Der König war gegenwärtig für das Äußere betreffende Angelegenheiten nicht ansprechbar. Aus der Erfahrung heraus war der Geisteszustand eines Königs an dessen Teilhabe am politischen Leben zu messen. Übertriebenes Machtausüben wies genauso auf eine gestörte Persönlichkeit hin, wie der einsame Rückzug in die Gestaltung der intimen Welt am Hofe. Bernstorff hatte stets mit beiden Gebieten zu tun gehabt. Indem er dem König in den Kulturfragen als Berater zur Seite stand als auch dessen politische Entscheidungen einfädelte. Ganz auf seiner Linie war der Herrscher gewesen, bis, ja bis die Königin starb. Da hatte es durch das ganze Land einen Ruck getan, weil die Trauer beim Volke nicht hatte enden wollen, was die Trauer des Witwers weiter schürte, so dass dieser der Melancholie anheim gefallen war und seinen Gram in Genüssen aufzuwiegen suchte. Freudenmädchen, Saufgelage und Orgien, ganz entgegen seines bisherigen Charakters, hatte der Monarch den Ausweg gesucht sich gewaltsam aus den Fängen der bescheidenen Rechtschaffenheit seiner Luise zu winden, um die Schuld am eigenen Weiterleben zu begleichen. Als hätte diese Frau das kleine Land zusammengehalten. Da war der Deutsche Poet gerade zur rechten Zeit angekommen. Mit seinem Messias und der Ode an Luise.
O, Schmerz! stark, wie der Tod! Wir sollten zwar nicht weinen,
Weil sie so gross und edel starb! Doch weinen wir. Ach, so geliebt zu werden,wie heilig ist diess Glück! Der König stand, und sah, sah die Entschlafne liegen, und neben ihr den toten Sohn. Ein Friedrich starb in ihm!
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Einerseits kam die allgemeine Leidenschaft für die Poesie Bernstorff zu Gute, der sich keinen Kopf darum machen musste, dass die Teeaffaire dem Herrscher zu Ohren käme, ihn beunruhigte, aufstachelte oder sonstwie interessierte. Andererseits lag in der momentanen Entsagung alles Weltlichen die Gefahr, dass der Souverän ihm entglitt und sich andere Kandidaten eine einflussreiche Stellung bei Hofe erschlichen. Und sei es durch Übervorteilung des überspannten, leicht hysterisch wirkenden jungen Dichters, an dem der König ein Narren gefressen hatte.
Bernstorff fragte sich insgeheim, ob denn nicht auch andere instinkthafte Regungen beim König durch den jünglingsthaften Klopstock angesprochen wurden oder ob es jene Verbändelung zwischen innigem Herzschmerz und der Persönlichkeit des Dichters war, die den König innerlich an diesem hängen ließ, wie an einem vollkommenen Sohn.
Noch ging von dem glühenden Poeten und seinem emphatischen Werk bisher keinerlei Gefahr für die Belange des Staates aus, denn völlig auf das Gefühlshafte bezogen, öffneten sich die Verse allein den zugänglichen Charakteren, statt machtgierige Kollaborateure anzulocken. Dennoch brachten ständiges Feiern und Hochlebenlassen der geistigen Ergüsse dieses Ziehpoeten eine derartige Aufmerksamkeit, welche auf das Volk ausstrahlte und damit in ihrer naiven Art der Politik gefährlich werden konnte.
Des jungen Dichters Worte hielten auf das Empfinden des Königs zu, trafen diesen in tiefster Seele, vor dem Spiegel der Eitelkeiten. Rieten zum bedingungslosen Glauben an des Geistes Wahrhaftigkeit im Fühlen. Damit hatte der kleine Klopstock die Bewunderung Bernstorffs errungen. Er hatte gut daran getan, des Königs Wunsch nach dem Manne nachzugeben.
