1 ...7 8 9 11 12 13 ...24 Bist du schon zu Hause, mein Herz? Dann komme ich vorbei, und wir feiern deine Beförderung! :-)
Unschlüssig, was ich tun soll, zwirbele ich eine Haarsträhne, die sich aus dem Dutt gelöst hat, um meinen Finger. Natürlich würde ich Ben gerne sehen, aber ich weiß nicht, ob ich es über mich bringe, ihm von meinem grandiosen Scheitern zu berichten. Nach kurzem Abwägen meiner Optionen tippe ich:
Ja, aber ich bin ziemlich kaputt. Vielleicht ein anderes Mal?
Keine Minute später erscheint auf dem Handybildschirm:
Zu spät, stehe schon vor deiner Tür. :-P
Beinahe zeitgleich ertönt die Klingel. Erschrocken fahre ich zusammen. So ein Mist! Was denkt er sich nur? Er müsste mich doch lange genug kennen, um über meine Abneigung gegen Überraschungen Bescheid zu wissen. Ganz besonders gegen solche, die mit unangekündigten Besuchen zu tun haben. Ich könnte schließlich gerade in Jogginghose herumlaufen. Oder in einem zerknitterten, kaffeebefleckten Bürodress, so wie jetzt! Es schellt ein zweites Mal. Seufzend drücke ich ihm auf und höre gleich darauf seine Schritte durch den Hausflur hallen. Angespannt warte ich, bis er die letzte Treppenstufe erreicht hat, dann öffne ich die Tür.
„Ich weiß, man stößt eigentlich mit Champagner an“, begrüßt er mich. „Aber das hier ist ein ganz edler Tropfen. Der tut's sicher auch.“
Und als ich ihn dort so vor mir stehen sehe, freudestrahlend eine Flasche Wein in die Höhe haltend, bricht all der Kummer, den ich bis jetzt halbwegs in Schach halten konnte, aus mir heraus. Ich breche haltlos in Tränen aus.
„Jetzt sag nicht, du magst keinen Merlot“, sagt Ben und lässt den Wein sinken. Ich schluchze bitterlich auf. „Hey, was ist denn los?“
„Ich … ich … hab's nicht geschafft. Die Beförderung … Richter … Er hat seinen Neffen zum Partner gemacht!“, stammele ich weinend.
„Shhh“, macht Ben und zieht mich in seinen Arm. An seiner Brust lasse ich meinen Tränen freien Lauf. „Davon geht doch die Welt nicht unter, mein Herz.“
„Meine schon!“, wimmere ich.
Er lacht leise an meinem Ohr. „Komm, wir setzen uns mal. Und dann erzählst du mir, was passiert ist, okay?“
Schniefend nicke ich. Er bugsiert mich aufs Sofa. Dort erzähle ich ihm – immer wieder unterbrochen von akuten Weinanfällen – von meinem blamablen Auftritt bei der Teamsitzung, von Richters versteckter Androhung, ich solle mich anstandslos der neuen Ordnung in der Kanzlei fügen, und natürlich von meinem zukünftigen Konkurrenten, seiner geschniegelten Aufmachung und seinem scheinheiligen Gerede von guter Zusammenarbeit.
„Ich komme mir vor wie die letzte Idiotin“, ende ich niedergeschlagen. „Ich habe wirklich geglaubt, ich hätte eine Chance auf den Job. Dabei hat Richter mich nicht einmal in Betracht gezogen.“
„Das kann ich mir nicht vorstellen“, versucht Ben mich zu beruhigen.
„Er hat es mir doch selbst gesagt!“
„Wahrscheinlich, weil er nicht dazu stehen wollte, dass er dir so in den Rücken gefallen ist.“
Auch wenn ich seine Trostversuche zu schätzen weiß, so recht daran glauben mag ich nicht. Dazu hat mein Chef zu verblüfft gewirkt, als ihm klarwurde, mit welchen Erwartungen ich heute in die Kanzlei gekommen bin.
„Selbst wenn“, sage ich traurig und lasse meinen Kopf auf seine Schulter sinken. „Es ändert nichts mehr. Ich kann nur so weitermachen wie bisher und hoffen, dass ich nicht auch noch meinen Job verliere, weil Richter keine Verwendung für zwei Scheidungsanwälte in der Kanzlei hat.“
Ben rückt ein Stück von mir ab und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Soll das heißen, du willst aufgeben?“
„Was meinst du damit?“
„Ich meine, du kannst diesem Schönling mit den Italo-Latschen natürlich einfach kampflos das Feld überlassen.“
„Oder?“
„Du beweist deinem Chef, dass er einen Fehler gemacht hat.“
Nun bin ich es, die fragend die Stirn krauszieht.
