Sex sells, dachte er und hoffte, dass er mit seinen Künstlern nie soweit gehen musste.
Den Fernseher einzuschalten war immer das Erste, was er tat, wenn er nach Hause kam, um von der Ruhe abzulenken, die sich sonst über das Haus gelegt hätte. Ruhe, die in schlechten Momenten in Einsamkeit um schwang.
Er schüttelte den Kopf und erhob sich, um sein Glas nachzufüllen. Der Abend war viel zu erfolgreich verlaufen, um ihn sich nun mit finsteren Gedanken zu versauen.
»Die richtige Frau wird auch noch in mein Leben treten«, flüsterte er.
In diesem Moment läutete jemand an der Tür.
Vielleicht ist sie das schon, dachte er oder es waren die Ladys aus dem Restaurant, die nicht so schnell aufgegeben hatten und ihm hierher gefolgt waren. Auch das wäre nicht zum ersten Mal passiert. Die Leute kamen manchmal auf die absonderlichsten Ideen.
König stellte das Glas auf den Beistelltisch neben dem Sofa und schlurfte zum Eingang.
Eine große Silhouette zeichnete sich durch das Milchglas der Tür ab. Zu groß für eine Frau, schoss es ihm durch den Kopf.
Er überlegte, ob er einen Termin verpasst hatte, doch er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Wer sollte ihn also so spät noch besuchen?
Eigentlich hatte er schon länger eine Kamera einbauen lassen wollen, um die Menschen, die vor seiner Tür standen identifizieren zu können, aber er war bis jetzt noch nicht dazu gekommen.
Und nun stand ein Unbekannter vor der Tür.
Wie ist er überhaupt durch das Eingangstor gekommen, fragte sich König. Hatte sich das Ding nicht geschlossen? War die Mechanik mal wieder im Eimer und einer seiner Nachbarn wollte ihn darauf hinweisen? Es gab da so ein paar Vögel, die spät abends mit ihren Hunden patrouillierten und die umliegenden Grundstücke beobachteten. So eine Art privater Wachdienst. König konnte diese Leute nur belächeln. Sie befanden sich immer noch in Mönchengladbach und nicht in einem Krisengebiet.
Er hatte die Tür erreicht und der Schatten, den der Mann vor der Tür warf, war beunruhigend groß. Doch König war kein ängstlicher Mann. Er war körperlich gut in Form und hatte in seiner Jugend den einen oder anderen Kampfsport ausgeübt, auch einer der Gründe, warum er sich nie hatte vorstellen können, so etwas wie einen Bodyguard anzuheuern, selbst wenn seine Berühmtheit noch mehr durch die Decke schießen würde.
»Hallo?«, fragte er den Schatten. »Wer ist da?«
»Kramer. Ein Nachbar«, sagte die Stimme. »Tut mir leid, dass ich Sie so spät noch störe, aber irgendetwas stimmt mit Ihrer Gartenbeleuchtung nicht. Eine Lampe scheint genau in unser Schlafzimmer und ich krieg kein Auge zu.«
»Machen Sie doch die Rollos runter!«, war das Erste, was König durch den Kopf ging. Außerdem lagen die Häuser so weit auseinander, dass dieser Vorwurf ziemlich bescheuert war. Aber er wollte keinen Krach mit den Nachbarn. Immer schön freundlich bleiben!, dachte er. Bloß keine schlechte Presse. Er konnte sich keine Bildzeitungsschlagzeile erlauben, in der von einem unfreundlichen, arroganten Produzenten die Rede war. Solche Geschichten hatten schon ganz anderen Leuten das Genick gebrochen.
»Ich kümmere mich darum«, sagte er und öffnete die Tür.
Wenn das vor ihm ein Nachbar war, dann hatte er ihn auf jeden Fall noch nie hier gesehen. Der Mann war riesig, trug einen ungepflegten, langen Mantel und er stank. Das Gesicht wurde völlig von einem zauseligen Vollbart verdeckt und nur zwei kalte Augen blitzten König an.
War wohl ein Fehler die Tür aufzumachen, dachte er, brachte aber nur ein: »Wer sind Sie?« heraus.
Der Mann stellte sich nicht vor. »Willkommen in der Hölle!«, sagte er nur. Dann schoss seine Hand vor und eine Spritze bohrte sich in Königs Arm.
Der Produzent merkte wie ihm langsam schwindelig wurde. Er wollte die Tür schließen, doch der Riese hatte ihn schon im eisernen Klammergriff. Dann gingen die Lichter aus und es umfing ihn eine undurchdringliche Schwärze.
