1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 Meine Güte, was redet er nur ständig von Zusammenarbeit? Gibt es neuerdings so etwas wie eine Doppelvertretung von Mandanten? Ziehen wir demnächst Hand in Hand vor Gericht? Werden Plädoyers von nun an in Co-Produktion geschrieben? Lächerlich.
„Ich wusste bisher nicht, das Teamwork in unserer Branche einen besonders hohen Stellenwert hat“, entgegne ich und ziehe den Schlüssel aus der Tasche.
Zwischen seinen dunklen, symmetrisch geschwungenen Augenbrauen, bildet sich eine kleine, senkrechte Falte. „Ein gutes Betriebsklima ist doch sicher für alle Beteiligten wünschenswert, oder nicht?
„Das hier ist mein Arbeitsplatz. Nicht meine Familie“, sage ich knapp. „Sonst noch etwas? Ich habe es nämlich eilig.“
Möglich, dass ich mich eine Spur im Ton vergreife. Möglich, dass ich ein wenig überreagiere. Aber dieser Mann lebt jetzt meinen Traum! Was erwartet er denn da von mir? Dass ich ihm die Designerschuhe küsse und mich treu in seinen Dienst ergeben? Das könnte ihm so passen! Seine Stirnfalte ist noch ein bisschen tiefer geworden. Wahrscheinlich ist er es nicht gewohnt, Wiederworte von einer Frau zu bekommen. Ich wette, die meisten himmeln ihn an und sagen zu sämtlichen seiner Äußerungen Ja und Amen.
„Ja. Das war alles.“
„Gut.“ Damit lasse ich ihn stehen und steuere zielstrebig den Ausgang an.
„Schönen Feierabend“, ruft er mir hinterher, aber ich drehe mich nicht noch einmal um. Sonst hätte ich mich womöglich dazu hinreißen lassen, ihm zu antworten, dass er mir den gründlich versaut hat.
*
Irgendwie schaffe ich es nach Hause, ohne die Beherrschung zu verlieren. Erst als ich die Tür meiner Wohnung hinter mir geschlossen habe, ist der Kloß in meinem Hals wieder da. Diesmal gelingt es mir nicht, ihn herunterzuschlucken. Trostlos stehe ich im Flur vor dem Garderobenspiegel und sehe dabei zu, wie stumme Tränen meine Wange herunterrollen und auf meine nagelneuen Schuhe tropfen. Ich biete einen jämmerlichen Anblick in meinem Rock, der von neun Stunden im Bürostuhl vollkommen zerknittert ist, und der Bluse, auf der ich am Ärmel einen kleinen Kaffeefleck entdecke. Das Telefonklingeln reißt mich von meinem unansehnlichen Spiegelbild los. Ich gehe zum Hörer und sehe auf dem Display, dass Luna die Anruferin ist. Kurz zögere ich. Will ich jetzt mit ihr sprechen? Bin ich schon bereit, meine Niederlage einzugestehen? Was soll's? Lieber früher als später.
„Hey.“
„Hallo! Spreche ich da mit der neuen Partnerin von Richter und Herz?“, zwitschert sie in den Hörer.
Warum musste ich ihr auch erzählen, dass ich die Stelle gleich nach Neujahr antreten werde? Wenn ich gesagt hätte, irgendwann im nächsten Jahr, hätte sie es vielleicht im Laufe der Zeit vergessen. Na gut … vielleicht auch nicht. Es wäre mir trotzdem lieber gewesen, sie hätte keinen Anlass gehabt, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen.
Ich räuspere mich, um halbwegs klar sprechen zu können. „Nein.“
„Wie, nein? Heißt es Herz und Richter?“
Mein Hals schnürt sich schon wieder zu. „Luna …“
Spätestens jetzt spürt sie, dass etwas nicht in Ordnung ist. Das Lächeln verschwindet aus ihrer Stimme. „Was ist los?“
„Es … es hat nicht geklappt mit der Partnerschaft.“ Stockend, ständig darum bemüht, nicht loszuschluchzen, berichte ich ihr von den neuesten Entwicklungen in der Kanzlei und dem niederschmetternden Gespräch mit meinem Chef.
„So ein Arsch!“, empört sie sich, nachdem ich geendet habe.
„Harmlos ausgedrückt, ja.“
„Mensch, Stella, das tut mir so leid für dich!“
Im Hintergrund höre ich Matthias fragen: „Was ist passiert?“
„Sie hat den Job nicht bekommen“, murmelt sie ihm zu.
„Scheiße!“
„Matthias tut es auch leid“, übersetzt sie.
„Danke.“
Eine Weile schweigen wir betreten.
