Und in der Marquise de Pompadour hatte sich in den letzten Minuten eine Verjüngung vollzogen. Sie glänzte, ohne jemandem zu schaden. Allein durch Liebe und Güte. Derer hatte sie sich bedient, nach etlichen Jahren, das erste Mal durchschlagend. Ungeheuerliche Waffen gegen die bestehende Welt. Vernichtung aller Intrigen und Ränkespiele. Zerstörung der Macht. Eine neue Welt würde geschaffen werden. Und sie könnte mit aller Kraft sich dafür einsetzen.
Man erreichte das Schloss. Madame de Pompadour wollte ihnen gerade das Atelier zeigen, dass sie eigens für Saly hatte einrichten lassen, als Poisson verlauten ließ, dass er sich nicht anschließen werde. Adoree war ein wenig irritiert, als er sich mit Handkuss von ihr verabschiedete:
„Liebste Adoree, bitte entschuldigt mich. Ich habe noch einiges zu tun. Heute Abend werden wir uns wiedersehen!“
Er verbeugte sich leicht und schenkte ihr ein offenes Lächeln. Dann nahm er den anderen Ausgang und verschwand. Er hatte starkes Kopfweh.
Salys Herz klopfte. Freudige Erwartung gepaart mit Unglauben an das Glück. In jenen Räumen, die er gleich zu Gesicht bekommen würde, würde er die nächste Zeit verbringen und an ihr arbeiten. Wie oft würde sie ihn aufsuchen? Die Gespräche müssten weiter gehen, Spaziergänge im Park, Zweisamkeit... Jemand rief 'Halt!' Abrupt blieb Saly stehen und sah sich um. Ein Schlag vor die Stirn. Kein sichtbarer Gegner weit und breit. Er schwankte. Die Stimme warnte eindringlich: Du gibst gerade deine Kunst einer aussichtslosen Liebe preis. Du, der Verräter deiner selbst. Dich droht die falsche Muse zu küssen. Du darfst ihr nicht verfallen wollen. Wehre dich! In diesem Moment griff Adoree einen Arm und zog ihn vorwärts:
„Poisson geht nicht mit! Sicherlich wird er dich bald in deinem Kunsttempel besuchen kommen!“ Rüde riss sich Saly los. Beinahe schlug er um sich. Adoree kicherte:
„Du bist eifersüchtig auf ihn!“
Sie drehte sich um und lief mit fliegenden Röcken Madame de Pompadour hinterher, die schon auf der Treppe wartete.
Poisson stand ein ganzes Obergeschoss im Pariser Flügel des Schlosses seiner Schwester zur Verfügung. Er zog sich oft dorthin zurück, wenn er zeitnah Geschäfte in Versailles und Paris zu erledigen hatte. Bellevue war zu einer Art Dependance für ihn geworden. Er hatte sich seine Räume so eingerichtet, wie es ihm persönlich gefiel. Mitbringsel von seinen Reisen prägten das Motto zweier Wohnsalons, ein Durcheinander von Stilen und Artefakten. Hier fühlte er sich wohl und ließ sich oft inspirieren, wenn er Ideen für die Verschönerung von Gebäuden brauchte. Zwar setzte sich beim Bau der klassische Stil immer mehr durch, jedoch konnte man unauffällig Elemente aus fernen Ländern mit in die Gestaltung einfließen lassen. Ein pagodenhafter Aufbau war genauso möglich wie eine tempelartige Frontfassade.
Nach den Ereignissen im Park hatte er sich ermattet auf sein Canapee fallen lassen. Ihn plagten Kopfschmerzen, Gewissensbisse und große Zweifel. Er liebte Adoree, das stand außer Frage. Aber war er ihrer auch wert? Dieses unschuldige Geschöpf konnte er unmöglich mit den Eskapaden seiner Vergangenheit beschmutzen. Er musste sie unberührt halten und sich rein waschen. Vorher durfte er sich ihr keinesfalls körperlich nähern.
Seine Hände rochen immer noch nach Pferd und ihr Duft hing ihm in der Nase. Freiheit und Zauber. Er fühlte sich zerschlagen. Nie hätte er geglaubt, dass ihn die Verfehlungen aus der Vergangenheit als wilde Schattenspiele einholen würden. Obligatorische Attribute der Männlichkeit, Vorbilder machtbesessen, reich und geil. Nachbilder ungezügelter Weiblichkeit. Das war die Gesellschaft, in der er aufgewachsen war. Er hatte seine Rolle: Kavalier auf edlen Ross, Verführer der Damen, Herr der Begierde und aussichtsreicher Günstling. Frauen waren sein bester Spiegel. Die Urteilerinnen des Erfolgs. Die Richterinnen der Macht. Wie die Mätresse des Königs. Als sei er nun vom hohen Ross gestürzt. Seine Schwester hatte begonnen, ihn zu retten, und zwang ihn ohnmächtig zu seinem Glück. Sie stellte ihm Adoree als Heilige zur Seite. Zur schnellen Genesung. Bewachen und hegen würde sie ihn mit aller Inbrunst. Und er hatte sie zu lieben. Je enger sie ihn umgäbe, desto besiegelter sei dieser Vertrag. An den Reif der Zeit gefesselt und hilflos ausgeliefert. Wenn sie das das Rad zum Rollen brächte, würde das Winden beginnen. Die Fliehkraft setzte ein. Der Schwindel in wirren Gedanken. Auf dem Kopfe, auf den Beinen. Bilderfolgen durch die Speichen flimmern, schneller und schneller die rasende Handlung. Rückwärts – vorwärts. Aufstoßen - Erbrechen. Beinahe hatte er schalen Geschmack vergessen.