Es war zu einem ernsten Gespräch zwischen Außenminister Bernstorff und dem deutschen Poeten gekommen. Bernstorff hatte dem jungen Mann die einflussreiche Position, die dieser beim König innehatte, erst klarmachen müssen. Und ihn dann angewiesen, mehr Obacht auf das Seelenleben des Herrschers zu haben, diesen nicht zu weit zu erschüttern, dass er noch mehr versinke, sondern ihn zu unterstützen, dessen Psyche wieder aufzubauen. Klopstock, in Unkenntnis seiner bisherigen Wirkung, wollte sich der Verantwortung gern annehmen, weil es weder in seiner Absicht gestanden habe, den König in seiner Trauer zu bestärken, noch zu großen Einfluss auf dessen Seelenleben zu nehmen. Entsetzt und traurig reagierte er auf den Vorwurf und schalt sich selber seines egoistischen Emporstrebens. Gleichzeitig jedoch legte er Wert auf die Wahrhaftigkeit seiner Kunst, die er nicht dazu benutzen wolle, die gutgläubigen Menschen zu manipulieren. Im Gegenteil, die Wahrhaftigkeit führe zur Reinigung der Seele, so auch beim König, der seine Trauer nun voll ausgelebt habe und sich so von ihr befreien könne. Bernstorff verstand und insistierte nun darauf, dass Klopstock beizeiten seiner eigentlichen Aufgabe nachkäme, der Weiterarbeit am Messias. Es dem Seelenheil des Königs sicherlich zuträglich, wenn dieser selber in den Schöpfungsakt des Liedes mit einbezogen würde, in fruchtbarer Anregung statt geistiger Verwirrung. Und zögerlich, ob der Pläne, die er für das Wohlergehen des Königs schmiedete, gab er dem Dichter zu verstehen, dass man, um die Trauer zu vergessen, sowohl im Sinne des Volkes, als auch zum Wohle der Außenpolitik eine neue Ehefrau für Frederik finden müsse. Es läge nun in ihrer beider Hände, den König für eine neue Ehe vorzubereiten. Klopstock, schon ganz brennend für die Heirat mit seiner geliebten Meta, ging begeistert darauf ein. Sicherlich auch deshalb, weil er Königin Luise nicht gekannt hatte und den Verlust deshalb doch nicht ganz so ernst nahm, wie seine Dichtung es vorgaukelte.
Man konnte das Schiff vom Kai aus kaum sehen, seine beiden Masten staken verschwommen in den Dunst, der Rumpf wurde eins mit dem Meer. Dichter Nebel lag über der Ostseepassage und kein Lüftchen regte sich, um die schweren Schwaden zu vertreiben.
Eine Fahrt über den großen Belt zwischen Fünen und Seeland hätte gerade einmal fünf Stunden gedauert, bei gutem Wetter und annehmbarem Wind. Nun war es fraglich, wie wie lange die Passage dauern würde. Da der Postmeister entschieden hatte, nur eine von zwei Postcoaches mit dem nächsten Schiff loszuschicken, war den Ordinari Reisenden freigestellt, auf vorteilhafteres Wetter zu warten. So kam es, dass nur die Eiligen entschieden waren, die langwierige und gefährliche Überfahrt im Nebel auf sich zu nehmen. Auch Wasserschlebe hatte keine Zeit. Weder per gesicherter Depesche konnte er das Silber jetzt noch schicken, noch die eigene Reise mit einem Mietboot beschleunigen. In diesem Falle hätte er es sogar in Kauf genommen, sich von den ihm anvertrauten Franzosen zu trennen. Denn die anschließende Kutschfahrt nach Kopenhagen war unbedeutend im Vergleich zu den unzähligen Meilen, die man bereits hinter sich hatte. So kurz vor dem Ziel hieß es nun Geduld bewahren und auf das Beste hoffen.
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Der Klang der Nebelglocke wurde vom Meer aufgesogen. Unter einer schweren Decke glitt das Schiff in der Strömung aus und fing sich dann wieder. Madame Saly lag im engen Kapitänsdeck auf der harten Bank und stöhnte laut. Ihr Klagen hallte dumpf nach draußen und war schauerlich anzuhören. Den Töchtern gruselte so sehr, dass sie sich lieber an die Seite der Mutter drückten, als den feuchten Dunst an Deck auszuhalten. Wenn der Eimer mit der Notdurft gelehrt werden musste, rief man Joseph herbei, welcher dann zur Reling lief und ihn über dem Wasser leerte. Der wässrige Kot traf senkrecht auf die glatte Oberfläche und bildete lange eine zusammenhängende Lache.
Ab und zu schnaubte eines der Pferde, an deren Barthaaren sich immer wieder nasse Tröpfchen bildeten, die die das Fell benetzten wie Tau. Auch Mähne und Fell trugen diese Schicht. Saly hatte sich in die Nähe der Tiere begeben und beobachtete ihr Verhalten. Die schweren Zugpferde waren ruhig, zuckten ab und zu oder schüttelten halbherzig die Mähnen. Anfangs stellten sie noch die Ohren auf, wenn die Glocke schlug, später nahmen sie das metallene Klingen einfach nur hin. Einige schöne Zeichnungen der großen, dösenden, behaarten Köpfen mit halb geschlossenen Augen entstanden.
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