Er schluckte. Hatte sie mehr Begeisterung von ihm erwartet? Hielt sie ihn für neiderfüllt gegen den Auftrag des Kollegen? Er durfte sich nicht ausmalen, wie sie Pigalle Modell gestanden hatte. Barbusig, halbnackt hatte sie die Unverführende gespielt. Darauf sich einzulassen und zu beherrschen – ihm unmöglich. Irr und besessen hätte er sich in sie gestürzt, die Ergüsse der Arbeit. Im Beiwohnen den Keim der Venus gepflanzt. Verführerischer als jemals zuvor. Danach ein tödlicher Stoß. Ihr Wunschbild verfehlt. Er wäre dazu nicht im Stande gewesen. Er musste den Kopf geschüttelt haben. Sie berührte ihn zart am Arm:
„Von euch verlange ich etwas anderes. Unsere Arbeit soll besonderer sein. Individueller, markanter, unverkennbarer. Ganz ich. Ein wenig grüner Cäsar, das Gefühl vom Dornauszieher, ein Hauch Nymphe und das Lächeln der Venus – so seht ihr mich, nicht wahr?“
Er nickte einfach nur. Sie drehte sich um und führte ihn mit sich:
„Dort vorne, wo bereits der Sockel steht, wird er sich erheben. Mein Freund, mein König, mein Leben. Er ist schon in Auftrag gegeben. Pigalle ist dabei, ihn zu fertigen.“
Saly wollte weiterhin pragmatisch bleiben. Er beschloss, nicht um sich hervorzutun, sondern um ihr ein passendes Beispiel für ein gelungenes Denkmal zu geben, die Madame auf einen anderen Louis XV. hinzuweisen:
„Kennt ihr das Denkmal in Valenciennes? Man ist erstaunt von dessen Einfachheit und erhabener Würde. Das Gesicht unseres Königs ist einnehmend freundlich. Aufrecht und geradlinig steht er da. Ein Mann den man zu schätzen meint.“
War das ein Fauxpas? Die beiden Frauen lachten. Adoree verkündete stolz:
„Ein Meisterwerk des Herrn Saly! Ich habe Zeichnungen gesehen.“
Die Pompadour nahm ihn zur Seite:
„Ich muss euch nicht erklären, in welche Rolle ich hier schlüpfe. Nur eine Allegorie. Ein Zeichen der Freundschaft zu meinem König, dem ich immer noch diene. Nur nicht mehr im --- Bett!“ Sie seufzte:
„Ein Denkmal, wie ihr es zu schaffen versteht, wäre für diesen Anlass selbstredend unpassend.“
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* * *
Um sich zu erfrischen, schlug Madame vor, sich in den Salon zu begeben. Sie bestellte kalte Limonade. Saly und die Hausherrin setzten sich in die hintere Kühle des Zimmers, Adoree sah sich die Wandgemälde an. Verschiedene mythologische Szenen waren dargestellt. Der Stil gefiel ihr nicht sonderlich. Die Gestalten wirkten überzeichnet, ihre Gewänder und Gesten waren übertrieben und zu künstlich abgebildet. Es fehlte dem Ganzen an angepasster Ruhe und Größe.
„Irgendwie zu maniriert. Besonders dieser hässliche Cupido dort!“
Adoree zeigte auf einen aus dem Wandbild hinausfliegenden fettes, nacktes Engelchen. Symbolischen überladen stellte er den Armor der Verschwiegenheit dar.
„Eher passen diese Anspielungen in ein Lustschloss! Wer hat diese geschmacklosen Metaphern gemalt? “
„Grässlich, nicht wahr? Und diese gewisse Ähnlichkeit ... Ich musste Van Loo an meinem Salon lassen. Eine, sagen wir, alte Absprache. Dieser Heuchler. Vor dem Fest wird Boucher das Ganze übermalen.“
Es überraschte, dass sie sich dermaßen echauffierte. Etwas war wohl gegen ihren Willen gewesen. Saly war aufgestanden und ging nicht darauf ein. Zu viele Eindrücke hatte er zu überdenken. Er wollte sich zur Mittagsruhe begeben. Madame hielt ihn zurück:
„Wie wollen wir es mit euren Utensilien halten? Ihr wollt doch sicherlich baldigst das Atelier einrichten.“
Saly antwortete, dass er davon ausgehe, Poisson habe den beladenen Wagen bereits hierher beordert. Adoree versprach sofort, sich danach zu erkundigen und eilte in den Seitenflügel. Madame Pompadour ruhte indess auf ihrem Canapee.
Ein wenig atemlos stand Adoree vor der Tür von Poissons Arbeitszimmer. Der Vorwand kam ihr wie gerufen. Natürlich wäre es schicklicher gewesen, einen Dienstboten zu schicken... Sie klopfte.
Keine Antwort. Sie klopfte noch einmal. Nichts. Vorsichtig lauschte sie an der schweren Holztür. Da war doch jemand. Leises Stöhnen und Keuchen. Was konnte das sein? Ein scheußlicher Gedanke traf sie mitten ins Herz. Hatte er etwa … Damenbesuch? Sie lauschte intensiver. Röcheln, als bliebe jemandem die Luft weg. Das war kein Liebesspiel, eher Mord! Adoree eilte zur Treppe zurück und rief nach Lisette. Als diese nicht promt erschien, weckte sie kurzerhand die Madame.