[bad img format]
* * *
Man hatte getrunken. Einige Genossen aus den Versailler Kreisen. Üble Schürzenjäger. Marquis de soundso und Comte soundso in Begleitung ihrer Mätressen und er. Ein Etablissement. Schwül aufgeheizte Stimmung. Trinken und Vergnügung. Die Säfte drängen und streben nach Erleichterung. Der Einfall ein Spiel, bei dem jeder Verlierer einen erotischen Tribut zu entrichten hat. Unter den Augen der Anderen. Es wird sich auf Tontine geeinigt. Die Regeln stehen schnell fest. Die Herren stiften ihre Gehstöcke. Der Negerpage darf sie halten. Einige Damen protestieren frivol. Begierig beginnen die Herren mit dem Setzen. Jetons gibt es nicht, nur die Kleidung hat ihren Wert. Der erste Einsatz drei Stücke. Schon häufen sich die Teile, ein Berg aus Bändern, Kravatten und Schals. Harmloses Beiwerk. Gieriges Gekicher. Die Karten entscheiden. Behängte Damen und spärlich Bekleidete, aufgetakelte Herren und welche in Unterhosen. Runde um Runde. Immer mehr Durchblicke, Anblicke, Ausblicke. Berge aus Unterröcken, Beineinkleidern und Korsetts. Gelächter beim Entblößen. Zugriffe beim Entwirren verschlungener Schnürungen. Grabende Finger beim Öffnen der Ösen. Bloßer Busen, ungebändigtes Gehänge. Nackter Hintern tut es auch. Eine erste Tote. Hüllenlos. Kreischen der Begierde.
Die Bilder laufen: Beim schwarzen Mann ein Stock gewählt, reich verziert mit großem Knauf. Triumphgeheul und Raserei, wer denn der Besitzer sei? Es meldet sich ein geiler Herr, das Loch zu treffen sei nicht schwer. Eingelocht und sie sei frei, ansonsten wäre er dabei. Zum Billard zieht man jetzt hinüber, nun lehnt sie sich schon selber drüber, hält das Zepter in den Händen, geht's daneben, ist sie zu schänden. Setzt an zum Stoß und schießt vorbei, lauter, greller das Geschrei, packt sie bei den Hüften schon, der Herr will den verdienten Lohn. Man hält sie fest, lässt sie nicht gehn, will ihr Geschlecht geschändet sehn. Er greift jetzt gierig nach dem Stock, poliert den Knauf an seinem Rock, spuckt auf das Ding und setzt dann an, tastet sich erst langsam ran, man spreizt die Schenkel, sieht das Geschmeide, unsanft streichelt es die Scheide, legt sie offen, bohrt sich rein, jetzt ist er drin, tief muss es sein. Rein und raus, der dicke Knauf, bald auch schon liegt er obenauf, festgesaugt an ihrem Munde, wartet auch noch die Sekunde, bis er sich erleichtern kann, der Schleim von ihren Hüften rann, dann kam schon sein letzter Stoß, ihr Geschrei ward riesengroß, man hielt sie immer weiter fest, und gab ihr dann den letzten Rest.
Als die Gendarmen kam, war er schon fort. In Unterhosen und Hemd durch die Gassen geflüchtet, zusammen mit dem Künstler Van Loo. Mehrmals hatte er halten und sich übergeben müssen, dann war er weiter geschleift worden. Am nächsten Morgen fand man ihn Dreck verschmiert vor seiner Türe. Hinterher hatte der Page ihn gebadet und ins Bett verfrachtet.
[bad img format]
* * *
Dorteben wachte er gegen Nachmittag auf. Man habe ihn vor Stunden in seinem Arbeitszimmer gefunden, ihm sei wohl übel geworden, er hätte sich übergeben und man habe ihn nach dem Besuch des Arztes ins Bett gebracht. Ober er gestern vom Pferd gefallen sei? Er konnte sich an nichts erinnern. Mademoiselle Adoree hatte darum gebeten, sich persönlich um den Kranken kümmern zu dürfen. Madame habe dem zugestimmt. Die junge Mademoiselle habe die ganze Zeit seine Stirn gekühlt und seine Hand gehalten. Poission fragte irritiert:
Читать дальше