„Und von diesem Neffen hast du überhaupt nichts gewusst?“
„Kein Stück! Er hat ja nie von ihm gesprochen. Weißt du, das ist so unfair“, beklage ich mich. „Natürlich habe ich noch nicht viel Berufserfahrung, und ja, ich bin keine Fachanwältin, aber dafür kenne ich die Kanzlei seit Jahren. Ich bin mit allem vertraut, vertrete unser Konzept, kann uns nach außen hin repräsentieren. Ich hatte die allerbesten Voraussetzungen, und dann nimmt er irgendeinen dahergelaufenen Scheidungsanwalt, der die Kanzlei nur vom Hörensagen kennt, bloß weil er mit ihm verwandt ist! Diese Vetternwirtschaft sollte endlich verboten werden!!“
„Meinst du wirklich, er hat ihn nur eingestellt, weil …“
„Ja, was denkst du denn?“, unterbreche ich sie aufgebracht. „Der ist doch kaum älter als ich. Wie viel mehr Erfahrung kann er da schon haben? Vitamin B ist der einzige Grund, warum er jetzt den zweiten Chefsessel besetzt!“ Inzwischen habe ich mich richtig in Rage geredet. „Du hättest ihn sehen müssen. Was der schon anhatte!“
„Was denn?“
„So einen Anzug mit Weste, stellt dir das mal vor! Womöglich maßgeschneidert. Genau wie seine Lederschuhe. Er sah aus wie das wandelnde Klischee eines stinkreichen, verwöhnten Anwaltssöhnchens. Wahrscheinlich hat er sein Leben lang keinen Finger krummgemacht, sondern immer alles schön von seinen Eltern in den Arsch geschoben bekommen!“ Je länger ich darüber nachdenke, desto wütender werde ich. Mir hat niemand auf dem Weg nach oben die Steine aus dem Weg geräumt, indem er ein paar Scheinchen gezückt hat. Meine Mutter hat mir zwar immer den Rücken gestärkt, aber für die Finanzierung meines Studiums war ich selbst verantwortlich. Meinen Job verdanke ich allein meinem Können und nicht der Tatsache, dass ich Familie in der Branche habe, die mich irgendwie durchgeschleust hat!
„Jetzt warte erst mal ab“, versucht meine Schwester mich zu besänftigen. „Vielleicht ist er ja sogar ganz nett.“
„Och, Luna!“, stöhne ich, entsetzt über ihre Naivität. „Solche Typen sind nie nett, glaub mir. Denen bin ich an der Uni zuhauf begegnet. Denen geht es nur darum, Kohle zu scheffeln. Die Mandanten sind ihnen scheißegal. Und was meinst du, warum er Scheidungsanwalt geworden ist? Bestimmt nicht, weil ihm die Menschen am Herzen liegen und er für Gerechtigkeit sorgen will, sondern weil er aus dem Leid anderer Leute Profit schlagen will!“
„Das kannst du gar nicht wissen.“
„So was spüre ich! Mama hat schon recht. Männern kann man einfach nicht trauen!“
„Ach, das ist doch blödes Emanzen-Gequatsche“, erwidert Luna unwirsch, die mit dem Leitspruch unserer Mutter nie besonders viel anfangen konnte. „Nicht alle Männer sind schlecht. Auch wenn du das gerne glauben möchtest.“
„Vielleicht. Aber bei ihm habe ich kein gutes Gefühl.“ Dass auf mein Gefühl möglicherweise nicht mehr allzu viel Verlass ist, nachdem es mich bei Richter so fatal im Stich gelassen hat, verschweige ich ihr an dieser Stelle lieber.
„Wie auch immer, lass den Kopf nicht hängen, Süße! Ich hab dich trotzdem lieb. Auch wenn du keine Partnerin bist.“
Zum ersten Mal an diesem Tag muss ich ein bisschen lachen. „Sehr tröstlich.“
„Das sollte es auch sein. Außerdem arbeitest du sowieso zu viel. Du solltest das Positive an dem Ganzen sehen: Jetzt hast du immer noch Zeit für deine Familie.“
„So gesehen“, entgegne ich ich, obwohl ich mir sicher bin, dass es noch sehr lange dauern wird, bis ich in der Lage sein werde, an dieser Sache etwas Positives zu finden. Um mich aufzuheitern, erzählt Luna mir noch ein wenig aus ihrem chaotischen Alltag mit einem Säugling, und nachdem ich ihr auf ihre scherzhafte Frage hin versichere, nicht akut selbstmordgefährdet zu sein, legen wir auf. Kaum habe ich den Hörer zurückgestellt, meldet mein Handy den Eingang einer Mitteilung. Mit einer Vorahnung, von wem sie sein könnte, öffne ich die Nachricht und sehe meinen Verdacht bestätigt.
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