„Wenn ihr das Fläschchen kurz festhalten könntet? Verschmutzt euch nicht daran, die Tinktur riecht nicht gut.“
„Sollte man ihn nicht am Hals streicheln?“
Das war Adoree.
„Ja, gut! Und redet leise mit ihm, erzählt ihm etwas Schönes.“
Adoree begann zu murmeln, es raschelte im Stroh, der Hengst schnaubte und stampfte. Saly wollte das Tier nicht erschrecken und verharrte deshalb in sicherer Entfernung. Poisson:
„So geht das nicht, er reißt mir immer sein Bein weg. Ich kann die Medizin nicht auftragen. Gebt mir das Fläschchen, ich schütte ein wenig mehr auf die Gaze und versuche es noch einmal neu.“
Es raschlete, und Poisson trat aus der Boxentür, um die Medizin draußen abszustellen. Er sah Saly und rief:
„Sie kommen wie gerufen, Monisieur Saly! Bitte halten sie diese Flasche und geben sie mir ein paar Tropfen auf das Tuch, wenn ich es sage!“
Saly näherte sich der Box und erspähte die mutige Adoree neben dem aufgeregten Tier. Sie fragte Poisson:
„Soll ich ihn am Halfter halten?“
Poisson sah Saly an und dann das Mädchen:
„Einverstanden. Allerdings müsst ihr auf eure Füßchen achtgeben. Nehmt ein wenig Abstand und streichelt ihn mit der Linken. Unter dem Kinn hat er es gerne, dort könnt ihr kraulen. Und zieht seinen Kopf ein wenig zu euch heran, dann bremst ihn die Wand, falls er sich drehen will. So, ich nehme jetzt wieder das Bein hoch!“
Poisson bückte sich, hob das Vorderbein an und tupfte mit dem getränkten Tuch auf eine bestimmte Stelle. Alsbald wandte er sich an Saly, hielt diesem den Lappen entgegen und forderte ihn auf, noch etwas Tinktur darauf zu geben. Saly musste sich jetzt gezwungenermaßen dem Gebückten nähern. Er trat in die Box, machte einen Bogen um das Hinterteil des Pferdes und beugte sich mit dem Fläschchen in der Hand zu Poisson herunter. Das aufgehobene Vorderbein ruckte ab und zu gefährlich in dessen Griff. Adoree sprach beruhigend auf das Tier ein.
„Noch ein wenig mehr! Durchtränkt den Lappen ganz. Jetzt hält er gerade still!“
Saly kippte beinahe den ganzen Sud über die Gaze und brachte sich vorsichtig wieder in Sicherheit. Poisson drückte noch ein paar mal das Tuch auf die Stelle am Bein, dann setzte er dieses behutsam ab, richtete sich auf und klopfte das Pferd am Hals.
Adoree hatte von der mutigen Anstrengung rosige Wangen bekommen. Der Kontrast zu ihrem dunklen Haar! Das Heben und Senken ihrer Brust! Wunderschön sah sie aus.
„Ihr wart sehr mutig, Adoree! Eine ausgezeichnete Assistentin habe ich da. Allein mit mit eurem zart fühlendem Charme habt ihr ihn hypnotisieren können. Eine seltene Gabe!“
Saly stand immer noch mit der Fiole in der Hand auf der Stallgasse.
„Auch dank an euch, Saly, dass ihr so spontan zur Stelle wart. Dort drüben können wir uns reinigen.“
Alle drei gingen zu einem Wasserbottich. Erst jetzt hatte Adoree Muße, ihren väterlichen Freund zu begrüßen. Etwas unzulänglich klärte sie die Umstände:
„Monsieur Poisson und ich trafen uns heute früh auf der Treppe.“ Man wusch sich die Hände, Poisson reichte ein Tuch herum und fragte:
„Darf ich euch zu einem gemeinsamen Frühstück einladen?“
Saly sah Adoree an und konnte nicht mehr abschlagen. Er folgte den beiden jungen Leuten in das Gesindehaus. In der geräumigen Küche saßen Jean und Lisette. Sie hatten den riesigen Eichentisch in Beschlag genommen, darauf war ein üppiges Frühstück angerichtet. Es duftete nach frischem Brot und Käse. Schlichte Holzteller dienten als Unterlage, es gab nur zwei große Messer anstatt Besteck für jedermann. Eine dicke Köchin fuhrwerkte am Herd herum, Poisson umgriff sie von hinten und drehte sie zu sich herum:
„Anné, meine Liebe! Wie geht es dir?“
Er stellte den beiden die Köchin vor:
„Unsere Anné hier ist schon sehr lange in unserer Familie. Als wir Kinder waren, sorgte sie für uns wie eine Mutter. Zu ihr konnte man flüchten, wenn man etwas ausgefressen hatte. Das kam bei mir öfter vor, nicht wahr?“
Alle lachten. Saly fühlte sich wohl. Ein wenig Italien oder damals, am Tische des Meisters. Adoree erzählte Lisette vom Verarzten des Hengstes und Jean tat seine Bewunderung kund, denn schließlich wusste er um den Mut, so ein Pferd festzuhalten. Poisson scherzte weiter ob des Respekts gegen das harmlose Tier und meinte schließlich:
„Wartet nur ab, ich setze euch alle noch auf's Pferd!“
Nach dem reichhaltigen Frühstück ließ Saly sich von Jean den Gipsblock und das Werkzeug zeigen. Adoree und Poisson begleiteten sie. Alles stand noch gut verstaut im Wagen. Saly kletterte mit Jean hinauf. Sie öffneten die Kiste, in der sich das Gipsmodell befand, entfernten ein wenig Stroh und sahen hinein.
