Sie hatte die Situation einfach nicht mehr ausgehalten und war deshalb so fluchtartig davon gebraust. Eine kleine Träne lief ihr aus dem Auge. Sie wischte sie weg und schalt sich selbst eine dumme Gans. Was zum Teufel hatte sie sich eigentlich erhofft. Hatte sie geglaubt, dass er sie an sich reißen und leidenschaftlich küssen würde wie in einem kitschigen Liebesfilm. Und doch war ihr der Abschied, und der Gedanke daran ihn womöglich niemals wiederzusehen, furchtbar schwer gefallen. Ihr Herz klopfte schwer in ihrer Brust und sie kam sich vor wie damals als dreizehnjähriger Teenager, als sie sich das erste Mal in einen Klassenkameraden verschossen hatte. Eigentlich wollte sie sich ja auch auf gar keine Romanze mehr einlassen. Zumindest nicht in der nächsten Zeit. Sie konnte froh sein wenn Robert ihr hoffentlich endlich die Ruhe lassen würde die sie sich so ersehnt hatte.
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Gut. Die Entscheidung war ihm abgenommen worden. Er stand da, mit Rusty an seiner Seite, und blickte Sarah hinterher wie sie regelrecht davonraste. Was war nur plötzlich in sie gefahren, dass sie es auf einmal so eilig hatte? Während ihrer Unterhaltung hatte er nicht den Eindruck gehabt, dass zu Hause jemand auf sie wartete oder irgendetwas nicht stimmte. Darüber war er, wie er sich eingestehen musste, auch ziemlich erleichtert gewesen. Nun denn. Er würde mit seinem kleinen Freund nach Hause gehen und den Abend bei einem Glas Wein und dem Fernsehgerät ausklingen lassen. Morgen war ein neuer Tag und es war seit langem ein ereignisreiches und schönes Wochenende für ihn gewesen. Die letzten Jahre hatte er die Wochenenden gehasst wie die Pest. Unter der Woche hatte er stets zu tun mit seinen Patienten und deren oft aufgeregten und besorgten Besitzern. Das lenkte ihn ab und füllte ihn weitestgehend aus. Aber die Wochenenden schienen sich oft ewig hinzuziehen und er hatte viel zu viel Zeit um zu grübeln. Mit Rusty hatte er endlich eine neue Aufgabe gefunden aber die Unterhaltung mit Sarah hatte ihm gezeigt, dass es an der Zeit war wieder unter Menschen zu gehen. Nicht nur in der Praxis sondern auch privat. Er nahm sich vor sich ein Hobby oder eine Beschäftigung zu suchen bei der er unter Leute kam und die ihm körperlich guttun würde. Tanzen lag ihm nicht besonders. Das hatte er schon einmal versucht und selbst wenn ihm das Tanzen an sich schon gefallen hatte so waren ihm die Damen, die er dabei unweigerlich antraf, meist zu aufdringlich gewesen und er hatte schon nach kurzer Zeit die Lust daran verloren. Alleine auf der Straße zu joggen oder Fahrrad zu fahren? Das war auch nicht sein Ding. Außerdem wäre das wieder eine Beschäftigung gewesen, die er alleine durchführte. Also blieb nicht allzu viel übrig. Vielleicht sollte er sich doch mal nach einem geeigneten Sportstudio umsehen. Er konnte ja sicher ein Probetraining vereinbaren und sich dann endgültig entschließen ob er dabei bleiben wollte.