Jil Schwarz stand vor dem Spiegel. Sie neigte ihren Kopf, spielte mit ihren langen rotbraunen Haaren und rückte ihr 75 DD Dekolleté zurecht.
Heute Abend würde sie ihn bekommen, das stand für sie fest. Stefan König war ihr nächstes »Opfer«. Er würde keine Chance haben. Genauso wenig wie die anderen vor ihm. Sie lachte ihr Spiegelbild an.
Viele Frauen beneideten sie um ihre Figur, um ihr Lolitagesicht, ihre üppige Oberweite und ihre Ausstrahlung.
Jil wusste, dass sie mit ihren 31 Jahren verdammt gut aussah. Ihre Strategie, wenn es überhaupt eine gab, ging immer auf. Sie nahm sich einfach, wen sie wollte. Mit ihrem Egoismus übertrieb sie es manchmal und brachte so die eine oder andere Freundin zur Weißglut. Doch Jil war es egal. Sollten sich die anderen Mädels doch mit den ganzen Losern abgeben. Sie schnappte sich immer das Alphatier und heute sollte es Stefan König sein.
Sie waren sich auf einer Party in der Gladbacher Altstadt begegnet. Nach kurzem Zögern seinerseits, welches sie, angesichts ihrer Reize, schon für eine reife Leistung hielt, hatte er ihr seine Adresse gegeben. Natürlich war ihr klar, wen sie dort vor sich hatte. Der Musikproduzent war schon eine echte Nummer, aber wer sollte ihr schon widerstehen können?
»Zeit für einen Überraschungsbesuch!«, sprach sie mit der Frau im Spiegel, drehte sich um und verließ das Haus.
Ihr Golf Cabriolet fuhr problemlos durch seine Einfahrt.
Komisch!, dachte sich Jil. Normalerweise ist doch das Haus eines Promis bestimmt viel besser gesichert.
Kurz vor dem Haus hielt sie an, öffnete die Fahrertür und ließ ihre langen Beine langsam aus dem Auto gleiten, so dass es aussah als würden ihre High Heels auf den Boden schweben.
Vielleicht stand er ja am Fenster und beobachtete, wer dort urplötzlich, mitten in der Nacht, bei ihm auftauchte.
Die Haustür stand einen Spalt offen.
Jil war etwas mulmig zumute. Hatte er sie schon von Weitem kommen sehen? Aber er kannte doch ihr Auto gar nicht.
Etwas schüchtern rief sie durch den Spalt ein leises »Hallo«.
Nichts!
»Hallo?«, hauchte Jil noch einmal.
Wenn das hier ein Scherz war, dann verstand sie definitiv keinen Spaß.
Sie drückte leicht gegen die Tür, so dass diese ein wenig weiter aufschwang.
Augenblicklich knallte irgendwo in der Wohnung etwas auf den Boden. Jil schrie. Sie lief zu ihrem Auto, nestelte ihr Handy aus dem Handschuhfach und rief in ihrer aufkommenden Panik den Notruf.
Die Wanderratten hatten tagelang nichts mehr gefressen. Von den einst zehn ihrer Gattung lebten nur noch sechs. Trotz ihres ausgeprägtem Sozialverhaltens und der gleichen Rudelzugehörigkeit hatten sie damit begonnen, sich gegenseitig zu fressen.
Sie waren eingesperrt. Die Wand um sie herum war zu robust, selbst für ihre starken Zähne. Ihr Tod schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Doch dann öffnete sich eine Klappe. Endlich: Ein Loch, ein Durchgang in die Freiheit. Sie begannen zu rennen, schnell zu rennen. Den vermeintlichen Ausgang vor Augen rasten sie wie von Sinnen in diese Richtung. Egal was ihnen nun noch im Weg stand, sie würden sich durch alles durchfressen. Nichts konnte sie halten!
Es war stockfinster. Stefan dröhnte der Schädel. Er wusste weder wo er war, noch war ihm so richtig klar, was passiert war. Irgendein Nachbar oder so ähnlich war auf ihn zugekommen und…wo war er überhaupt?
Er versuchte sich zu orientieren.
Ihm fiel auf, dass er sich kaum bewegen konnte. Nach besten Kräften versuchte er, sich zu drehen und sich aufzusetzen, alles vergebens. Immer stieß er auf einen Widerstand.
Seine Müdigkeit verflog und machte einer unbeschreiblichen Angst Platz.
Panisch versuchte er, wenigstens seine Beine auszustrecken. Zu seiner Überraschung gelang es.
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