„Ist das dein Ernst?“, frage ich.
„Ja!“ Seine Augen beginnen zu leuchten. „Ich habe mir schon ein paar Ladenlokale angesehen, die dafür infrage kämen. Wenn alles so läuft, wie ich es mir denke, könnte es im Sommer schon soweit sein.“
„Und wie willst du das finanzieren?“ fragt Matthias vorsichtig.
Unbekümmert zuckt Ben die Schultern. „Ich muss eben einen Kredit aufnehmen.“
„Dir ist aber schon klar, dass es nur mit dem Lokal nicht getan ist, oder? Du musst Angestellte bezahlen, jemanden haben, der sich um die Buchführung kümmert und so weiter und so fort. Das läppert sich.“
„Stell dir vor, darauf bin ich auch schon gekommen. Und dabei habe ich nicht mal studiert“, entgegnet Ben sarkastisch.
Beschwichtigend hebt Matthias die Hände. „Ich meinte ja nur. Damit sind schon viele auf die Schnauze gefallen.“
Bevor ein Streit ausbrechen kann, schalte ich mich ein. „Ich bin mir sicher, dass du es schaffst!“ Unwillkürlich überkommt mich ein Gefühl von Stolz. Darauf, dass er sich nicht mit seiner Situation abgefunden hat, sondern für die Verwirklichung seiner Träume kämpft. „Ben, das ist toll! Das hast du dir immer gewünscht.“
„Ich weiß“, lächelt er. „Und es muss sich echt was ändern. Ich schwöre euch, noch ein Jahr länger in dieser Massenproduktion, und ich gehe zugrunde. Ich will wieder das machen, was ich gelernt habe: richtig kochen. Nicht bloß Zutaten vermischen und warm machen.“
„Dann wird es Zeit, dass du die Chance dazu bekommst“, findet jetzt auch Luna. „Um die Gäste brauchst du dir jedenfalls keine Sorgen zu machen. Wir werden immer zu dir kommen und uns von dir verwöhnen lassen. Stimmt's, Schatz?“, sagt sie und sieht Matthias eindringlich an, bis er – zwar immer noch etwas skeptisch, aber kommentarlos – nickt.
„Gut zu wissen.“
„Was ist dein zweiter Wunsch?“, will ich wissen.
„Dass ich endlich die Frau fürs Leben finde“, sagt er so lapidar, als spräche er über das Wetter.
„Wenn's weiter nichts ist“, amüsiert sich Matthias.
„Wieso? Rein statistisch betrachtet müsste sie mir doch langsam mal über den Weg laufen, meint ihr nicht?“
„Bei deinem ganzen Verschleiß, ja“, feixt Luna.
„Hey! So schlimm bin ich auch nicht!“, verteidigt er sich.
„Doch. Bist du“, sage ich trocken.
„Das sind alles Schritte auf dem Weg zum Ziel!“
Eine Sekunde sehen wir ihn an, dann prusten wir los.
„Wirst du das so auch deiner Zukünftigen verkaufen?“, gackere ich. „Ja, Liebling, ich habe mich durch die halbe Stadt geschlafen, aber nur um dich zu finden!“
„Warum nicht? Klingt doch plausibel, oder?“
„Sie wird begeistert sein“, gluckst Luna. „Komm, Casanova, ließ mal deinen letzten Wunsch vor.“
„Der passt sogar zum Thema“, grinst Ben von einem Ohr zum anderen. „Stella, mein Herz?“, richtet er sich an mich. „Würdest du mir dieses Jahr endlich meinen Jugendtraum erfüllen und ein einziges Mal mit mir Sex haben?“
Während Matthias und Luna jetzt vor Lachen fast vom Sofa fallen, verstummt meines schlagartig.
„Ben“, sage ich und spüre, wie meine Wangen warm werden. „Das ist nicht witzig.“
„Richtig! Es ist eine Schande , dass wir es noch nicht getan haben!“
„Weil wir nur Freunde sind!“
„Und ich finde, wir sollten diese Freundschaft noch etwas vertiefen“, meint er und schenkt mir einen langen Blick aus seinen treuen, braunen Labradoraugen, mit dem er bisher noch jede Frau hat schwachwerden lassen. Mit Ausnahme von mir.