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Die Nacht hatte er ruhig geschlafen und auch wenn er ihm das gemütliche Körbchen im Wohnzimmer gerichtet hatte, so zog Rusty es vor am Boden neben seinem Bett zu schlafen. Alexander hatte nichts dagegen. Hatte Rusty ihn doch aus seinem Albtraum befreit indem er ihn daraus geweckt hatte. Vielleicht würde ihm die Anwesenheit des kleinen Hundes ein wenig dabei helfen in Zukunft ruhigere Nächte zu verbringen. Der Traum dieser Nacht hatte allerdings so gar nichts mit dem gemein den er sonst immer hatte. Allerdings war er fast genauso aufregend für ihn gewesen. Wenn auch aufregend und aufwühlend in einem ganz und gar anderen Sinne. In diesem Traum war er nicht alleine sondern er war in Begleitung einer leicht bekleideten Blondine, deren schönes Gesicht ihm schon seit er sie kennengelernt hatte nicht mehr aus dem Sinn ging. Sie waren allein in einem großen, abgedunkelten Ballsaal. Leise lief ein romantisches Lied, das er irgendwoher kannte, aber nicht definieren konnte woher. Man konnte nicht erkennen woher die Musik kam, doch sie schien von überall her zu erklingen und sie tanzten im Rhythmus der Melodie als wenn es kein Morgen gäbe. Engumschlungen fanden sie dennoch eine Möglichkeit sich gegenseitig die Kleider abzustreifen und gerade als es besonders interessant wurde klingelte Alexanders Wecker. Benommen von diesen Eindrücken versuchte er einen klaren Kopf zu bekommen und streckte seine Glieder. Rusty, der mitbekommen hatte, dass er nun endlich wach war, sprang auf das Bett und begrüßte ihn stürmisch. „Hey, hey kleiner Mann. Das wollen wir aber gar nicht einreißen lassen. Mach, dass du runter kommst.“, sagte er versucht streng und setzte ihn zurück auf den Boden. Dort streichelte er ihn zur Beruhigung und ging danach ins Badezimmer. Sein Traum musste ihn wohl sehr aufgewühlt haben, denn seine dichten Haare standen in alle Richtungen als er in den Spiegel blickte. Selbstkritisch betrachtete er seinen Körper im Profil. Hatte er etwa da einen Bauchansatz? Eigentlich hatte er sich stets mühelos seine gute Figur erhalten können. Ohne jede Diät oder übertriebene sportlichen Aktivitäten. Früher hatte er so einige Selbstverteidigungskurse belegt und sich in den verschiedensten Kampfsportarten sehr gut geschlagen. Das war damals so eine Art Therapie für ihn gewesen. Aber er war nun auch keine zwanzig mehr. Vielleicht sollte er gar nicht allzu viel Zeit verstreichen lassen und sein Vorhaben von gestern so bald wie möglich in die Tat umsetzen. Er nahm sich vor seine junge Sprechstundenhilfe Diana nach einem guten Sportstudio zu fragen. Pia-Maria war diesbezüglich wohl kaum der richtige Ansprechpartner. Obwohl. Man konnte nie wissen. Warum eigentlich nicht? In einem guten Sportstudio müsste eigentlich auch die ältere Generation willkommen sein. Er würde sie ganz einfach beide fragen. So machte er auf gar keinen Fall einen Fehler.
Voller Tatendrang machte er sich für den Tag bereit. Seine Laune war gut wie selten und beinahe vergaß er dabei seine sonst üblichen Sorgen. Er pfiff sogar ein Lied während er sich duschte und nach einer Weile fiel ihm auf, dass es sich dabei um die Melodie aus seinem Traum handelte. Sarah!!! Schade, dass sie gestern so plötzlich auseinandergegangen waren ohne ein neues Treffen auszumachen. Aber er hatte ja ihre Nummer. Nur warum hatte sie es gestern auf einmal so eilig gehabt von ihm fortzukommen? Was war das nur für ein Lied, das ihm nicht mehr aus dem Sinn ging? Plötzlich kam er drauf. Jealous Guy von Roxy Music. Dieses Lied weckte wunderbare Erinnerungen in ihm. Es lief während seiner Kindheit oft im Radio und sein Vater pfiff es jedes Mal vor sich hin wenn er seine Mutter im Arm hielt und sie im Rhythmus hin und herwiegte. Das war noch eine relativ unbeschwerte Zeit gewesen. Bevor die Probleme auftraten…. und er liebte diesen Song. Keine Ahnung warum ihm dieses Lied gerade jetzt, sozusagen über Nacht, wieder in den Sinn kam.
Er fütterte Rusty, frühstückte selbst eine Kleinigkeit und ging dann nach unten in die Praxis. Rusty begleitete ihn dabei. Er sollte nicht den ganzen Tag alleine oben in der Wohnung bleiben und konnte sich innerhalb des Empfangsbereiches frei bewegen. Dort hatte man ihm bereits eine gemütliche Ecke gerichtet, in die er sich kuscheln konnte wenn ihm danach war. Seine beiden Damen kümmerten sich rührend um den Neuankömmling und waren ganz begeistert von Alexanders offensichtlich neuem Lebensmut. Als der dazu noch begann immer wieder diese Melodie vor sich hinzupfeifen waren sie regelrecht sprachlos. „Ich kenne dieses Lied sehr gut…“, meinte Pia-Maria irgendwann. „Das waren noch Zeiten. Die goldenen Achtziger.“ Und ein Lächeln strahlte dabei über ihr ganzes Gesicht, so dass sie um viele Jahre jünger wirkte. „Wissen sie eigentlich, dass John Lennon dieses Lied schon gesungen hat?“, fragte sie ihren Chef. Alexander überlegte kurz. „Stimmt….mir schwant da so etwas. Auf jeden Fall liebe ich diese Melodie.“
„Ich glaube der Chef ist verliebt oder so?!“, tuschelte irgendwann Diana Meyer ihrer älteren Kollegin zu. Die grinste nur und antwortete: „Ja. Kann schon sein. Auf jeden Fall tut ihm das sehr, sehr gut. Was auch immer es ist!“
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