zum Verweilen ein.
Das rechte Spielbein war unbedeckt ebenso preisgegeben wie die linke, bare Brust. Die Geste fand ihren Höhepunkt im Ausdruck der anderen Extremitäten. Leicht stützte die rechte Hand den Busen, der linke Arm strebte auffordernd dem Betrachter zu. Eine einladende Geste, wie sie der Freundschaft innewohnt. Zusammen mit der Hand an der Brust, dachte Saly, ein wenig zu überladen. Einfach falsch. Hier war eine Zwittergestalt dargestellt, eine Melusine. Das Platonische, welches darin steckt, schreckt ab. Mein ist das Erotische. Frauliches gegen alles Erotische. Das ist nicht sie. Das ist ein Gedanke von ihr. So will sie werden und geliebt sein. Sein Herz sprang. Nicht mehr Mätresse des Königs. Nur noch eine Frau.
Er hörte Adoree sprechen. Es war, als würde sie seine Gedanken wiedergeben:
„Das seid ihr, nicht wahr? Gut getroffen in der Haltung. Eure Großzügigkeit und Herzlichkeit kommt zum Ausdruck. Und eure Liebe“, sie hielt kurz inne und verbesserte sich, „nein, eure Mutterliebe. So fühle ich mich von euch geliebt, in aller Freundschaft und bedingungslos.“
Adoree sah die Madame huldvoll an. Die wirkliche Pompadour hatte sich bisher im Hintergrund gehalten und den Betrachtern Zeit gelassen. Saly zwang sich gerade, das handwerkliche Können des Kollegen zu beurteilen, als er schon nach seiner Meinung gefragt wurde. Er fühlte sich ertappt und versuchte nüchtern zu antworten:
„Man darf euch, Madame, als Künstler antworten? In diesem Sinne halte es ich für eine gelungene Arbeit meines Kollegen, Monsieur Pigalle, wenn ich richtig liege? Handwerklich geschickt in Szene gesetzt, besonders Faltenwurf und Tektonik des natürlichen Sockels sind hervorragend umgesetzt. Und bei der Auslegung kann ich nur der jungen Adoree folgen, es handelt sich um eine perfekte Amitié Szene!“
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