„Das war alles?“, fragt Matthias.
„Ja. Ansonsten bin ich ganz zufrieden.“
„Was ist denn mit deinem Privatleben?“ Zwischen Lunas Augenbrauen hat sich eine Falte gebildet.
„Was soll damit sein?“
„Wünscht du dir nicht … den Mann fürs Leben oder so?“ Sie lacht unbeholfen.
„Ihr wisst doch, dass ich mir selbst Gesellschaft genug bin. Mal abgesehen von euch natürlich!“
„Willst du denn für immer allein bleiben?“ Ben wirkt geradezu entsetzt.
„Nicht für immer vielleicht. Wer will schon allein im Lehnstuhl sterben und von seinen Katzen angeknabbert werden?“, scherze ich.
Niemand lacht. Seltsamerweise fühle ich mich plötzlich unbehaglich.
„Hey, das war ein Witz. Ich hab ja nicht mal Katzen!“
„Eben“, sagt Luna.
Bevor ich nachfragen kann, was sie damit meint, klatscht Matthias in die Hände. „Okay, dann verbrennen wir das Zeug mal, was?“
„Ich hole ein Feuerzeug“, murmelt Luna. Während sie sich auf die Suche macht, redet keiner ein Wort, und ich habe das Gefühl, ich bin schuld an unserer Schweigsamkeit. Keine Ahnung, was mit ihnen los ist. Nur weil ich nicht wie die meisten anderen Frauen meines Alters davon besessen bin, eine Familie zu gründen, sondern mich erst einmal um meine Karriere kümmern will, müssen sie mich ja nicht gleich wie eine Aussätzige behandeln. Wofür sollen denn sonst die letzten fünfzig Jahre Emanzipation gut gewesen sein? Zum Glück bringt Luna die gute Stimmung zurück, als sie nicht nur mit dem Feuerzeug, sondern auch mit dem kleinen Finn auf dem Arm, der von unserem lauten Gelächter wachgeworden sein muss, wieder ins Wohnzimmer kommt. Aus seinen großen, blauen Babyaugen schaut er uns an und zaubert uns damit allen ein Lächeln auf die Lippen.
„Er wollte bei dem spektakulären Ereignis unbedingt dabei sein“, spaßt Luna und gibt ihrem Sohn einen liebevollen Kuss auf den blonden Haarflaum, der seinen Kopf bedeckt.
„Dann mal los“, sage ich und erhebe mich schwungvoll.
Gemeinsam treten wir auf den kleinen Balkon. Eine Weile schauen wir in den sternklaren Winterhimmel, den das Feuerwerk über der Stadt in allen Farben des Regenbogens erstrahlen lässt. Finn betrachtet das Schauspiel beinahe andächtig. Auch ich bin merkwürdig ergriffen von dem Bild der leuchtenden Raketen, mit denen die Menschen dort unten so hoffnungsvoll das neue Jahr begrüßen. Wird es ein gutes werden? Werde ich nächstes Silvester wieder hier stehen und stolz auf das zurückblicken, was ich in den vergangenen zwölf Monaten erreicht habe? Wird Luna zufrieden mit sich als Mutter und Ehefrau sein? Matthias gesund und glücklich? Ben ein erfolgreicher Restaurantbesitzer?
„Wollen wir?“, reißt Luna mich aus meinen Gedanken.
„Sicher“, nicke ich.
Sie reicht mir das Feuerzeug. Einer nach dem anderen zünden wir unsere Zettel an und halten sie so lange fest, bis die Flammen nur noch eine kleine Spitze übriggelassen haben, die wir loslassen und vom Wind fortreißen lassen. Irgendwo dort draußen in der Nacht schweben sie nun, unsere Herzenswünsche. Mit einem Lächeln sehe ich ihnen nach. Denn zum ersten Mal, seit wir dieses seltsame Ritual betreiben, habe ich die Gewissheit, dass mein Wunsch in Erfüllung gehen wird.
Artikel 2 - Traue niemals einem Mann!
Sobald ich das Klingeln des Weckers am Morgen meines ersten Arbeitstages nach dem Weihnachtsurlaub abgestellt habe, erfüllt mich ein Flattern in der Magengrube, das ich in dieser Form zum letzten Mal bei meiner zweiten Staatsexamensprüfung gespürt habe. Nur ist es diesmal keine Angst, die meine Aufregung verursacht, sondern unbändige Vorfreude auf das, was mich heute in der Kanzlei erwartet. Voller Elan schlage ich trotz der Dunkelheit, die noch vor dem Fenster herrscht, die Bettdecke zurück und schwinge die Beine aus dem Bett. Auf dem Weg ins Bad muss ich lächelnd an das Gespräch mit meinem Chef vor zwei Wochen zurückdenken. Ein paar Jährchen noch, dann hätte er vor, sich zur Ruhe zu setzen, erklärte er mir in vertraulichem Tonfall. Wie ich wisse, suche er schon lange nach jemandem, der ihn bis dahin bei der Leitung der Kanzlei als gleichberechtigter Partner ein wenig unterstützt und dem er das Geschäft ruhigen Gewissens übergeben könne, wenn er in den Ruhestand treten würde. So jemanden hätte er nun gefunden.
