Beate ist außer sich. „Da wäre ich mir mal nicht so sicher. Es ist nicht jeder so herzlos wie du!“
„Ich bin nicht herzlos“, kreische ich nun beinahe und sehe dabei gerade noch, wie Süßkind mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen seine Bürotür hinter sich schließt.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich zugegebenermaßen immer noch leise Zweifel, ob ich wegen dieser ganzen Partnerschaftsgeschichte nicht tatsächlich etwas überempfindlich reagiere und mir Süßkinds Schikanen nur eingebildet habe. Jetzt habe ich den endgültigen Beweis: Dieser Mann will mich fertigmachen!
„Meinst du nicht, du siehst das alles ein bisschen zu eng?“, fragt Luna mich begleitet von einem herzhaften Gähnen, als ich am darauffolgenden Sonntag mit ihr telefoniere. „Immerhin hat er dir angeboten, dich bei deiner Arbeit zu unterstützen. Das hast du mir selbst erzählt.“
„Ja, weil er mich in falscher Sicherheit wiegen wollte. Wie alle anderen auch. In Wahrheit will er mich Schritt für Schritt ausschalten!“
Sie seufzt. „Er ist doch kein Killer.“
„Deswegen ist er nicht weniger gefährlich.“
„Was willst du denn dagegen unternehmen?“ Ehrlich gesagt, klingt sie etwas gelangweilt. Natürlich, sie hat ihn ja auch nicht in Aktion erlebt und kann sich kein Bild von der Ernsthaftigkeit der Lage machen. Vermutlich kann sie sich auch nur schwerlich in meine Situation versetzen. Als Grundschullehrerin hat sie ausnahmslos weibliche Kollegen, ist zudem verbeamtet und muss sich keine Sorgen um ihre Stelle machen. Außerdem ist sie ohnehin zurzeit im Mutterschaftsurlaub und hat vermutlich andere Dinge im Kopf als meine Büroquerelen.
„Irgendwie muss ich es schaffen, den anderen klarzumachen, was er vorhat. Du solltest mal sehen, wie Yildiz herumläuft, seit er da ist. Früher hat sie sich fast nie geschminkt. Jetzt legt sie ständig diese Kriegsbemalung auf und badet anscheinend morgens in ihrem Parfüm. Beate dreht vollkommen durch, weil er wahrscheinlich der einzige Mann in ihrem Leben ist, der ihr Beachtung schenkt. Von Tina fange ich gar nicht erst an. Deren Röcke werden jeden Tag kürzer, habe ich das Gefühl!“
„Du weißt doch wie Frauen sind, wenn ein schöner Mann in der Nähe ist“, sagt sie und gähnt erneut.
„Das ist ja das Schlimme!“ Schon immer habe ich die Frauen verabscheut, die ihr Gehirn ausschalten, wenn sie einem attraktiven Vertreter des anderen Geschlechts über den Weg laufen. Wozu haben wir denn jahrhundertelang um Gleichberechtigung gekämpft? Damit beim Anblick eines besonders anziehenden männlichen Wesens auf einen Schlag alles vergessen ist? Ich bin gegen solche äußerlichen Reize jedenfalls resistent. „Sie haben sich von seinem Aussehen komplett den Verstand vernebeln lassen. Deswegen muss ich ihnen ja die Augen öffnen. Natürlich nicht nur den Mädels, sondern vor allem Herrn Richter.“
„Und wie?“, murmelt sie.
„Tja, ich … bin mir nicht sicher. Vielleicht sollte ich ein bisschen in seiner Vergangenheit schnüffeln. Womöglich hat er irgendwelche Leichen im Keller, von denen nicht mal sein Onkel weiß und mit denen ich ihn zu Fall bringen kann.“
„Hm“, macht sie schläfrig.
„Oder ich verbreite fiese Gerüchte über ihn“, denke ich weiter laut. „Obwohl, wenn herauskommt, dass sie nicht stimmen, bin ich am Ende diejenige, die blöd dasteht. Davon abgesehen ist es stillos. Wenn ich schon kämpfe, dann auch mit fairen Mitteln. Oder was denkst du?“
Keine Antwort.
„Luna?“
Beharrliches Schweigen dringt mit entgegen.
„Soll ich das als Ablehnung deuten?“
In der Leitung ist nichts zu hören, bis auf ein leises Atemgeräusch
„Luna!!“
„Hm, was?“
„Bist du etwa gerade eingeschlafen?!“
„Sorry, ich bin total fertig. Finn hat wieder die ganze Nacht durch geschrien. Ich habe höchstens eine Stunde Schlaf bekommen.“
Mich überkommen Schuldgefühle. Meine Schwester muss sich jeden Tag der Herausforderung des Mutterdaseins stellen, und ich habe nichts Besseres zu tun, als sie mit Geschichten von meinem nervigen Kollegen zuzutexten.