Im Gegensatz zu Ben halte ich ganz und gar nichts davon, unsere Freundschaft zu vertiefen. Nicht dass ich ihn nicht attraktiv genug fände. Eine klassische Schönheit ist er zwar nicht, dennoch strahlt er etwas aus, das einen gewissen Reiz ausübt. Und vielleicht hätte ich mich diesem Reiz schon längst nicht mehr entziehen können, würde ich Ben nicht bereits seit der ersten Klasse kennen. Für mich war er immer mehr so etwas wie ein Bruder. Okay, okay. Das stimmt nicht ganz. Tatsächlich war Ben der erste Junge, den ich geküsst habe. Nur zu reinen Übungszwecken! Wir waren vierzehn, mitten in der Pubertät und wollten eben wissen, wie es funktioniert. Damit wir für den „Ernstfall“ gewappnet waren. Das war alles. Und als er zwei Jahre später vorsichtig anfragte, ob wir nicht auch die Sache mit dem Sex mal miteinander ausprobieren sollten – natürlich nur, um Erfahrungen zu sammeln –, zeigte ich ihm bloß noch einen Vogel. Aber im Laufe der Jahre ließ er immer wieder mehr oder weniger offen durchblicken, dass sein Verlangen nach einem Schäferstündchen mit mir ungestillt ist. Meistens tarnt er es als Scherz. Nur ab und zu, so wie heute, bin ich mir nicht sicher, ob nicht mehr dahintersteckt, und ich bekomme Angst, dass er womöglich mehr für mich empfindet, als er je zugeben würde. Verlegen weiche ich seinem Blick aus.
„Bist du sicher, dass du die Frau fürs Leben noch nicht gefunden hast?“, erkundigt sich Matthias, der sich etwas beruhigt hat und sich die Lachtränen aus den Augen wischt.
„Na klar! Ich will ja nichts von Stella.“
„Außer Sex, meinst du“, amüsiert sich Luna.
„Bloß, um die Neugier zu stillen“, erklärt er. „Ich werde mich sonst ewig fragen, wie es mit ihr gewesen wäre.“
„Tja, dann wirst du wohl dumm sterben müssen“, sage ich leicht schnippisch. Mir gefällt nicht, wie die drei über mich reden. Als sei ich irgendein Objekt.
„Eines Tages kriege ich dich rum“, lächelt Ben mich wissend an. „Es ist nur eine Frage der Zeit.“
„Träum weiter“, entgegne ich und rücke demonstrativ ein Stück von ihm ab. „Wollt ihr jetzt hören, was ich mir wünsche, oder was?“
„Schieß los!“, fordert meine Schwester.
Nach dem heiklen Thema muss ich mich kurz sammeln, bevor ich meinen Zettel aufklappe, obwohl ich den Inhalt natürlich ganz genau kenne.
„Mein größter Wunsch für dieses Jahr ist es“, beginne ich und mache wie die anderen eine Kunstpause, um den Moment zu zelebrieren, „Partnerin in der Kanzlei zu werden!“, posaune ich dann heraus. „Und das Beste ist, dass mir der Posten praktisch schon sicher ist! Was sagt ihr dazu?!“ Strahlend sehe ich in die erstaunten Gesichter rings um mich.
„Wie kommst du darauf? Dass du es sicher wirst, meine ich?“, hakt Luna nach. „Ich gönne es dir natürlich! Ich frage mich nur … Bist dafür nicht noch etwas zu jung?“
Ich lache auf. „Das hat doch nichts mit dem Alter zu tun. Ich bin einfach die beste Kandidatin für die Stelle. Von allen Mitarbeitern bin ich am zweitlängsten in der Kanzlei beschäftigt. Außerdem hat Herr Richter es mir so gut wie versprochen“, berichte ich eifrig von dem Gespräch, das ich am letzten Tag vor den Weihnachtsferien mit meinem Chef geführt habe. „Natürlich inoffiziell. Aber er meinte, er sei sehr zufrieden mit mir, und einer weiteren engen Zusammenarbeit würde demnach nichts im Wege stehen.“ Ich muss mir auf die Lippe beißen, um vor lauter Vorfreude nicht laut loszujubeln.
„Wow. Das heißt, dein Name steht dann mit auf dem Türschild?“, fragt Ben.
„Ja“, lache ich. „Das gehört auch dazu.“
„Gratulation“, sagt Matthias. „Das schafft nicht jeder.“
„Meine große Schwester hat's eben voll drauf!“, bemerkt Luna anerkennend und prostet mir mit ihrem Sekt zu. Dankbar nicke ich ihr zu und trinke aus gegebenem Anlass ebenfalls noch einen Schluck.
„Wie geht’s weiter? Was hast du noch aufgeschrieben?“, fragt sie, sobald wir die Gläser wieder abgesetzt haben.
„Ach, weißt du, mehr wünsche ich mir eigentlich nicht“, gebe ich zu.
„Wie?“ Ben runzelt die Stirn. Auch die anderen scheinen erstaunt zu sein.
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