Sie betrat den Hauptmaschinenraum, der das gesamte hintere Drittel der Decks Eins bis Drei einnahm. Hena-Gedar winkte eine Oberfrau zu sich, die an der Uniform das Abzeichen einer leitenden Tech-Ingenieurin trug. „Berichte. Wie kommt ihr mit der Bedienung der Technik voran?“
Die Frau salutierte. „Wir kennen einen Teil der Funktionen bereits von dem zivilen Menschenschiff, welches vor einem Jahr im Raum aufgebracht wurde. Daher wissen wir, dass die Menschen bei der Technik und der Konstruktion ihrer Schiffe durchaus ähnlichen Prinzipien folgen. In einigen Bereichen scheinen sie uns voraus zu sein, in anderen erscheinen mir ihre Lösungen eher… unpraktisch.“
Persönliche Ansichten interessierten Hena-Gedar im Augenblick recht wenig. „Datenverarbeitung, Antriebe, Waffen und Lebenserhaltung… Berichte.“
„Verzeiht, Herrin, ich schweifte ab.“ Die Ingenieurin deutete eine demütige Verbeugung an. „Die Datenspeicher des Schiffsarchivs wurden von seiner Besatzung gelöscht oder sogar zerstört. Allerdings konnten wir die aus ihrem Beiboot retten und verfügen damit über die aktuellsten Sternenkarten der Menschen. Die Datenspeicher zu den Schiffsfunktionen blieben unberührt, allerdings gibt es noch Probleme, ihre Maschinensprache zu entschlüsseln. Die Menschen verwenden sogenannte tetronische Verbindungen und künstliche tetronische Intelligenz für ihre Steuerungsfunktionen. Wir können die Kernfunktionen aktivieren und rudimentäre Programme aktivieren, allerdings sind wir noch nicht in der Lage, eigene Programme in die Schiffsysteme zu übertragen. Diese Tetroniken sind übrigens erstaunlich. Sie sind deutlich schneller, als unsere eigenen eTronischen Systeme.“ Die Oberfrau bemerkte die Ungeduld ihres Gegenübers. „Ich bin mir sicher, dass wir das Schiff werden fliegen können, ehrenwerte Herrin. Die Steuerung ihres Hiromata, so nennen die Menschen ihren Schwingungsantrieb, beherrschen wir in seinen Grundfunktionen. Wir können ihn aktivieren und ziemlich genau steuern. Allerdings werden wir bei den ersten Flügen durch die Nullzeit-Schwingung mit kleinen Abweichungen rechnen müssen, bis wir alle Steuervorgänge vollendet beherrschen. Das Problem besteht nicht darin, den Schwingungsantrieb der Menschenwesen zu benutzen, sondern ihn mit den Navigationsdaten zu synchronisieren, so dass man an einem vorausberechneten Punkt aus der Schwingung kommt.“
„Sind diese tetronischen Systeme denn wirklich so kompliziert?“
„Wir müssen ihre Codierungen entschlüsseln und verstehen, Herrin, und in der Kürze der verfügbaren Zeit...“ Die Ingenieurin zögerte kurz. „Ich schlage vor, möglichst viele Funktionen dieses Schiffes durch unsere eigenen Steuerungseinheiten regeln zu lassen. Wir können die tetronischen Elemente abklemmen oder umgehen und unsere tragbaren eTroniken anschließen.“
„Ich verstehe. Doch werden ihre Systeme mit unseren Steuerungseinheiten funktionieren?“
„Ich bin mir sicher, dass sie, wenigstens in ihren Grundfunktionen, kompatibel sind.“
„Gut. Tauscht die tetronischen Steuerungseinheiten aus oder umgeht sie, sofern wir dafür ausreichend eigene Steuerungseinheiten verfügbar haben.“
„Es wird deinem Wunsch entsprechend geschehen, Herrin. Die Lebenserhaltungssysteme des Schiffes funktionieren einwandfrei. Ich sprach vorhin übrigens mit einem unserer Lebensbewahrer. Er teilte mir mit, wir könnten auf die Vorräte hier an Bord zurückgreifen, da unser Metabolismus weitgehend dem der Menschen entspricht.“ Die Frau zögerte erneut. „Ich wage dennoch keine Prognose bezüglich des Geschmacks und der Verdaulichkeit.“
Hena-Gedar wippte nachdenklich auf den Fersen. „Die Primär-Kommandantin würde es mir nicht danken, wenn unsere Besatzung wegen Magenkrämpfen ausfällt. Wir werden besser unsere eigenen Vorräte von der Solaan herüber bringen lassen.“
Die Kommandantin verließ den Maschinenraum mit seinen geschäftigen Technikern und beschloss, sich nun direkt auf die Brücke zu begeben. Im Hauptkorridor des Oberdecks, der nach vorne zur Offiziersmesse, den Offiziersquartieren, der Brücke und dem Bugbereich führte, gab es ebenfalls kaum Kampfspuren. Ein paar Blutlachen wurden entfernt, Einschüsse von Impulspistolen dahingehend überprüft, ob sie Schäden an Kabeln oder Versorgungsleitungen in Decken oder Wänden hervorgerufen hatten.