„Er wird seine Entscheidung wahrscheinlich nicht rückgängig machen“, erklärt Ben weiter. „Vielleicht bereut er sie stattdessen wenigstens, wenn du dich ein bisschen ins Zeug legst.“
„Ich soll ihm also zeigen …“
„Dass du die bessere Partnerin gewesen wärst, genau.“
Nachdenklich richte ich mich auf. Wieso eigentlich nicht? Es ist überhaupt nicht meine Art, bereitwillig etwas hinzunehmen, das mir nicht passt. Meine Mutter hat mich nicht dazu erzogen, mich stillschweigend meinem Schicksal zu ergeben. Sie hat mir beigebracht, Männern die Stirn zu bieten.
„Du hast recht“, sage ich, plötzlich sehr entschlossen. „Ich lasse mich doch nicht von so einem Schnösel aus gutem Haus unterbuttern. Ich habe noch nicht genug Verhandlungen geführt, um Fachanwältin zu sein, aber ich gewinne immerhin achtzig Prozent meiner Fälle. Ich wette, so eine gute Quote hat der nicht!“
Ben grinst. „Das klingt schon wieder sehr viel mehr nach meiner Stella.“
Neue Zuversicht wächst in mir. „Richter wird sich in den A... in den Hintern beißen, dass er mich nicht genommen hat.“
„Richtig!“
„Und sein ach so toller Neffe wird sich noch umgucken, wenn ich ihm reihenweise die Mandanten vor der Nase wegschnappe!“
„Das nenne ich eine positive Einstellung.“
Ermutigt von meinem Vorhaben wische ich mir die feuchten Wangen mit den Händen trocken und lächele Ben an. „Danke.“
„Wofür?“
„Für die aufbauenden Worte natürlich!“
„Gern geschehen“, sagt er ernst. Dann grinst er. „Wie wäre es mit einem Kuss als Dankeschön?“
„Vergiss es!“
„War einen Versuch wert“, lacht er und greift wieder zu der Flasche, die er auf dem Couchtisch abgestellt hat. „Wein?“
„Gern!“
Weil ein so „edler Tropfen“, wie Ben ihn bezeichnet hat, erst zusammen mit einem guten Essen seinen vollen Geschmack entfaltet und ich bis auf ein belegtes Brötchen in der Mittagspause heute nichts Anständiges in den Magen bekommen habe, macht Ben sich in der Küche zu schaffen und zaubert aus den spärlichen Resten in meinem Kühlschrank ein wunderbares, kleines Menü für uns zwei. In der Zwischenzeit schäle ich mich aus meinem Kostüm und schlüpfe in bequemere Sachen. Mit den dampfenden Tellern und gefüllten Weingläsern machen wir es uns anschließend vor dem Fernseher gemütlich, sehen uns eine seichte Liebeskomödie an und machen uns über dir gruselige schauspielerische Leistung der Protagonisten lustig. So wird es trotz des Schocks am Morgen doch noch ein richtig schöner Abend. Und nachdem ich mich von Ben verabschiedet habe, nicht ohne mich noch einmal ausreichend zu bedanken, gehe ich mit dem befriedigen Gedanken ins Bett, dass in Sachen Partnerschaft noch längst nicht aller Tage Abend ist.
Meine neu gewonnene Zuversicht schwindet bereits vor Ende der Woche. Wegen des Schnees, in den sich der Neujahrsregen verwandelt hat, ist die Verkehrslage in der Innenstadt am Freitagmorgen katastrophal. Obwohl ich extra früh losfahre, brauche ich beinahe doppelt so lang für die Fahrt zur Kanzlei. Als ich auf den Mitarbeiterparkplatz einbiege, sehe ich einen glänzend weißen Audi Q5 mit schwarzen Außenspiegeln und Felgen auf meinem Platz stehen. Erst denke ich an einen Mandaten, der seinen Wagen vielleicht aus Versehen dort abgestellt hat oder nur rasch etwas hereinreichen wollte – bis ich das Nummernschild lese: FS 143 . Meine bis dahin recht gute Laune vergeht mir schlagartig. Wütend parke ich mein Auto auf dem letzten verbleibenden Stellplatz in der hintersten Ecke und kämpfe mich durch den Schnee. Auf Sechs-Zentimeter-Absätzen kein leichtes Unterfangen. Keuchend und mit nassen Hosenbeinen erreiche ich die Tür, wo mich die nächste böse Überraschung erwartet. Von der Wand neben dem Eingang blitzt mir das nagelneue Firmenschild entgegen.
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