„Können wir gleich noch einmal ins Wasser?“ und Werner antwortete ihm:
„Natürlich, lass uns zuerst alle in Ruhe essen und trinken, danach gehen wir wieder zum Meer!“ Am nächsten Tag würde Peter drei Jahre alt werden, er war bis zu diesem Zeitpunkt noch nie am Meer und würde den Ausflug nach Zandvoort wohl nie wieder vergessen. Bärbel sagte:
„Wenn man sich einmal vorstellt, wie es bei uns zu Hause aussieht, und in welchem Glück Ihr und wir hier leben!“ Natürlich gab es diese auffälligen Unterschiede zwischen dem am Boden liegenden Deutschland auf der einen und dem prosperierenden und in vollem Saft stehenden Holland auf der anderen Seite, aber sollten sie als Verursacher vielen Übels in der Welt, als Besatzer in Holland, deshalb ihre Verwandten nicht besuchen und an deren Leben teilhaben? Sie zahlten ihr Essen und die Getränke in der Strandbar und liefen wieder zu ihrem Platz auf den Strand hinunter.
„Und jetzt gehen wir alle ins Wasser!“, rief Robert, und er forderte die Frauen auf mitzukommen, obwohl sie sich zierten und Agnes, Doris und Bärbel sich lieber unter die Sonnenschirme gelegt hätten. Aber es half nichts, die Kinder trieben ihre Omas und Mütter zum Wasser. Und als sie mit den Füßen im Wasser standen, begann Peter, die Erwachsenen nass zu spritzen, was einen Aufschrei der Frauen zur Folge hatte, denn das Wasser war recht frisch. Als die Kinder aber alle damit anfingen und nicht mehr aufhörten, gingen die Erwachsenen zum Gegenangriff über und spritzten die Kinder nass. Und auch die Kinder schrien, weil sie das kühle Wasser nicht an ihren Körpern haben wollten. Schließlich waren sie aber so weit abgekühlt, dass sie sich ins flache Wasser legten und herum planschten. Ihre Mütter und Omas setzten sich zu ihnen, und die Männer gingen in tieferes Wasser, um eine Runde zu schwimmen. Als sie wieder zurückgekommen waren, liefen sie zu den Kindern und wollten gerade Quatsch mit ihnen machen.
Plötzlich sah Robert in unmittelbarer Nähe eine Qualle auf dem Trockenen liegen, die von der letzten Flut dorthin geschwemmt worden war und er zeigte den Kindern das wabbelige Tier. Gerade wollte Peter mit seinen nackten Füßen auf die Qualle treten, als Robert ihn zurückhielt und den Kindern sagte, dass man sich fürchterlich wehtäte, wenn man mit seiner Haut die Nesselfäden einer Qualle berührte. Gerda, die hinzugekommen war, bestätigte das, was Robert den Kindern gesagt hatte, aus eigener Erfahrung. Sie zeigte auf die Stelle an ihrem Unterschenkel, wo die Feuerqualle sie erwischt hatte, sie hätte es Margas sofortiger Reaktion zu verdanken gehabt, dass die Schmerzen erträglich geblieben waren und hinterher schnell abklangen. Den Kindern blieben die Münder offen stehen, als sie die schrecklichen Geschichten über die Quallen hörten, die aussahen wie Wackelpudding, den jemand auf den Strand geschüttet hatte.
„Wenn die Qualle nicht von der Sonne vollkommen ausgetrocknet wird, wird sie von der nächsten Flut wieder ins Meer gespült und lebt weiter“, sagte Robert. Sie liefen wieder zu ihren Sachen und trockneten sich ab, alle zogen sich unter ihren Badehandtüchern hinterher trockene Sachen an, bevor sie langsam wieder zum De-Favauge-Plein liefen und dort in die Autos stiegen. Die Kinder waren so geschafft, dass sie beinahe im Auto einschliefen, das machte die Seeluft in Kombination mit der Sonne, die den Körpern arg zusetzten. Auch die Erwachsenen waren müde und genossen es, in den weichen Autositzen ruhen zu können, alle waren sie ganz still und niemand hatte das Bedürfnis zu reden.