„ Alles in Ordnung, es ist nichts gebrochen. Wir sollten abladen und dann das Atelier suchen.“ Poisson hatte eine bessere Idee:
„Wir können als erstes gemeinsam euren Arbeitsplatz besichtigen. Es wurde im Seitenflügel des Haupthauses eingerichtet. Da, wo sich auch ihr Schlafgemach befindet, Monsieur Saly. Ich kann veranlassen, dass Jean und ihre Sachen mit dem Wagen dort hin gebracht werden. So ist es doch praktischer. Wenn ihr mir folgen wollt.“
Saly fühlte sich ein wenig bevormundet, aber andererseits auch entlastet, denn Abläufe zu planen war ihm schon von jeher unangenehm. Man ging durch den Park, Richtung Schloss. Dass dieser gerade erst neu angelegt worden war, war kaum zu erahnen. Nach englischem Vorbild hatte man den ursprünglichen Baumbestand, die meisten Hecken und Wiesenstücke mit in die Planung einbezogen. Selbst der Bachlauf war nicht verändert worden. Prunkbrunnen mit Fontänen, künstliche Lustgärten mit beschnittenen Hecke oder Terrassen und Parterre gab es nicht. Die Wege waren weder mit Kies bestreut, noch begrenzt, sondern natürlicherweise so geebnet, dass man trockenen Fußes und bequem spazieren konnte. Bunte Wiesenblumen dufteten auf ungeschnittenen Flächen, Insekten summten und flirrten zügellos umher. Schatten und Sonne wechselten sich ab, wundervolle Lichtspiele. Auch junge, exotische Pflanzen konnte man entdecken. Sie waren mit Namen und Herkunft betitelt und würden später in aller Pracht den Garten bereichern. Überall gab es etwas zu sehen, riechen und zu hören. Insbesondere seltene Vögel schienen sich in diesem neuen Paradies anzusiedeln, denn sie markierten ihre gewonnenen Reviere durch lautes Gezwitscher. Hier war die wilde Natur mit Natürlichem veredelt worden. Vor lauter Erbauung sprach man wenig. Damit der Mensch genießen konnte, gab es lauschige Plätzchen, an denen Bänke zum Verweilen einluden. Adoree spazierte von einem Entzücken zum anderen. Poisson führte sie. In der Ferne sah man eine kleine Hütte, die man nur überhaupt entdecken konnte, weil Rauch aus dem Schornstein aufstieg. Adoree fragte, wer dort wohne und Poisson erklärte, dort lebe der Lehrer. Es gäbe eine Schule für die Kinder der Bediensteten und Armen. Der junge Gelehrte sei ein sehr naturverbundener Mann, hätte die die Ideen Rousseaus studiert und sei dessen Anhänger. Madame habe ihm das Experiment an diesem Orte ermöglicht.
Man steuerte auf eine natürliche Anhöhe zu. Darauf befand sich ein weißer Pavillon, getragen von dorischen Säulen. Die Kapitelle waren schlicht gearbeitet trugen ein unverziertes Fries. An den offenen Seiten wurde das Sechseck von einer einfachen Balustrade begrenzt, die einmal vollständig mit wilden Rosen berankt sein würde. An den Hängen des Hügels lagen einige Felsbrocken verstreut und beim näheren Hinsehen konnte man erkennen, dass die Steine behauen waren. Offensichtlich handelte es sich um Reste einer Ruine. Der Weg schlängelte sich aufwärts und führte auf der Waldseite zu einem schmalen Steg, der über den einstigen Burggraben führe. Jenseits der Brücke erhob sich der Rest einer alten Festungsmauer, darin ein Fensterloch auf Augenhöhe. Sah man ebendort hindurch, fiel der Blick geradewegs auf das neue Schloss. Als Bild in einem Rahmen. Poisson musste die Begleiter nicht erst auf dieses Phänomen aufmerksam machen, denn mit Entdeckerlust hatten der Künstler und sein Schützling diese Aussicht bereits aufgespürt. Adoree rief:
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