„Ich halte große Stücke auf Sie, Frau Herz“, sagte er. „Ich kann mich doch auf Sie verlassen, nicht wahr?“
„Selbstverständlich“, bestätigte ich ihm.
„Dann steht einer weiteren, engen Zusammenarbeit ja nichts im Wege“, schloss er mit einem freundlichen Blitzen in den Augen.
Es dauerte einen Moment, bis mir klar wurde, was er mir mit seiner kleinen Rede zu verstehen geben wollte. Ich sollte diejenige werden, die ihn unterstützen und eines nicht allzu fernen Tages seine Nachfolge antreten sollte. Ich hatte Mühe, die Contenance zu bewahren. Mein größter Traum würde in Erfüllung gehen! Seit Herr Richter, kurz nachdem ich mein Referendariat in seiner Kanzlei begonnen hatte, zum ersten Mal davon sprach, dass er jemanden braucht, der ihm etwas zur Hand ginge, wusste ich, dass ich diesen Posten haben wollte. Eine Partnerschaft ist der erste Schritt auf dem Weg zur eigenen Kanzlei. Da es ungleich schwieriger ist, selbst eine zu gründen, ist die Chance einer Übernahme das Beste, was einem Anwalt passieren kann. Von da an arbeitete ich kontinuierlich darauf hin, einmal die Auserwählte zu sein, nach der Herr Richter so verzweifelt suchte, und nun – vier Jahre später – sollen meine Bemühungen endlich Früchte tragen.
„Rein gar nichts!“, nickte ich nachdrücklich und hatte Mühe ein hysterisches Lachen zu unterdrücken.
„Freut mich, Frau Herz, freut mich“, erwiderte er. „Nach den Feiertagen mache ich die Sache offiziell.“
Heute ist der große Tag, an dem alle in der Kanzlei erfahren werden, dass sie ab sofort Mitarbeiter der Kanzlei Richter und Herz sein werden! Grinsend steige ich in die Dusche. Dabei stelle ich mir das dumme Gesicht von meinem Kollegen Carsten Naumann vor, der bekanntermaßen genauso nach der Partnerschaft lechzt wie ich. Oder die großen Augen von Yildiz, meiner allerliebsten Kollegin, die wegen ihrer großen Familie gar kein Interesse an noch mehr Arbeit hat und mir die neue Stelle sicher von Herzen gönnen wird. Beate Jäger, unsere übellaunige Sekretärin, wird wahrscheinlich wie immer die Lippen zu einem missbilligenden Strich zusammenkneifen – die einzige Gesichtsregung, zu der sie fähig zu sein scheint. Robert Graf, unser eigenbrötlerischer Steuerrechtler, wird sicher bloß seine Brille zurechtrücken, den Kopf einziehen und froh sein, dass es nicht ihn getroffen hat. Ich weiß, man soll sich nicht selbst loben, und vermutlich würde es ziemlich eingebildet klingen, wenn ich es laut ausspräche, aber ich finde, ich bin (mit Ausnahme von Yildiz) wirklich die Einzige in der Kanzlei, die es verdient hat, befördert zu werden.
Zum Anziehen kehre ich nach dem Duschen zurück ins Schlafzimmer, wo ich im großen Schrankspiegel noch einmal überprüfen kann, ob mein Outfit für den heutigen Anlass angemessen ist. Bereits gestern Abend habe ich mir einen eng geschnittenen, dunkelgrauen Bleistiftrock und eine weiße Bluse herausgelegt. Dazu lege ich eine Silberkette mit einem schlichten Glasanhänger an und steige in die anthrazitfarbenen Pumps, die ich mir erst letzte Woche für ein halbes Vermögen angeschafft habe. Hochzufrieden mit meiner Erscheinung mache ich mich anschließend an meinen Haaren zu schaffen. Nach dem langwierigen Föhnen spiele ich wieder einmal mit dem Gedanken, meine lange, kastanienbraune Mähne zugunsten eines pflegeleichteren Kurzhaarschnitts zu opfern. In aller Regel trage ich sie ohnehin zusammengebunden oder hochgesteckt. Lasse ich sie offen, stören mich die Haare meistens, doch ganz trennen kann ich mich auch nicht von ihnen. Deshalb drehe ich sie auch heute stattdessen zu einem ordentlichen Dutt ein und stecke die letzten widerspenstigen Strähnchen mit unscheinbaren Nadeln fest. Zum Abschluss lege ich ein dezentes Make-up auf, das sowohl meine zarten Sommersprossen verdeckt, die selbst im Winter nie ganz verblassen, als auch meine grünen Augen besonders hervorhebt. Ja, so kann ich mich in der Kanzlei blicken lassen, befinde ich und lächele mein Spiegelbild an. Ich sehe aus wie die perfekte Partnerin.
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