Inzwischen befanden sich fast dreihundert Negaruyen an Bord, davon eine volle Sturmabteilung der Kampftruppe, die das Schiff schützte. Die Mehrheit stellte jedoch die Besatzung des Menschenschiffes. Hena-Gedar gehörte als Kommandantin zu dieser neuen Besatzung und so stolz sie auch auf diese Aufgabe war, so litt sie zugleich auch unter ihr, denn sie gehörte nunmehr zu den Geschulten und Veränderten.
Welche äußere Veränderung dies vor allem betraf, wurde Hena-Gedar wieder einmal bewusst, als sie die Brücke des Kreuzers betrat und hier Primär-Kommandantin Desara-dal-Kellon vorfand.
Die Oberbefehlshaberin der Flotte der verborgenen Welt trug die schlichte hellblaue Borduniform. An der linken Brustseite war das Wappen der verborgenen Welt zu sehen. Zwei Hände, die sich sehnsüchtig einem Stern entgegen streckten. Am Kragen schimmerten die drei Sterne, die den hohen Rang auswiesen. Desara war ohne Zweifel eine begehrenswerte Frau, mit einem ebenmäßigen Gesicht, in dem die hellblauen Augen mit ihren silbernen Pupillen dominierten. Das blonde Haar trug sie kurz, so dass es wie eine Kappe eng am Kopf anlag.
Sie saß im Sessel des Captains, flankiert von ihren vier persönlichen Leibgardisten, welche Kampfanzüge trugen. Die Männer führten Impulslaser und Raketengewehr sowie eine kleine Neuro-Peitsche. Ein breiter hellroter Streifen führte von der rechten Schulter zur linken Hüfte und zeigte, dass sie das Recht besaßen, uneingeschränkte tödliche Gewalt auszuüben, ohne hierüber Rechenschaft ablegen zu müssen. Dies galt auch für Gewalt gegenüber Frauen, was außergewöhnlich war. In der Hierarchie der verborgenen Welt, in der die Frauen das Sagen hatten, war es nicht selten, dass ein sehr fähiger Dienender den Rang eines Untermannes erreichte. Diese Vier hingegen waren sogar in den eines Obermannes aufgestiegen. Ihre Gesichter wirkten ausdruckslos, doch die Bewegung ihrer Augen verriet stete Wachsamkeit, selbst hier, wo Desara von Negaruyen umgeben war, die sie durchweg verehrten und bereit waren, ihr Leben für sie zu geben.
Desara-dal-Kellon wartete die Meldung ihrer Kommandantin ab, schlug die Beine übereinander und musterte ihr Gegenüber mit einem angewidert wirkenden Blick. „Du bist abgrundtief hässlich, Hena.“
Hena-Gedar litt selbst unter der Entstellung. So wie alle Geschulten, die zu Veränderten geworden waren. „Deinem Wunsch entsprechend, verehrte Herrin.“
„Das ist wohl wahr.“ Desara lächelte sanft. „Du bringst ein großes Opfer und das verdient meine Anerkennung. Dir, den anderen Veränderten und diesem Schiff wird es zu verdanken sein, wenn wir den langen Krieg gewonnen haben.“ Die Primär-Kommandantin erhob sich und schritt langsam um Hena herum, wobei sie immer wieder nickte. „Hässlich und perfekt. Du siehst mit der gezüchteten Menschennase tatsächlich wie ein Menschenweib aus. Wenn du nachher die Uniform ihrer Kämpfer trägst, wird niemand in Zweifel ziehen, dass du auch tatsächlich eine von ihren Kreaturen bist.“
Die Männer und Frauen an den Konsolen der Brücke trugen bereits die Uniformen der menschlichen Streitkräfte und sie alle waren Veränderte. Es schien, als werde die Brücke noch immer von der ursprünglichen Besatzung genutzt. Zwischen den Veränderten bewegten sich unveränderte Negaruyen, die in ihre Arbeiten vertieft waren. Die Brücke des eroberten APS-Kreuzers D.S. Nanjing war hell erleuchtet. Die meisten Abdeckungen und Wartungsschächte der Konsolen waren geöffnet und die Negaruyen waren noch immer dabei, die in so vielen Dingen fremdartige Technik der Menschen zu studieren und zu begreifen.
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