Noch einmal warfen sie einen Blick auf den schönen Strand, Robert, der am Steuer saß, fragte die ganz kleinen Kinder von Gerda und Siegfried, ob ihnen der Strandtag gefallen hätte, aber die Kleinen konnten die Frage noch nicht beantworten. Robert setzte seinen Wagen in Bewegung und fuhr vor, die anderen kamen hinterher, und sie traten die Heimfahrt an. Die Kinder waren zu müde, um aus den Fenstern zu schauen und etwas von Zandvoort mitzubekommen. Agnes und Gerda unternahmen einiges, um sie am Schlafen zu hindern. Denn wenn die Kinder im Auto einschliefen, bekämen sie sie in Amsterdam nicht mehr wach und hätten am Abend Schwierigkeiten, sie ins Bett zu bekommen. So sangen Agnes und Gerda abwechselnd Lieder, die sie noch von früher behalten hatten. Gerda sang zu Hause häufig mit ihren Kindern, die Kleinen sahen Oma und ihre Mutter an und fanden es wohl schön, was die da sangen, wenngleich sie die Textzeilen noch nicht verstehen konnten. So passierten sie wieder Haarlem und gelangten schließlich in die Keizersgracht in Amsterdam, wo sie vor dem Haus der Goldschmids parkten. Alle stiegen aus den Autos aus, und man sah den Kindern die Müdigkeit an, sie hingen ihren Müttern an den Rockzipfeln und konnten kaum noch laufen. Als Agnes aber sagte:
„Ich glaube, ich habe im Haus für alle Kinder etwas Leckeres“, waren sie wie ausgewechselt und Christine fragte:
„Was hast Du denn für uns?“
Aber Agnes verriet nichts uns ging ins Haus voraus und als sie alle auf der Terrasse angekommen waren, holte Agnes den Kindern Schokolade und legte sie auf die Terrassentische. Das war etwas, das die Kinder zu Hause nie bekamen, weil es keine Schokolade in Deutschland gab und wenn doch, so auf dem Schwarzmarkt zu sündhaft hohen Preisen. Die jungen Mütter brachen ihren Kindern kleine Stücke von der guten Verkade-Schokolade ab und gaben sie ihnen. Die Schokolade war für die Kinder das Größte, sie lutschten an den Stücken und waren im Nu wieder eingesaut. Agnes holte Tücher, mit denen die Mütter den Kindern die Hände und das Gesicht abwischen konnten. Robert holte Getränke nach draußen, und als jeder Wein, Bier und die Kinder Limonade hatten, sagte er:
„Ich habe eine Überraschung für Euch, heute Abend habe ich für uns im „Het ou Stal“ reserviert, wir können um 19.00 h dort essen wie wir das früher schon getan hatten, die Wirtin ist auch noch da.“
„Das hast Du ja prima eingefädelt!“, sagte Manfred, „ich denke, dass es auch den Kindern dort gut gefallen wird!“ Es war später Nachmittag geworden, die Sonne brannte schon den ganzen Tag vom Himmel und brachte Hitze, sodass sie alle unter den Sonnenschirmen saßen und viel tranken.
„Passt auf, dass Ihr nicht betrunken werdet, Ihr müsst alle noch den Weg bis zum Restaurant und zurück laufen, ich möchte nicht, dass jemand von Euch schlappmacht!“, sagte Robert. Die Frauen zogen sich um und gaben auch den Kindern frische Sachen, alle machten sich bereit und liefen um 18.30 h los.
Die Kinder, die eigentlich noch vom Strandaufenthalt hundemüde waren, waren mit einem Mal wie ausgewechselt und rannten herum, sodass ihre Eltern auf sie achtgeben mussten, damit sie nicht irgendwo in eine Gracht fielen. So erreichten sie zwanzig Minuten später „Het ou Stal“, und als sie mit siebzehn Personen das Lokal betraten, wurden die anwesenden Gäste für eine Weile still und schauten. Als sich aber alle an die beiden zusammengeschobenen Tische gesetzt hatten, nahmen sie ihre Gespräche wieder auf und waren so fröhlich wie zuvor. Plötzlich kam die Wirtin zu ihnen an die Tische und die jungen Eltern, die sie zuletzt vor elf Jahren gesehen hatten, machten große Augen.
„Da seid Ihr ja alle wieder!“, sagte sie mit ihrer tiefen Stimme, mit der sie schon damals aufgefallen war, so als wären sie nur einmal kurz verreist gewesen und nun wieder zurück. Die Kinder blickten die Wirtin an und fürchteten sich wohl vor ihr, aber die Wirtin konnte ihnen wohl die Angst nehmen, lief zur Theke und kam mit einem Dauerlutscher für jedes Kind zurück, den sie ihnen gab. Das nahm den Kindern gleich die Skepsis gegenüber der alten Frau und sie lächelten sie an.
„Schön, dass Ihr mal wieder vorbeigekommen seid!“, sagte sie und sie stellte fest, dass alle jungen Leute von damals zusammengeblieben waren und Familien gegründet hatten. „Het ou Stal“ lag im Jordaan-Viertel von Amsterdam und das bedeutete, dass man in dem Arbeiterviertel einen besonderen Groll gegen alles Deutsche hatte, und als die Anwesenden merkten, mit wem sie es bei den Hinzugekommenen zu tun hatten, wurden einige an den Nebentischen böse und wollten sogar schon das Lokal verlassen. Die Wirtin verstand es aber, die Gemüter zu beruhigen und klärte ihre Gäste auf, dass die Deutschen ganz alte Gäste wären, die die Nazi-Zeit ebenso verachteten wie alle anderen auch. Mit einem Mal stand Robert auf und ergriff das Wort:
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