Sofort erhob sich diese und eilte den beiden anderen Frauen nach oben. Dort klopfte energisch an Poissons Tür, rief nach ihm und trat dann ein. Adoree und Lisette folgten. Gegenüber des Fensters, gleich neben dem Schreibtisch, lag Poission mit dem Oberkörper auf dem Boden und den Beinen auf dem Divan. Er atmete schwer und röchelte. Erbrochenes klebte an seinem Mund und an seiner Kleidung. Adoree stürzte auf den Bewusstlosen zu. Sie kniete nieder, hob Poissons Kopf an und tätschelte seine Wangen. Die Pompadour schickte Lisette nach Wasser und beugte sich ebenfalls zu dem Liegenden hinunter:
„Vielleicht atmet er noch Erbrochenes. Wir müssen ihn auf die Seite drehen und versuchen, dass er hustet!“
Die beiden Damen hoben die Beine vom Canapee und betteten den verkrampften Körper um. Poission stöhnte und blinzelte. Adoree sprach sanft auf ihn ein und streichelte seine heiße Stirn. Als das Wasser kam, versuchte die Madame ihrem Bruder möglichst viel davon einzuflößen. Sie kippte regelrecht den Becher in seinen geöffneten Rachen. Sofort hustete der am Boden Liegende mehrmals kräftig, was seinen ganzen Körper erschütterte. Einige Verdauungssäfte wurden hochgespült. Er schien jetzt besser Luft zu bekommen. Auf Madames Wunsch hoben die drei Frauen den schlaffen Körper hoch und betteten ihn auf dem Divan. Dann sollte Lisette den Arzt holen lassen und Poissions Pagen herschicken. Der Leidende musste gewaschen und zu Bett gebracht werden. Die aufgelöste Adoree reinigte Mund und Stirn ihres Lieben und half ihrer Freundin, Poisson Jacke und Weste auszuziehen. Hemd und Hosenbund wurden aufgeknöpft. Nur einen winzigen Moment beschlichen Adoree entsprechende Gedanken, dann gab sie sich ganz der Fürsorge hin. Obwohl es warm war wurde eine Decke über den Körper gebreitet und das Fenster geöffnet. Frische Luft war jetzt wichtig. Adoree fragte ängstlich:
„Wie kann das Sein? Heute morgen war er doch noch ganz lebendig. Hat er etwas falsches gegessen?“
Sie überlegte. Saly und sie hatten doch das gleiche zu sich genommen, dort im Gesindehaus, nach dem Besuch im Stall. Madame war ebenfalls ratlos:
„Warten wir ab, was der Arzt sagen wird. Du bleibst so lange bei ihm.“
Sie verließ den Raum, um sich frisch zu machen. So konnte sie den Arzt nicht empfangen.
Inzwischen zogen Poissions Page und der Küchenjunge den Kranken aus. Lisette und Adoree hatten die kupferne Badewanne bereits mit warmem Wasser gefüllt. Adoree wollte gerade den Raum verlassen, als Poisson die Augen öffnete und ihren Namen flüsterte. So konnte sie nicht umhin, seine Hand zu halten, als der nackte Körper ins Wasser sank. Geniert sah sie fort. Man brachte ihr einen Stuhl, so dass sie, direkt neben die Wanne sitzend, Kopf und Schultern mit einem Lappen massieren konnte. Dazu benetzte sie die Haut mit dem warmen Nass und rieb ein wenig über die harten Muskeln am Nacken. Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass dies gut tat. Sie betrachtete ausgiebig Poissons entspanntes Gesicht, seine ebenmäßigen Züge, seine makellos gebogene Nase und die hohe Stirn. Er war schön. So wie er jetzt da lag. Ihr Herz öffnete sich, eine Welle der Zuneigung spülte alle Sehnsüchte und Wünsche heran. Wenn er so nach dem Akt daliegen würde, hätte sie während des selben nichts zu fürchten. Dieser Mann konnte nur zärtlich sein. Die Augen des anderen waren danach widerwärtig leer und starr gewesen, der Mund triumphal verzerrt. Adoree überlief ein Schauer. Der Lappen entglitt ihren Händen und fiel in die Wanne. Automatisch sah sie dem abtauchenden Stoff nach. Ihr Blick saugte sich an seinem Geschlecht fest. Eine kleine Aufstülpung, die im Wasser trieb. Weich gebettet zwischen den Hodenfalten. Völlig ausgeliefert und harmlos. Wie bei einem kleinen Amor. Nicht wie beim Satyr. Davor konnte man keine Angst haben. Gern würde sie das Ding liebkosen. Sie schob ihre Ärmelrüschen ein wenig hoch und angelte nach dem Lappen. Dabei berührte die zarte Haut ihres Unterarms seinen Schenkel. Ein sanftes Vorbeigleiten im warmen Nass. Beinahe nur ein Streifen der Härchen. Wie ein Liebeshauch unter Wasser. Eingenommen von all der Sinnlichkeit, küsste sie den Geliebten auf den Mund. Lisette und der Page verließen den Baderaum.
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