„Das wusste ich nicht. Kannst du dich nicht jetzt ein bisschen hinlegen?“
„Wie denn? Ich kann ihn ja schlecht unbeaufsichtigt lassen.“
„Wo ist denn Matthias?“
„In der Redaktion. Wo sonst?“ Sie klingt verärgert. Dabei müsste sie es nach drei Jahren Ehe gewohnt sein, ihren Mann auch am Sonntag wegen seiner dienstlichen Verpflichtungen entbehren zu müssen.
„Er macht nur seinen Job“, wende ich ein.
„Ein bisschen zu engagiert, für meinen Geschmack!“ Das hört sich nicht nach allgemeiner Frustration über die familienfeindlichen Arbeitszeiten ihres Mannes an.
„Habt ihr euch gestritten?“, erkundige ich mich vorsichtig.
„Nein. Mich nervt es nur, dass er nicht mal am Wochenende zur Verfügung steht.“
„Weißt du was? Ich komme vorbei“, entscheide ich spontan. „Dann kannst du dich ausruhen und ich etwas Zeit mit meinem Neffen verbringen.“
„Das musst du nicht“, leistet sie schwachen Widerstand.
„Ich möchte aber. Und du kannst mir nicht erzählen, dass du etwas dagegen hast.“
Sie lacht leise und ergibt sich. „Na schön. Wie schnell kannst du hier sein?“
*
Eine halbe Stunde später öffnet mir eine völlig übernächtigte Luna die Tür. Ihre Haut ist blass, untere ihren sonst so strahlenden Augen zeichnen sich dunkle Schatten ab, und ihre Haare könnten dringend eine Wäsche gebrauchen.
„Ich weiß, ich sehe schrecklich aus“, sagt sie und schaut entschuldigen an ihrem Jogginganzug herab, der ein paar undefinierbare Flecken aufweist. „Ich komme einfach nicht mehr dazu, mich anständig anzuziehen. Oder mich auch nur zu waschen. Komm mir besser nicht zu nah. Könnte sein, dass ich nach Babykotze müffele.“
„Es gibt Schlimmeres“, lache ich und nehme sie entgegen ihres Ratschlags in den Arm.
„Echt lieb von dir, dass du gekommen bist.“
„Ich habe doch gesagt, ich stehe jederzeit als Babysitterin zur Verfügung“, erinnere ich sie, während wir ins Wohnzimmer gehen. Dort liegt Finn auf einer Wolldecke und nuckelt an einem Stoffhasen. Als er mich erblickt, lässt er von dem Spielzeug ab und gibt ein paar entzückende Babylaute von sich. Ich deute sie als Ausdruck der Freude.
„Ja, hallo, mein kleiner Fratz!“, begrüße ich ihn.
„Babababa!“, kreischt er.
Luna schaut auf uns herab. „So engelhaft wie er da liegt, würde man nie auf die Idee kommen, dass er noch vor zehn Minuten geschrien hat, als wäre er vom Teufel besessen, was?“, fragt sie sarkastisch und schlägt sich gleich darauf erschrocken die Hand vor den Mund. „Oh Gott, ich klinge so undankbar, oder?“
„Nein. Nur wie eine ganz normale Mutter“, beruhige ich sie lächelnd. Mir ist jedenfalls noch keine Frau mit Kindern begegnet, die ihren Nachwuchs nicht ab und zu gerne einmal auf den Mond schießen würde.
„Ich weiß nicht.“ Erschöpft lässt sie sich aufs Sofa sinken. „Die Mütter, die ich bis jetzt kenne, würden nie schlecht über ihre Babys reden. Die behandeln sie, als wären sie die neuen Einsteins oder Mozarts oder da Vincis.“
„Aber sicher nicht mehr, wenn sie von ihnen um vier Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen werden.“
Sie deutet ein Lächeln an.
„Mach dir nicht so viele Gedanken, hörst du? Und jetzt gönn dir mal eine Pause. Ich kümmere mich um ihn.“
„Du bist die Beste“, seufzt sie voller Dankbarkeit und macht sich auf den Weg zum Badezimmer, um die wahrscheinlich langersehnte Dusche zu nehmen. Ich will meinen Neffen gerade von seiner Decke heben, da klingelt es an der Tür.
„Hast du noch jemanden herbestellt?“, rufe ich Luna zu.
„Ganz bestimmt nicht“, erschallt es zurück. „Verdammt, wer ist das denn jetzt?“ Genervt macht sie kehrt und betätigt den Türöffner.
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